Sie lachen, sie trinken
Umkleidekabinen bleiben Umkleidekabinen. Selbst in einem Prachtkonzertbau wie der Jahrhunderthalle in Frankfurt-Hoechst ist sie: muffig. Jon Thor Birgisson, Sänger und Gitarrist von Sigur Ros, hält die mangelnde Frischluftversorgung nicht davon ab, zwischen Mittagessen und Konzertprobe im Interview die Gedanken fliegen zu lassen, abzuheben zum Rundflug in höhere Sphären… Quatsch, Birgisson ist ohne Zweifel Fleisch und Blut und verbindliche Freundlichkeit. Auch wenn die Musik von Sigur Ros letztlich und ganz* offensichtlich die Tat von reinen Geistwesen bleibt.
Takk …ist für eure Verhältnisse fast eine ausgelassene Platte geworden …
Jon Thor Birgisson: Findest du? Aber es sterben doch so viele Leute in diesen Songs wie nie zuvor bei uns.
Echt?
Jaja, wirklich. In „Saeglopur“ zum Beispiel singe ich über einen Mann, einen Fischer, der sich mit seinem Boot mitten auf dem Meer verirrt.
Und? Was passiert mit ihm ?
Er ertrinkt. In Island kann man recht schnell ertrinken.
Und wovon handelt „Hoppipolla .das vielleicht poppigste Lied, das Sigur Ros jemals aufgenommen haben ?
Davon, wie ich als Kind durch Pfützen gesprungen bin. Wenn du jung bist, dann bist du erfüllt von dieser Ist-mir-doch-egal-Stimmung. Einfach mal auf die Fresse fallen und Nasenbluten haben, was soll’s. Das ist das Schöne am Kindsein, und darum geht es auch in diesem Lied.
Wenn man eure Lieder hört, kommt man den Assoziationen von Weite, Island, Meer usw. einfach nicht aus. Steckt da Absicht dahinter?
Es ist zumindest kein Zufall. Aber auch nicht die Intention unserer Musik. Ich habe das schon oft gesagt: Wenn wir in London wohnen würden, dann klänge unsere Musik selbstverständlich anders. Klar spiegelt unsere Musik wider, daß wir Isländer sind. „Hoppipolla“ oder „Glosoli“ sind schon sehr vom Reykjavik meiner Kindheit und Jugend inspiriert.
Als ich mal in Island war, liefen dort am Wochenende nur Besoffene durch die Gegend…
Ohh, hast du mich auch gesehen? Man kommt nicht dran vorbei, denn es gibt in Reykjavik einfach keine ruhigen Nächte am Wochenende. Alle trinken, bis sie umfallen.
Ist Reykjavik noch so angesagt wie vor ein paar Jahren ?
Es wird zumindest immer voller. Kann sein, daß sich ein paar von diesen ganz hippen, coolen Leuten wieder verzogen haben und jetzt irgendwo in Rußland hocken. Aber die breite Masse in Island wird immer… breiter.
Ist das gut oder schlecht?
Ich will niemanden davon abhalten, auf die Insel zu kommen. Aber die Leute sollten wissen, daß Island ein kleines Land ist und Reykjavik keine richtige Großstadt, sondern eben nur die größte Stadt. Der Tourismus darf nichtaußer Kontrolle geraten, sonst leidet die Natur. Und die Natur ist das Wichtigste für uns.
Seid ihr eigentlich mit Björk befreundet ?
Nein, nicht richtig. Wir kennen sie, und als es losging mit unserem Erfolg, hat sie uns zu sich eingeladen. Es gab Kaffee und Kuchen und war nett. Wir fragten Björk dann um Ratschläge, aber sie hatte keine Lust, uns welche zu geben .Ich glaube, das Geschäftliche interessiert sie nicht so sehr.
Ist euer Status als erfolgreiche Band in Island überhaupt ein Thema?
Es ist wurstegal. Isländer interessieren sich grundsätzlich nicht für Ruhm. Selbst Bj örk oder unser Präsident können unbehelligt durch die Straßen laufen, ohne angequatscht zu werden. Wir sind auch nicht die Art von Menschen, die den Rock’n’Roll-Lifestyle lebt. Wir sind sehr normale, junge Familienväter um die 30. Ego, Ruhm und Geld sind kein Antrieb für uns.
Wofür sagt ihr mit eurem Album..Takk , also „Danke“?
Für alles. Die Leute vergessen oft, dankbar zu sein für die Kleinigkeiten im Leben. Dafür, daß wir das Wasser bei uns trinken können, ohne davon krank zu werden. Oder daß wir ein Haus haben, in dem wir wohnen. Es gibt so viel Undankbarkeit, die Leute nerven ohne Ende wegen irgendwelcher Sachen, die nichts bedeuuen. „Takk“ ist also fast schon ein gesellschaftlicher Kommentar, wenn wir denn solche Kommentare abgeben würden. Außerdem versteht man das Wort in vielen Sprachen. Ich glaube, für viele ist „Takk“ das einzige Wort auf Isländisch, daß sie übersetzen können.
Wie dankbar seid ihr denn für das, was ihr erreicht habt?
Unendlich. Wir sind keine schrecklich erfolgshungrigen oder ehrgeizigen Menschen. Wir sind sehr geduldig. Unsere Lieder kommen auf sehr natürliche Art zu uns, sie nehmen sich Zeit, so wie wir auch. Selbstverständlich sind wir aber dankbar für das, was wir geschafft haben. Bei unserem ersten Album war das Ziel, 2.000 Stück in Island zu verkaufen. Es waren am Ende mehr als eine Million in der ganzen Welt.
Dafür, daß ihr nicht sehr ehrgeizig seid, habt ihr euch aber lange Zeit gelassen für takk…
Das sind ja zwei Arten von Ehrgeiz. Es ist uns egal, ob wir viel verkaufen. Aber es ist uns das Gegenteil von egal, ob wir eine gute oder gar großartige Platte machen. Wir setzen auf Qualität, und bei diesem Album hat es nunmal 20 Monate gedauert, bis wir zufrieden waren.
Was nimmt denn soviel Zeit in Anspruch?
Mein Vater ist Schmied, er arbeitet also mit Eisen und mit seinen Händen. Ich selbst zeichne sehr gerne. Auch Musik ist für unsere Begriffe absolute Feinarbeit. Oft dauert es nur einenTag, um einen Song zu schreiben. Aber nachdem wir ihn dann aufgenommen haben, denken wir tausendmal darüber nach und überlegen, was wir noch ändern oder verbessern können. Das geht dann echt oft um absolute Kleinigkeiten.
Fallt es dir schwer, einen Song loszulassen?
Sehr. Das ist der schlimmste Teil des Ganzen. Mir fällt das noch am leichtesten, ich kann besser sagen „Leute, das ist jetzt wirklich mal fertig“, aber dann kommen die anderen und meinen „Ach, komm, laß uns da nochmal drübergehen“. Wir sind eine unglaublich demokratische Gruppe.
Viele Leute finden euch fremd und seltsam. Freut euch das insgeheim?
Eigentlich nicht. Ich weiß, wir haben dieses Image, wir gelten als mysteriös. Dabei bin ich überhaupt kein geheimnisvoller Mensch, die anderen , auch nicht. Wir sind vier relativ junge Männer, die viel Spaß haben. Wir können sogar versaute Witze machen.
Meine Güte, dabei spielt ihr an der Grenze zum Hochkulturgut.
Ja, aber wenn schon. Wir achten halt auf Qualität, aber wir haben keinen elitären Anspruch. Manchmal spielen wir bei Soundchecks auch sehr alberne Versionen unserer Songs. Wir machen eine Dtscoversion oder eine richtige Rockversion und lachen uns schlapp.
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