Slime
Ihr Kampf geht immer weiter, diesmal im SO36, Berlin
Ja, nach dem Konzert gab es Krawall, Scheiben zerbrachen, ein Brandsatz landete im Autohaus, Steine, Eisklumpen und Flaschen flogen gen Polizei, die völlig überrumpelt war von diesem Ausbruch folkloristischer Randalefreude. So weit, so öde. Das gehört in Kreuzberg zur Stadtteil-DNA, vor allem wenn Slime spielen, da wird halt randaliert, das war vor dreißig Jahren nicht anders. Dreißig Jahre? Genau. So lange treibt schon diese Kombination aus Aggression und Pathos die Combo aus Hamburg an (Pause inbegriffen). Keine deutsche Band hält konsequenter an ihrer Revolutionspose fest, keine hat den Kanon linksradikalen Liedguts mehr bestimmt als die Band um Dirk Jora, wenige hatten mehr Ärger mit der Justiz: Keine 1.-Mai-Demo ohne „Bullenschweine“, kein Schwarzer Block ohne „Deutschland verrecke“. Griffige Parolen mitsingfertig mit Hochgeschwindigkeit ins Publikum gekloppt, das war ihr Erfolgsgeheimnis, das wirkt auch heute noch.
Das Publikum im SO36 ist eine bizarre Mischung aus alten Fans, viele Männer mit Reservekinn, dazu die üblichen Autonomen-Darsteller des örtlichen Kiezes sowie überraschend viele junge, ja, doch: Punks. Es braust los mit „Etikette tötet“, es bollert „Schweineherbst“ und natürlich glauben sie immer noch „eher an die Unschuld einer Hure als an die Gerechtigkeit der deutschen Justiz“. Und alle singen mit, viele darunter, die schon sehr lange ihren Frieden mit dem „System“ gemacht haben, wie man sofort behaupten könnte, der halbe Saal voll mit „Linken Spießern“, egal, hier donnert das Kollektiv so schön, die Parolen gehen locker von den Lippen, die Fäuste recken sich in den Himmel und alle johlen, wenn Sänger Dirk mit heiserer Stimme die alten Songs vor den neuen Background schiebt: Stuttgart 21, Castor, der Kampf geht bei ihm ja immer weiter, und an jeder Ecke Nazis, die es zu bekämpfen gilt. Hier wir, da die Faschisten, alle grölen, ach, das Leben kann so einfach sein. Bisschen linker Ballermann, bisschen Folklore-Treff, ja, man könnte den ganzen ausverkauften Gig leicht lächerlich machen. Die Wahrheit aber ist, dass Slime hier jeden einzelnen Song mit mehr Energie rausprügeln als Befindlichkeitsbarden wie Tocotronic in ganze Konzerte stecken, mehr noch ist ihre sture Konsequenz, ihre hemmungslose Parolenhaftigkeit gepaart mit ewig großer Wut genau das, was ein grandioses Konzert ausmacht, ein sensationelles Live-Erlebnis, wie man es selten hat.