Shirley Manson über Selbstzweifel, Jennifer Lopez und George W. Bush
Du hast in deinem Studiotagebuch geschrieben: „Ich habe soviel Zeit in meinem Leben damit verbracht, ein anderer Mensch sein zu wollen“. Wer willst du sein?
Wenn ich zum Beispiel Ray Allan Basketball spielen sehe, möchte ich er sein. Ich verliebe mich ständig in irgendwelche Leute und Charaktere, Leute.die ich im Flugzeug oder sonstwo treffe. Ich fühle mich einfach von den Menschen angezogen. Aber ich habe es noch nicht gelernt, von mir selber angezogen zu werden.
Seltsam, warum?
Mir ist die Arbeit an den letzten beiden Platten so schwer gefallen,dass ich sie nicht richtig genießen konnte. Der Entstehungsprozess war mir unheimlich.
Das musst du näher erklären.
Ich hatte einfach das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Ich habe geschwitzt, ich habe gezittert, ich habe mich verletzlich gefühlt, ich habe mich betrunken, bevor ich ins Studio gegangen bin. Die Aufnahmen mussten immer nachts sein, und ich habe nie vor Mitternacht begonnen zu singen. Ich wurde aggressiv, bin stellenweise richtiggehend ausgeflippt. Bei der neuen Platte war ich viel zufriedener mit meiner Stimme und meinen Songschreiber-Oualitäten. Und: positves Feedback von den Jungs zu bekommen, war wirklich ein überwältigendes Gefühl. Da habe ich festgestellt, was ich wirklich kann. Denn ich war nie vorher in der Lage, für mich zu akzeptieren, dass ich das, was ich mache, auch wirklich kann.
Woran lag’s?
Vielleicht lag das an der Art, wie ich in die Band gekommen bin. Ich war am Anfang sehr eingeschüchtert von den drei Männern, die einen sehr guten Ruf in der Musikszene hatten. Viele Leute waren damals der Meinung, dass ich einfach eine Angestellte bin, die nichts zu sagen hat. Ich war nicht in der Lage zu singen, und es war in der Tat nur die Hexerei der drei Jungs, die mich in ein gutes Licht gestellt hat. Ich hatte null Selbstbewusstsein.
Das ist kaum zu glauben, wo sich doch alle Welt von dir angezogen fühlt.
Ich glaube aber, dass das nichts mit deinem Selbstbild zu tun hat, wie wohl du dich mit dir selber fühlst. Natürlich hilft es manchmal, wenn jemand auf dich zukommt und sagt „Ich liebe dich, du bist toll“. Natürlich fühle ich mich da geschmeichelt, aber sowas hält nur für einen kurzen Augenblick an, das Gefühl verschwindet sofort wieder. Die Basisarbeit musst du selber tief in deinem Inneren leisten. Du musst dich selber annehmen können, dir verzeihen können für die Fehler, die du im Leben begangen hast. Das Hauptproblem der Menschheit ist ihr Mangel an Toleranz, und der liegt darin begründet, dass die Menschen sich selber nicht tolerieren können. Und wenn wir das nicht können, können wir das auch nicht auf andere übertragen. Ich arbeite aber daran, (lacht).
Bei all dem Medienrummel, der um deine Person gemacht wird: Fühlst du dich als Teil der Unterhaltungsindustrie oder mehr als Musikerin?
Ich fühle mich als Musikerin. Ich denke, alle in der Band sind ziemlich angewidert von den Erfahrungen, die wir in der Unterhaltungsindustrie gemacht haben. Das Showbusiness ist etwas Unwürdiges. Wenn wir zum Beispiel zu einer dieser Hollywood-Parties gehen würden, dann würden wir erstens niemanden kennen und zweitens nur Leute treffen, die sich dafür interessieren, ob du Gucci oder Prada trägst, wieviel Geld du auf dem Konto hast und so weiter. Aus irgendeinem Grund ist das nicht unser Ding. Ich habe keine Lust, mit Matchbox 20 auszugehen.
Aber mit Christina Aguilera schon, oder?
Nein, mein Herr.
Vielleicht würdest du auf diesen Parties deine Freundin Jennifer Lopez treffen.
(lacht laut) Hahaha! Sie würde mir wahrscheinlich eine in die Fresse hauen.
Dein Kommentar zu George W. Bush?
Aaaaaarschloch.
Geht das ein bisschen differenzierter?
Was ich interessant finde an George W. Bush, das ist der Umstand, dass er überhaupt keine Ahnung hat, was das politische Klima und die heutige Weltordnung angeht. Er hat noch das Bild von der Welt im Kopf aus der Zeit, als sein Vater Präsident war. Dieses Land hat nie kapiert, auf welch subtile Weise es Bill Clinton geschafft hat, das Bild der Welt von Amerika zu ändern. Amerikas Position in der Weltordnung ist zwar wackelig, aber unglaublich wichtig und einflussreich, nur längst nicht mehr so einflussreich, wie die Amerikaner denken. Bush ist in großer Gefahr, das internationale Bild Amerikas zu schädigen. Und das ist eine große Tragödie für dieses Land. Clinton hat es in mancher Beziehung geschafft, Amerika nach vorne zu bringen, er hat über den Tellerrand geblickt. Was sehr, sehr schwierig ist, wenn du in einem Land von dieser Größe lebst. In Europa ist es leicht für uns. Ich komme aus einem kleinen Land, du kommst aus einem kleinen Land inmitten einer großen Landmasse namens Europa. Aber Amerika ist isoliert auf einem riesigen Kontinent, die Amerikaner mussten sich nie mit anderen Ideen auseinandersetzen. Deshalb öffnen sie auch ihre Wahrnehmung nicht für das, was in der Welt passiert. Sie erkennen nicht an, dass man von den anderen Ländern noch etwas lernen kann. Und Bush kennt nicht einmal die Namen der anderen Staatschefs. Erdenkt, dass das nicht so wichtig ist. Er interessiert sich nur für die Innenpolitik, (mit tiefer Stimme) Das ist ein großer Fehler, mein Freund.