Sister Act
Michaels kleine Schwester dreht auf: Janet Jackson fordert an Platten- und Kino-Kasse den Bruder zum Showdown.
Marlene Dietrich steht auf dem Programm: Foto-Session in Minneapolis, in einer kleinen Fabrikhalle, in der Visagisten, Mode-Berater und Kamera-Assistenten herumwuseln. Die Haupt-Akteurin steht regungslos im Licht-Kegel eines Spot-Scheinwerfers und läßt geduldig die hundertste Makeup-Korrektur des Tages über sich ergehen. Heute gibt sie sich ganz in schwarz: schwarzer Lippenstift, glattfrisierte schwarze Haare und ein hautenger schwarzer Luxus-Dreß.
Zusammen mit dem englischen Kamera-Künstler Matthew Rolston inszeniert Janet Jackson eine Hommage an zwei starke Frauen: die Schauspielerinnen Dorothy Dandridge (einer der ersten schwarzen HollywoodStars) und Marlene Dietnch. An die deutsche Diva erinnert ein geöffneter, auf dem Kantinen-Tisch liegender Bildband, in dem Matthew & Janet ihre Lieblingsmotive markiert haben.
Janet Jackson als Vamp — mit diesem Image geht der Twen in die nächste Karriere-Runde. Aus CONTROL (1986) sprach einst der selbstbewußte Teenager, der sich weitaus entschiedener als Bruder Michael aus den Klauen des Familien-Klans befreit hatte; auf RHYTHM NATION (1989) propagierte sie noch höhere Werte: Hoffnung, Humanität und — besonders für denkfaule Kids — Bildung.
1993 geht es vor allem um sie selbst und um ihr Liebesleben. Der Album-Titel ist Programm: „janet.“ Punkt…
„Das neue Album isl sehr viel wärmer, sehr sinnlich, sexy und sehr frech“, erzählt Janet Jackson in der Mini-Garderobe des Fotostudios. Auch diesmal stand ihr wieder das bewährte Platin-Duo Jimmy Jam und Terry Lewis zur Seite. Die beiden scheinen in Janet Jackson ihre ganz spezielle Muse gefunden zu haben — obwohl Jam/Lewis schon mit Vertretern mächtigerer Vokal-Artistik zusammenarbeiteten, laufen sie bei ihren Projekten mit Janel jedesmal zu persönlicher Bestform in Sachen Grooves & Sounds auf. Das Platin-Duo hat zusammen mit Janet (die zum ersten Mal als gleichberechtigte Produzentin auftrat) frische Klänge für die 90er Jahre fabriziert. Mit hochkarätiger Verstärkung: Bei „What’ll I Do“ hilft der Gospel-Chor Sounds of Blackness, für den“.afrozentrischen“ Message-Song „New Agenda“ lud Janet Jackson den Public Enemy Chuck D. ins Studio.
Janet steht auf Rap — und sie schreibt Public Enemy & Co. sogar eine „erzieherische“ Wirkung zu. Die Rapper, so meint sie, seien eine wichtige Informationsquelle für schwarze US-Jueendliche: „In meiner Schulzeil wurde die Geschichte der Schwarzen kaum erwähnt — es gab im Geschichtsbuch vielleicht zwei Absätze über Mariin Lulher King und einen Absatz über Malcolm X, und ein bißchen über Sklaverei. Ich dachte daher, daß meine Vorfahren allesamt Sklaven waren! Das ist traurig, weil unsere Geschichte liefer geht — auf .unserem‘ Kontinent waren wir auch Könige und Königinnen …“
Einsichten, die sie m diesem Jahr auch an der Film-Front vertreten wird — im neuen Streifen des „Boyz „N The Hood“-Regisseurs John Singieton. „Poetic Justice“, spielt sie eine Dichterin, die langsam, aber sicher zu ihrer eigenen Ausdrucksform findet. Parallelen zum eigenen Leben: „Vieles von dem, was normale Kids tun, konnte ich nicht mitmachen, weil ich zu beschäftigt war — ich habe schließlich schon mit sieben Jahren im Show-Busineß begonnen!“
Mit Millionendeal und Chart-Rekorden ist sie auf dem Weg, zu ihrem Großen Bruder Michael aufzuschließen. Auf die Geschwisterliebe habe dies alledings keine Auswirkungen: „Nein, wir reden nicht mal drüber“, schüttelt sie den Kopf und schiebt ein galantes Understatement hinterher: „Das Geld ist nicht das Wichtigste im Leben. Viele Leute denken, Entertainer wie ich verdienen zu viel Geld. Dabei verdienen die Plattenfirmen locker das fünffache mit uns!“