Sinead O‘ Connor
Seit dem Höhenflug des letzten Jahres versorgt der passionierte Störenfried die Musikwelt ungefragt mit Meinungen und Magenkrämpfen. Sie verweigert Auszeichnungen und falsche Verbeugungen und gibt Kollegen wie MC Hammer und Prince die Breitseite. Der Blick zurück im Zorn — mit ME/Sounds-Mitarbeiter David Wild rekapituliert die Dame mit dem eigenwilligen Kopf das Lehr- und Herrenjahr des großen Erfolgs.
ME/SOUNDS: Du hast mal gesagt, daß Durcheinander und Unruhe nicht unbedingt schlecht sein müssen. Haben dir die vielen Kontroversen des letzten Jahres nicht doch irgendwie geschadet?
O’CONNOR: Nein, ich glaube nicht. Sonst würden wir doch wohl dieses Interview nicht machen, oder? Für mich waren das alles Ereignisse, bei denen ich klargemacht habe, wie ich über eine Sache denke. Manchmal waren nicht alle Leute damit einverstanden, aber damit muß man rechnen.
ME/SOUNDS: Meinst du nicht, daß das negative Auswirkungen auf dein Image gehabt haben könnte?
O’CONNOR: Ich glaube, daß die Leute nicht annähernd so blöde sind, wie die Medien immer annehmen. Ich finde diesen ganzen Wirbel mittlerweile nur noch lustig. Die Sache mit der US-Nationalhymne war das Lustigste, was mir in meinem ganzen Leben passiert ist. Damals hatte ich allerdings die Hosen ziemlich voll. Ich dachte, wenn die New York Post sagt: „Sinead O’Connor stößt Amerika vor den Kopf, erschießt mich gleich jemand.
ME/SOUNDS: Wie und wann hat sich diese Furcht wieder gelegt?
O’CONNOR: Als ich mich vor einer meiner Shows verkleidet unters Volk mischte. Die hatten vorher nesige Protestkundgebungen angekündigt, und ich war sehr erleichtert, als ich hörte, was die Leute tatsächlich sagten. Etwa, daß diese ganze Diskussion völliger Blödsinn sei. Ich hatte keine Angst mehr, als mir klar wurde, daß die Leute, an denen mir etwas liegt, auf meiner Seite stehen. Und daß die Sache nur deswegen von den Medien so aufgeblasen wurde, weil sie dann ein paar Zeitungen mehr verkaufen.
ME/SOUNDS: Mal ganz abgesehen von dieser Verkleidung — hast du denn überhaupt noch Gelegenheit, mit deinen Fans zusammenzutreffen?
O’CONNOR: Ja, aber es ist ganz anders, wenn sie wissen, wer du bist. Meistens ist es etwas peinlich, weil sie sich so unnatürlich verhalten.
ME/SOUNDS: Angesichts deiner extrem persönlichen Songs ist es nicht verwunderlich, daß deine Fans eine starke emotionale Bindung entwikkeln. Was schreiben sie dir denn so ?
O’CONNOR: Keine Ahnung. Ich lese keine Fanpost.
ME/SOUNDS: Warum nicht?
O’CONNOR: Ich habe zuviel Angst, eingebildet zu werden. Es ist nicht so, daß mir an den Leuten nichts liegt, bestimmt nicht, aber ich kann nicht den ganzen Tag dasitzen und Briefe lesen, die mir erzählen, ich sei die Größte. Ich könnte das größte Arschloch aller Zeiten werden, aber darauf steuere ich auf kurz oder lang wahrscheinlich sowieso zu.
ME/SOUNDS: Manche Leute sind mittlerweile eh der Meinung, du seist jetzt schon völlig abgedreht, nachdem du den „Brit Music Award“ und die Grammy-Verleihung boykottiert hast. Was waren die Gründe?
O’CONNOR: Ich kann diese ganzen Zeremonien einfach nicht ausstehen, weil die Musikindustrie zum größten Teil aus heuchlerischen Idioten besteht. Lauter Materialisten, die ihre einzige Lebensaufgabe darin sehen, Ruhm und Wohlstand zu vermehren. Diese ganze Branche hat verdammt wenig Interesse an der Wahrheit, und deswegen habe ich kein Interesse an ihr.
ME/SOUNDS. Immerhin hast du aber über diese Maschinerie eine ganze Menge Platten verkauft…
O’CONNOR: Das ist ihr Job, ich habe nicht das Gefühl, daß ich deswegen in ihrer Schuld stehe. Meinen Erfolg habe ich nicht irgendeiner Firma zu verdanken, sondern allein der Tatsache, daß ich schreiben und singen kann. Und ich lasse mir nicht auf ewig den Mund verbieten, bloß weil ich damit mein Geld verdiene. Irgendwie kursiert in dieser Branche der Irrglaube, daß die Industrie uns Künstlern einen Gefallen nach dem andern tut, aber es ist genau andersrum. Schließlich gäbe es dieses verdammte Geschäft ohne uns Künstler doch gar nicht. ¿
ME/SOUNDS: Die letzten eineinhalb Jahre waren ja nicht gerade ein Erholungstrip für dich. Wie würdest du diese Zeit jetzt im nachhinein beschreiben.
O’CONNOR: Es war auf jeden Fall die emotional intensivste Zeit meines Lebens. Ich habe jedes, einfach jedes Gefühl durchlebt, das ein Mensch überhaupt empfinden kann, und zwar ständig und furchtbar intensiv. Es war traumatisch. Es hatte auch seine guten Seiten, aber vor allem war es sehr, sehr beunruhigend, und ich bin deswegen im Moment in mehr als einer Beziehung ziemlich am Ende.
ME/SOUNDS: Was war ßr dich der Höhepunkt des letzten Jahres?
O’CONNOR: Daß ich meine Führerscheinprüfung geschafft habe!
ME/SOUNDS: Deine Musik ist komplexer und anspruchsvoller als das, was man heutzutage im Radio hört. Glaubst du, dein Erfolg ist die Ausnahme — oder doch Teil einer allgemeinen Entwicklung?
O’CONNOR: Die Leute wollen diese Radiosülze gar nicht hören, die wollen eigentlich etwas ganz anderes. Schau dir doch an, wie Hits gemacht werden. Natürlich hängt es auch davon ab, was die Leute kaufen, aber genauso viel damit, was die verdammten Radiosender spielen. Es ist einfach lächerlich, weil es überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was die Leute mögen.
ME/SOUNDS: Warum hast gerade du es dann geschafft?
O’CONNOR: Ich hatte eben zufällig einen Nummer-Eins-Hit, aber es gibt genügend Gegenbeispiele. Was ist mit Van Morrison? Wenn es nach mir ginge, müßte man Van Morrison heiligsprechen! Er müßte jeden gottverdammten Grammy gewinnen, den sie überhaupt zu vergeben haben. Warum kriegt er sie nicht?
Die Medien ermutigen die Leute nicht zum Denken. Schalt mal das Radio oder den Fernseher ein — du siehst nichts, was dich inspiriert oder über irgend etwas nachdenken läßt. Und die Medien möchten, daß das auch so bleibt.
ME/SOUNDS: Themawechsel — hast du mit Männern überhaupt noch was im Sinn? Deine letzten Interviews klangen nicht danach …
O’CONNOR: Ach, Männer sind doch alle gleich, findest du nicht?
ME/SOUNDS: Warum?
O’CONNOR: Das sind doch alles Idioten. Keinen Mumm in den Knochen. Männer haben einfach keinen Mumm!
ME/SOUNDS: Und Ausnahmen gibt es wirklich nicht?
O’CONNOR: Ich hab jedenfalls noch nie eine getroffen. Ich kenne keinen Mann, der ähnlich bereit ist. selbständig zu leben und sich gleichzeitig treu zu bleiben, wie Frauen das sind. Ich kenne keinen Typen, der couragiert genug ist, um seinen Kopf hoch zu tragen. Sie sind alle so leicht einzuschüchtern und können sich nicht ausdrücken.
ME/SOUNDS: Laß uns mal über Haare reden. Hast du dir jemals überlegt, ob du sie wieder wachsen lassen sollst, damit die Leute nicht mehr so einen Wirbel darum machen ?
O’CONNOR: Ich hab ein paarmal mit dem Gedanken gespielt, um irgendwelche Männer dazu zu bewegen, sich rettungslos in mich zu verlieben. Männer haben sowieso Angst vor mir, und vielleicht bin ich noch beängstigender, weil ich keine Haare habe. Meine Haartracht weckt wohl seltsame Assoziationen an Faschismus und an Lesben und ganz allgemein an aggressive Frauen, die eh keiner mag.
ME/SOUNDS: Kannst du dir vorstellen, ßr manche Fans trotzdem Sex-Symbol zu sein?
O’CONNOR: Nein. Ich wollte immer ein Sex-Symbol sein, aber ich bin keins. Ich finde mich ziemlich abstoßend und häßlich und runzlig und ekelhaft, es ist also schwer vorstellbar, daß irgend jemand mich für sexuell attraktiv halten könnte. Und wenn sie’s tun — wo zum Teufel stecken sie?
ME/SOUNDS: Legionen von Journalisten haben über deine wunderschönen Augen geschrieben!
O’CONNOR: Ja, aber es sind nur meine Augen. Sonst ist da nichts.
ME/SOUNDS: Wie lebt es sich so als Berühmtheit?
O’CONNOR: Du triffst jede Menge kaputtes Volk. Los Angeles war am schlimmsten. Es ist bemerkenswert, wie mies manche Leute sein können, wie sie sich daran aufgeilen, berühmt zu sein.
ME/SOUNDS: Haben dich die Erfahrungen des letzten Jahres gelehrt, die Dinge gelassener zusehen?
O’CONNOR: Auf jeden Fall. Das hegt wohl daran, daß ich in dieser Hinsicht schon eine Menge Training hinter mir hatte und daher alles von einem eher philosophischen Standpunkt aus betrachten konnte. Sonst würde ich wahrscheinlich an der Nadel hängen. Oder an der Flasche. Vielleicht wäre ich sogar schon tot, wenn ich nicht über den Dingen stehen und sagen könnte: ,Ok, was kann ich daraus lernen?‘ oder .Was muß ich an mir ändern?‘.
ME/SOUNDS: Am häufigsten hast du ja in letzter Zeit deinen Wohnort geändert. Warum bist du wieder von Los Angeles nach Irland übergesiedelt?
O’CONNOR: Ich war verdammt einsam dort. Und es wurde mir auch langweilig.
ME/SOUNDS: Bist du froh, wieder in der Heimat zu sein ?
O’CONNOR: Ich weiß nicht, eigentlich ist Dublin noch verlogener als Los Angeles. Die Leute hier sind hinterhältig und zynisch, und ich bin in keinem Land von der Presse so runtergemacht worden wie hier. Sie treffen mich am härtesten, weil sie eigentlich mein Volk sind,
und ausgerechnet sie haben nichts Besseres zu tun, als dauernd irgendwelche Taxifahrer zu löchern, ob ich denn auch immer genug Trinkgeld gebe.
ME/SOUNDS: In einem kürzlich erschienenen Artikel hast du beschrieben, wie schlecht du von deiner Mutter behandelt wurdest. Hast du es je bereut, mit Journalisten so offen über persönliche Dinge zu reden ?
O’CONNOR: Nein, ich habe über dieses Thema gesprochen, weil ich der festen Überzeugung bin, daß es diese Dinge nur deshalb gibt, weil man uns beibringt, nicht darüber zu reden. Was mir passiert ist, geschah nur deswegen, weil die Gesellschaft, in der ich lebte, eine Gesellschaft war — und immer noch ist — in der man solche Sachen einfach nicht rausläßt.
ME/SOUNDS: Du hast auch sehr offen über einige unerfreuliche Erfahrungen mit Prince gesprochen. Stimmt es, daß du „Nothing Compares 2 U“ deshalb nicht mehr singen willst?
O’CONNOR: Ja. Uns trennen Welten, und jeder von uns macht im Endeffekt genau das, was der andere am meisten verabscheut. Die ganze Sache ist damals eskaliert, er hat mir Prügel angedroht, und als ich draufhin gegangen bin, hat er mich mit seinem Auto verfolgt und wollte mich auf offener Straße anspringen. Diese Sache hat mir den Song schließlich völlig verdorben. Außerdem habe ich dieses Lied schon so oft gesungen, daß es mich ohnehin langweilt.
ME/SOUNDS: Aber auf der Bühne machst du nicht gerade einen gelangweilten Eindruck …
O’CONNOR: Die Konzerte im letzten Jahr waren wie eine Art Therapie für mich, weil auf Tour soviel Mist passierte. Es war ein Glück, daß ich jeden Abend auf die Bühne mußte, ich wäre sonst einfach ausgerastet.
ME/SOUNDS: War die Trennung von deinem Sohn eine Belastung für dich?
O’CONNOR: Ja, sehr.
ME/SOUNDS: Welches ist das beste Sinead-Gerücht, das du dieses Jahr gehört hast?
O’CONNOR: Daß ich ein Baby von Lenny Kravitz bekomme, glaube ich. Das würde mich aber auch gar nicht so sehr stören.
ME/SOUNDS: Wird es ein Junge oder ein Mädchen?
O’CONNOR: Keine Ahnung, ich hab heute die Zeitung noch nicht gelesen.
ME/SOUNDS: Gibt es irgendeine Musik, die dein Sohn nicht hören sollte — militante Rapper wie die Geto Boys zum Beispiel?
O’CONNOR: Ich möchte, daß er alles hört, worauf er Lust hat. Ich glaube nicht, daß Leute wie die Geto Boys oder N.W.A. eine sehr wichtige Funktion haben, abgesehen von der Tatsache, daß sie sagen, was Leben für manche Menschen bedeutet — und deswegen stellen sie für andere Leute ja auch ein Problem dar. Wenn du daran glaubst, daß Musik menschliche Gefühle ausdrücken soll, mußt du bereit sein zuzugeben, daß Aggression auch dazugehört und daß es sehr viel besser ist, wenn sich einer in sein Auto setzt und „Fuck The Police“ hört, als wenn er loszieht und einen Polizisten umlegt. Rap ist für mich die einzige Musik, die alle menschlichen Gefühle beschreibt und die Leute ermutigt, etwas aus ihrem Leben zu machen.
ME/SOUNDS: Vorhin hast du mir eine Liste der von dir meistgehaßten Platten des letzten Jahres angeboten. Können wir mal hören, welche das sind?
O’CONNOR: Oh je, darf ich das wirklich machen? Ach, warum nicht. Verdammt, das könnte aber eine sehr lange Liste werden! Ich hasse M.C. Hammers Platte. Und die von Vanilla Ice noch viel mehr. Ich hasse diese Platte von Whitney Houston, „I’m Your Baby Tonight“. Ich kann sie nicht ausstehen. Was noch? AC/DC haben eine Platte rauseebracht.
ME/SOUNDS: Was hältst du von Guns N‘ Roses?
O’CONNOR: Ich habe ein Interview mit Axl Rose im Fernsehen gesehen und fand ihn einfach süß. Meine Freundin Ciara und ich haben uns gestern über ihn unterhalten — daß man ihn mit nach Hause nehmen und ihm einen Teller Suppe verabreichen möchte. Er ist wie ein kleines Kind, findest du nicht? Er wirkt so, als müßte er ein bißchen bemuttert werden. Slash ist auch so ein Wonnebrocken. Und Mike Tyson.
ME/SOUNDS: Du hast mal gesagt, daß deine wichtigsten Einflüsse Bob Dylan und Barbra Streisand waren.
O’CONNOR: Das waren sie mal, aber im Moment sind es wohl die Hip-Hop-Leute. Nicht musikalisch, aber privat. Mein wichtigster Einfluß sind Leute wie Ice Cube und Ice-T. Ich war bei einem Konzert von Ice-T und hab mich fast naß gemacht. Wichtig sind auch Public Enemy, Van Morrison und ein anderer Ire, Christy Moore.
ME/SOUNDS. Hast du dir etwas ßr die Zukunft vorgenommen?
O’CONNOR: Nein. Ich würde sehr gerne etwas von diesem Trip runterkommen. Ich bin ein Mensch, wenn auch vielleicht ein etwas ungewöhnlicher. Die Leute sehen Berühmtheiten so schnell als Übermenschen, die über allem stehen und die nichts verletzen kann. Ich werde weiter meine Menschlichkeit zeigen und meine Meinung artikulieren, auch wenn mich das immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Ich werde mir das von keinen Medien und niemandem verbieten lassen. Im Moment arbeite ich tatsächlich hart daran, den Leuten wieder klar zu machen, daß ich eine Person bin, kein Produkt, kein gefühlloses Ding.
ME/SOUNDS: Meinst du, du bist auf dem richtigen Weg dazu?
O’CONNOR: Ja, ich glaube schon. Es muß einfach gehen. Ich muß nur versuchen zu vergessen, daß ich Sinead O’Connor bin, verstehst du? Ich muß wieder so werden, wie ich vorher war, bevor das alles passierte.