Sonnenstrahlen durch Seattles Grau-in-Grau
Der neue Seattle-Sound ist eher beschwingt als düster – dafür gibt es kein besseres Beispiel als das Debütalbum von Michael Benjamin Lerner a.k.a. Telekinesis.
Seattle 2009. Am Wetter hat sich in den letzten zehn Jahren nicht viel verändert: Der Himmel ist immer noch verhangen, ein leichter Nieselregen begleitet beständig den Tag. Kein Wunder, dass diese Stadt einst zur Brutstätte für Musiker wurde, die den tristen Alltag in depressiven LoFi-Rock umsetzten. Vom Grunge-Hype vergangener Tage ist heute in Seattle nicht mehr viel übrig. Die Talentscouts kamen und gingen und gönnten der Stadt genügend Auszeit, damit dort eine neue Indie-Szene rund um Bands wie Fleet Foxes und Band Of Horses entstehen konnte. Der neue Seattle-Sound ist weniger düster, manchmal sogar richtig beschwingt und fröhlich – dafür gibt es kein besseres Beispiel als das Debütalbum von Michael Benjamin Lerner a.k.a. Telekinesis.
Die erste Telekinesis-Single „Tokyo“ ist eingängiger Power-Pop für warme Sommertage. Songs wie „Awkward Kisser“ und „Look To The East“ schlagen mit hämmerndem Piano und großen Refrains in die selbe Kerbe. Das ist immer noch Indie-Musik, die allerdings nicht so klingt, als wäre sie in Mamas Garage aufgenommen worden, sondern professionell produziert wurde. Als großer Fan von One-Man-Bands hat Lerner die Songs auf TELEKINESIS! im Alleingang geschrieben, gesungen und eingespielt. Beim Produzieren ließ sich der Rotschopf allerdings von Death-Cab-For-Cutie-Bassist Chris Walla unter die Arme greifen: „Chris ist nicht nur einer der nettesten Typen auf dem Planeten, er ist auch ein totales Genie“, schwärmt Lerner. „Er geht Risiken ein, und hat damit fast immer Erfolg. Er sucht immer nach etwas Neuem, nach etwas, das ihn inspiriert.“
Die elf Songs des Albums wurden in nur zwei Wochen aufgenommen und abgemischt. Lerner: „Das ist schon eine unglaubliche Art und Weise, ein Album einzuspielen. Man kann nicht zurückschauen und muss sich dem Moment hingeben. Ich denke, das ist ein großer Unterschied zu der Art und Weise, wie die meisten Künstler heute Platten aufnehmen, mit Pro-Tools oder Logic. Im Studio höre ich die Leute immer sagen: ‚Lass uns das später korrigieren’. Diese Herangehenswiese wollten wir unbedingt vermeiden.”
Trotz des hohen Arbeitspensums klingt das Endprodukt leichtfüßig und relaxed – eben so, wie man es von Musik aus Seattle lange Zeit nicht gewohnt war. Vielleicht ist es eine Form von Eskapismus, der Lerner mit Telekinesis frönt. Vielleicht strahlt er damit die Sonne in sein Leben, die ihm seine Heimatstadt meistens verwehrt. Vielleicht ist er auch einfach Optimist.Der Schlusssong “I Saw Lightning” bringt das hoffnungsvolle Gemüt des Songwriters und die melancholische Grundstimmung der Stadt in Einklang: „I wanna care for you when you are all alone/Sit inside our house and unplug all our phones/Watchin’ raindrops stream down on our window sill/Let’s be in love”. Und in Seattle brechen ein paar vereinzelte Sonnenstrahlen durch das Grau in Grau…