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Mit den Broilers aus Düsseldorf entert erstmals eine ehemalige (linke) Skinhead-Band den Pop. Jahrelang tingelten sie durch die Provinz. Plötzlich füllen sie große Hallen. Warum? Eine Spurensuche
Was für ein Pop-Star“, murmelt Patrick Orth, Manager der Toten Hosen im Backstage des Kölner Luxor. Er meint Sammy Amara, den Sänger der Broilers, die gerade noch einmal für Zugaben durch die Tür zu ihren johlenden Fans geschlüpft sind. Wenn ein Pop-Star eine packende Geschichte braucht, dann hat Sammy Amara tatsächlich die besten Voraussetzungen: Sein Vater stammt aus dem Irak, er selbst ist bereits als kleiner Junge ein Punk mit Migrationshintergrund, der mit 15 Jahren Skinhead wird. Allein das Wort macht Angst. Pop kann sich viel erlauben, scheinbare Flirts mit dem rechten Rand aber auf keinen Fall. Doch dazu später mehr.
Im Backstage-Raum des Luxor kleben Gummibärchen an der Decke. Am Vortag hat sich James Blake scheinbar richtig wohlgefühlt, nun tauschen die Broilers mafiöse Backenküsse aus. Gitarrist Ron hat sich seinen Iro hochgestellt, Sänger Sammy wirkt im ärmellosen Springsteen-Shirt und seinen tätowierten Armen wie eine Inkarnation von Mike Ness von Social Distortion. Eine Band wärmt sich auf: für 400 Fans Köln und die Festivalsaison. Für ihr die Veröffentlichung ihres Albums Santa Muerte und womöglich eine Karriere ohne Zweitjob.
In zwei Minuten geht es auf die Bühne, „If The Kids Are United“ kracht bereits als Intro aus den Boxen des ausverkauften Clubs. Dass die Oi!-Hymne von Sham 69 ein Statement sein soll, darauf verweist schon der Bandname: Br-Oi!-lers. Doch eigentlich war es die Version von Campino, der auf dem 91er-Cover-Album der Toten Hosen Learning English die große Verbrüderungshymne noch nachdrücklicher kläfft als einst Jimmy Pursey von Sham 69. „Die Platte hat damals mein Schicksal besiegelt. Mit ihr auf dem Walkman dachte ich, ich sei unbesiegbar“, erzählt Sammy Amara am Tag nach dem Konzert an den Düsseldorfer Rheinterrassen.
Es ist Mitte der 90er-Jahre, als Sammy und seinem Schulfreund Andi Brügge ein Leben als Mittelschicht-Punk nicht mehr reicht. Das schockt zu wenig, gerade in Düsseldorf. Also erklären sich die Broilers, keine 16 Jahre alt, kurzentschlossen und etwas naiv, wie man sagen könnte, zur Skinhead-Band und wachsen so in eine unübersichtliche Subkultur hinein, die seit den rassistischen Anschlägen von Mölln und Solingen von außen nur noch als Sammelbecken von hirnlosen Nazis und gewaltbereiten Schläger gilt.
Die Broilers orientieren sich dagegen am „Spirit Of 69“, den traditionell eher linken Wurzeln der Skinhead-Szene, die in der britischen Arbeiterklasse und im Ska liegen. Ihnen gefallen die smarten Outfits, der Reggae-Offbeat und die DIY-Attitüde der dezidiert antirassistischen Skinhead-Szene. Dass die Öffentlichkeit diesen nicht rechten Teil der Skins nicht wahrnimmt, ist ihnen egal. Sie sind Oi!-Skins: jung, halbstark, versoffen, unpolitisch. Jahrelang tingeln die Broilers durch die Lande. Via „The Anti-Archives“ kann man sie auf ihrer Odyssee begleiten, die vor allem durch die ostdeutsche Diaspora führt. Die DVD ist das Dokument einer Band, die sich, vielleicht vergleichbar mit den Beatsteaks, über ihren engen Szenebezug zwar quälend langsam, aber umso zwangsläufiger ein größeres, treues Publikum erspielt hat.
Ihren größten Satz nach vorne machen die Broilers 2007 mit dem Album Vanitas, indem sie auch musikalisch richtig anschlussfähig für das große Punkrock-Milieu werden. Auf eigene Faust bucht man große Hallen, in Düsseldorf bekommt man mal eben das Stahlwerk mit 2.300 Fans voll. Es ist ein Abend, an den sich auch Patrick Orth erinnert – weil er nicht da war. „Für mich als Musikmanager aus Düsseldorf war das schon so etwas wie eine Bankrotterklärung“, sagt er. Er kannte zwar Sänger Sammy schon länger, der gelernte Grafikdesigner hatte Shirts für die Hosen gestaltet. Das Phänomen Broilers war jedoch an ihm vorübergegangen. Mittlerweile kümmert sich Orth um den Auftritt der Broilers, auch Campino trat schon als Gastsänger auf.
Das Konzert in Köln ist voll im Gange, Band und Publikum sind dank alter Hits wie „Zurück zum Beton“ und „Plastic Gangster“, einem Cover der 4-Skins, voll auf Betriebstemperatur. Erste Crowdsurfer werden nach vorne gereicht. Ein Securitymann hat die ansegelnden Fans rüde am Schlafittchen gepackt, da schreitet Amara ein. Der Motor der Band läuft weiter, er aber gibt sich nach einer diskreten Standpauke erst zufrieden, als der erneut auffällige Sicherheitsmann durch einen Kollegen ersetzt worden ist.
Sammy geht es in seinen Texten oft um Haltung. „Wir stecken hier gemeinsam drin, hältst du zu mir, halt ich zu dir“, schmettert er im Song „Gemeinsam“ vom Album Santa Muerte. Es ist hymnischer Punkrock, den die Band aus Düsseldorf da spielt. An anderer Stelle ist er zupackender, in seinen Singalongs unverschämt poppig oder mit Bläsern zu flottem Skapunk frisiert. Die Skinhead-Vergangenheit ist dabei Vorlage für geläuterte Punk-Folklore – nicht nur im Refrain von „In ein paar Jahren“: Da „sollte alles brennen/ und vor uns lag, wo wir heut stehen/ in ein paar Jahren, frag mich was leichteres/ ich musste die Welt in Flammen sehen.“
Ortstermin Düsseldorf: Mit Amara und seiner lauffaulen Dogge Emma sowie Bassistin Ines und Gitarrist Ron geht es durch die Altstadt. Man schaut im Ratinger Hof und bei Hitsville rein, der Plattenladen gehört einem Ex-Oi!-Skin. Und es geht zu Pick Up, dessen Besitzer in den 70er-Jahren Punk-Mode aus England an den Rhein brachte. Dort kauften sich Amara und Schlagzeuger Andi mit zwölf Jahren ihre ersten Stiefel. Auch wenn sich Sammy Amara mittlerweile eher als „Edel-Punk“ denn als Skinhead sieht: Rechtfertigen müssen und wollen sich die Broilers für ihre Vergangenheit trotzdem. Erst neulich hat man bei einem wissenschaftlichen Artikel interveniert, der Ines zu einer weiblichen Ikone des Rechtsrock abstempelte. Die Professorin hatte einfach die Recherchen eines Studenten übernommen.
In Duisburg, wo die Band nach ihrer Kölner Aufwärmübung als Headliner bei den Telekom Playgrounds spielt, ruft Sammy den über 5.000 in der Halle und den Zuschauern bei Viva zu : „Bevor einem ein Sarrazin den Stock in den Arsch schiebt, zünde ich das alles lieber an.“ Die Menge johlt, der Schlagzeuger zählt an, Amara legt los. Er sieht aus wie ein Pop-Star.