Solo für vier


Vor Jahren war er mal Depp Jones. Und davor, danach und durch und durch: Arzt. Lassen Sie ihn durch, denn jetzt hat Deutschlands Drummer Nr.1 Bela B. ein Soloalbum gemacht.

Durch Berlin fährt ein Nightliner-Tourbus und drin sitzt: Eine sympathische Frau mit bairischem Zungenschlag. Das ist Lulu (ganz recht: ein Pseudonym) ausTegernsee. Und die Zunge läßt sie wohl nur für Besucher aus dem Süden so schlagen. Sie lebt seit Urzeiten in Berlin und ist eine der besten Freundinnen von Dirk Felsenheimer. Und neuerdings auch seine Managerin und Bandkollegin. Dirk -für uns immer noch: Bela B. – hat zwar schon andere Kollegen, in einer Band namens Die Ärzte. Die machen gerade Pause oder eigene SoloSachen. Aber Bela B. muß immer weitermachen. Als Schaupieler, Comicverleger, Hörbuch-Einleser, Polit-Aktivist. Und jetzt eben als Solo-Rocker und – huch! – Gitarrist! Der berühmteste Drummer der Republik ist unter die Frontmänner gegangen. Er sitzt im Fond des Busses, in einer Trainingsjacke mit GM -Logo drauf (nein, nicht General Motors! Gerd Müller heißt das!) und redet begeistert über das vor lustvoll feistem Rockspaß überbordende Album bingo – sein erstes Soloalbum, gegenüber den zweien von Ärzte-Kollege Farin Urlaub -, das er mit einer Clique dicker Freunde gemacht hat. Mit Wayne Jackson, Olsen Involtini. Und eben „Lulu“. Die Ochsentour wird nicht ganz nötig sein für „einen der größeren Rockstars dieser Republik“ (augenzwinkernde Selbsteinschätzung). Aber nur Show ist das mit dem Tourbus auch nicht.

Die Zeiten, dal) du im Bus pennst, sind ja wohl vorbei.

Ja. Aber die kommen jetzt wieder mit meiner Band. Back to the roots. (lacht) Ist auch ganz gesund, wenn man das alle paar Jahre wieder erlebt.

Lauft die Tour im Herbst dann parallel zu… (ahntden Namen „Farin Urlaub“ voraus) Nee. Die ist im September, er tourt im Oktober. Drum muß ich dann im Dezember noch ein paar Konzerte spielen. Das ist nämlich jetzt mein Jahr, nicht seins, haha!

Inwieweit ist das alles eine Ärzte-Abnabelung für dich ?

Eine richtige Abnabelung ist ja nicht nötig gewesen, weil ich mich ja selber in so vielen anderen Bereichen verwirklicht habe. Aber ich bin oft in Interviews gefragt worden, ob mir die Schauspielerei wichtiger ist als die Musik und ich sagte immer, daß Musik meine große Liebe ist- das mußte ich jetzt mal beweisen. Ich hatte ja immer mal Songs außer der Reihe geschrieben. Für Filme und andere Projekte. Und hatte mit Olson und Wayne und Lulu – die mich jetzt auch managt und eine meiner besten Freundinnen ist – auch schon ’nen Song aufgenommen. Das hat Spaß gemacht und sie meinten, ob ich nicht noch mehr hätte. Sie hätten auch ein paar, ob ich Lust hätte, dafür Texte zu machen. Ich hab mir dann ein halbes Jahr Zeit gelassen, darüber nachzudenken und langsam sind da so Ventile aufgegangen, Knoten geplatzt, und ich hab mir gedacht: Warum nicht? Wenn’s klappt? Zusammen hatten wir dann ziemlich viele Songs. 27 oder so.

Die aber keine Ärzte-Songs sein könnten.

Klar. Keinen Song, der jetzt übrig bleibt, würdeich für die Ärzte verwenden. Sondern neue schreiben. AbeT das kommt ja auch erst nächstes lahr.

Du hast ein neues Label, eigenes Management. Farins Solo-Ding läuft ja über die Ärzte-Infrastrukturen …

Ich wollte das völlig losgelöst von den Ärzten machen, auch mal andere Leute ins Boot holen. Fitz Braum, der die Plattenfirma BPX1992 gegründet hat. Fitz kenne ich schon ewig. Er war damals der A&R, als die Ärzte ’83 den ersten Plattenvertrag bei CBS bekamen. Er war einer von den zwei Plattenfirmen-Leuten, die an uns geglaubt haben. Heute ist er Chef von Four Music.

Du host gesogt, beim Soloprojekt sei alles „nicht so mathematisch ausgerechnet“ wie bei den Ärzten.

Das war eine neue Situation mit dieser Band, da sind Dinge passiert, daß du ins Studio kommst, an einem Song arbeitest, und abends hat der sich komplett verändert. Erlebnisse, die ich lange nicht mehr hatte mit einer anderen Band. Das ist kein Vorwurf, sondern ist einfach so. Bei den Ärzten läuft im Studio einfach vieles überraschungsfrei. Die Überraschungen finden da im Vorfeld statt, beim Songschreiben.

Welcher Musiker hat die Zeile.. Nimm die Gitarre runter, wir woll’n deinen Sack nicht seh ’n “ inspiriert?

Da gibt’s viele. Es ist ja wieder so ein Trend jetzt: Je schrammliger die Band, desto höher hängen die ihre Gitarren, weil sie sich ja dann so konzentrieren müssen. Für mich gilt: Je tiefeT die Gitarre hängt, desto weniger Scheiße kannst du spielen. Es ist einfach wichtig, daß du als Gitarrist gut aussiehst auf der Bühne.

Als was wirst du denn auf der Bühne stehen ?

Als Gitarrist und Sänger. Wenn ich Schlagzeug spielen würde und singen, das war‘ zu Ärzte-mäßig. Ich hab mir was viel Glamouröseres ausgedacht. Ich zelebriere ja gern mal dieses Las-Vegas-Glam-Ding. Und das geht natürlich deutlich besser, wenn du vorne stehst. Und da ich sehr gerne Gitarre spiele und ich dieses Jahr relativ viel gespielt habe und viel mehr gelernt habe, ist das cool. Mit so ’nem Teil kannst du halt extrem gut Tumposen. Und ich bin ja schon bei den Ärzten der, der sich am meisten bewegt. Ich werde Gitarre spielen und gut aussehen, (grinst) Da gcb ich mir Mühe. Es gibt ja noch was anderes als Gerd-Müller-Jacken.

Wirst du die WM verfolgen?

Na ja, klar. Ich bin ja sehr leidensfähig, als Fan des FC St. Pauli. Na, und bei der WM in unserem Land, da bin ich für unser Team. Das diktiert mir mein Paß.

Hast du Tickets für ein Spiel ?

Nee. Neulich hab ich mit Jean von Wir Sind Helden drüber gesprochen, der ist ja großer Fußballfan. Da haben wir festgestellt, daß es einfach für uns wäre, Tikkets zu bekommen. Wir müßten uns nur irgendeinem Sponsor andienen, McDonald’s oder so. Aber wenn ich sonst mit denen nicht einverstanden bin, darf ich auch nicht Nutznießer sein, von daher…

Zum letzten Ärzte-Album Geräusch hast du einige sehr politische Texte gemacht. Wie setzt sich das fort?

Es wird auf jeden Fall ein Statement geben zu der unfaßbaren „Du bist Deutschland“-Kampagne. Der Song heißt „Wier thind ssuper“. Dann gibt’s einen Anti-Nazi-Song. Eine Reaktion auf die Verwendung eines Ärzte-Songs auf Nazi-Demos.

Was?

Ja, nicht nur Ärzte, sondern auch Wir Sind Helden, Ton Steine Scherben. Es gibt ja diesen neuen Schub von Nazis, die Nachgeborenen, die „Cleveren“, mit Abitur und so. Die starten jetzt die große Verunsicherungs-Aktion. Und sagen zum Beispiel: „Wir können alle die Ärzte hören. Nur, weil wir wollen, daß die Ausländer raus sollen, können wir doch trotzdem die Ärzte hören, wie die Unken Zecken.“ Und das soll mir halt nicht passieren, drum hab ich diesen Song geschrieben. Er heißt „Deutsche, kauft nicht bei Nazis“, und den werde ich im Netz kostenlos zur Verfügung stellen. Ich bin auch beteiligt an einer Aktion mit der Punkband ZSK für eine Info-DVD zum Thema Neonazis und NPD, die gratis in Plattenläden etc. verteilt werden wird… Doch, das sind schon zum Teil Songs eines politischen Menschen, aber es ist auch klar, daß ich nicht den ganzen Tag rumsitze und jammere „uaah, jetzthaben wir’ne CDU-Kanzlerin, dasgehtdoch bestimmt schief, blabla“. So frustriert bin ich nicht. Die Wahrnehmung ist ja wohl auch nicht so, daß man denkt: Der Bela grübelt den ganzen Tag über die Merkel. Wahrscheinlich grübelst du mehr über die Merkel… … als viele glauben. Das kann schon sein. (lacht) Du machst unfaßbar viel Zeug. Deine Filmographie zum Beispiel ist mittlerweile ellenlang…

Ja, ich mach viel. Mich reizen halt Dinge. Und … ich weiß nicht, ich mag mich nicht als Workaholic bezeichnen, aber Leute sagen das schon manchmal über mich. Ich sehe es lieber so, daß ich eben künstlerische Grenzen ausloten möchte.

Kommst du noch zur Ruhe?

Jaja, doch, das schaffe ich schon noch. Ich war jetzt zum Beispiel gerade zwei Wochen im Urlaub. Und ich kann auch bei den meisten Sachen, die ich arbeite, ganz gut entspannen. Weil es mich befriedigt. Ich bin ja kein Werbepräsentator und muß keine Dinge machen, die ich nicht will, um Geld zu verdienen.

Lee Hazelwood singt mit auf der Platte. Was geht?

Das war einfach ’ne Idee. Ich verehre Lee Hazelwood schon lange, seit Punk-Tagen. Die Songs von Lee &. Nancy liefen ja auch im „Risiko“, der Kneipe von Blixa Bargeld. Da fing relativ früh in den 8oern eine Rückbesinnung an auf die wirklich düsteren Protagonisten der Musik. Und Lee Hazelwood gehört da sicherlich dazu. Er hat sehr vieldeutige, düstere Texte gemacht. Und hat diese extrem tiefe Stimme. Das hat mich immer schon berührt, genau wie Johnny Cash. Und als ich beschlossen hab, auf der Platte so einen Hang zum 6os-Glam/Twang auszuleben, hab ich an Lee Hazelwood gedacht. Und ob man den dazu bringen könnte, daß er irgendwas spricht, ein Intro oder so. Dann haben wir Kontakt aufgenommen. Er war leider gerade im Krankenhaus, sie haben ihm ’ne Niere rausgenommen – Krebs. Da hatte ich den Plan schon fast abgehakt. Und plötzlich kam eine Email, in der seine Bedingungen standen. Und wir haben sofort die Plattenfirma angerufen. Und als es dann hieß, er könnte sich auch ’nen größeren Part vorstellen in dem Song, hab ich einen komplett neuen Text geschrieben. Der Song heißt“Lee Hazelwood und der erste Song des Tages“ und es geht um den ersten Song, den du am Tag hörst und der dich dann den ganzen Tag begleitet und dich fertig macht. Was Radio-DJs anrichten können. Wir wird die Sache live aussehen ? Big production ? Das bleibt total familiär. Wir vier. Olson, Wayne, Lulu und ich. Und Danny von Gluecifer- die haben sich ja leider aufgelöst – wird Schlagzeug spielen. Die Band heißt Bela B. Y Los Helmstedt.

Helmstedt?

Helmstedt ist doch der ganz große Wiedervereinigungs-Verlierer. Als Grenzstadt war Helmstedt mal im Fokus der Aufmerksamkeit, heute kennt sie kaum noch einer. Helmstedt ist heute ein Synonym für „to tal abgerockt“. Abgerockter als Helmstedt geht nicht. Die ganzen letzten Jahre haben sie rumgejammert über Bitterfeld und Halle und all die Städte im Osten, die wieder aufgebaut werden müssen. Die sind jetzt aufgebaut. Aber Helmstedt interessiert keine Sau. Von der Welt vergessen…

… aber nicht von mir! Mein Ziel ist natürlich, Ehrenbürger von Helmstedt zu werden. Drum wird unsere Tour im September auch in Helmstedt beginnen. Abgesehen davon ist das auch ein Wort, das sich auf Konzerten sehr gut rufen läßt. (skandiert) ,Helm-Stedt! Helm-Stedt!“

www.bela-b.de