Soul Asylum


Jammerlappen aus Grunge-Gefilden sind Dave Pirner (l.) aus tiefster Seele zuwider. Anders als mancher Kollege genießt der Vordenker von Soul Asylum seinen Ruhm. Daß er von richtigen Rockern bisweilen belächelt wird, tut Pirner als bloße Arroganz ab

Dave Pirner ist zu Scherzen aufgelegt: „Miles from David“, schmunzelt der Frontmann von Soul Asylum in Anspielung auf den verblichenen Jazzer Miles Davis, bevor er zur Trompete greift und mit ein paar schrägen Tönen den nächsten Song einleitet. Pirner und Kollegen haben sich im Kölner ‚Luxor‘ eingefunden, um in verqualmter Clubatmosphäre die Songs ihres neuen Albums ‚Let Your Dim Light Shine‘ zu präsentieren. Dabei geben Soul Asylum sich so relaxed wie selten. Und auch beim Interview am Tag darauf hängt Pirner noch ein gemütliches Grinsen im Gesicht. Das mag zum einen an den vielen Bierchen liegen, deren Kronkorken sich bereits am frühen Nachmittag auf dem Tisch stapeln. Zum anderen aber auch an Pirners entspannter Einstellung zum Business im allgemeinen und zu den Medien im besonderen. „Ich kann das ewige Gejammere von Bands wie Pearl Jam nicht verstehen,“ gesteht der zufriedene Medienliebling aus Amerika. „Diese Leute spielen sich als ewige Verweigerer auf, meckern über die Medien und den Starkult. Dabei ist das doch alles Quatsch. Irgendwann muß man doch die Entscheidung treffen, ob man Erfolg haben will, und sich dann auch vernünftig mit den Konsequenzen arrangieren.“

Pirner, der spätestens seit dem durchschlagenden Erfolg des zum Gassenhauer mutierten Songs ‚Runaway Train‘ weiß, was es bedeutet, im Rampenlicht zu stehen, hat seine eigene Art, die Presse in Zaum zu halten. So verbat er sich kategorisch jede Frage zu seiner Le bensgefährtin Winona Ryder. „Natürlich steht trotzdem jeden Tag irgendwas über uns in den US-Blättern“, stöhnt er. „Aber ich betreibe wenigstens Scha densbegrenzung und versuche zudem, über die teilweise irrwitzigen Stories zu lachen.“ Zisch – an dieser Stelle ist das nächste Bierchen fällig, wobei das Gespräch von Winona zu dem für Pirner ungewöhnlichen Instrument vom Vortag übergeht. Jetzt reicht Daves Dauergrinsen bis zu den Ohren: „Ja, die Trompete. Das war nur ein Gag. In der Schule habe ich allerdings tatsächlich Trompetenunterricht bekommen. Damals habe ich versucht, Songs von den Replacements nachzuspielen, was mir dann aber doch zu kompliziert war. Da habe ich die Backenbläherei schnell wieder aufgegeben.“ Genauso wie das Image des Alternative-Helden? Bei dieser Frage räumt Pirner, immer noch allerbester Dinge, mit leidigem Schubladendenken gründlich auf: „Independent, Alternative, Underground — so ein Riesenmist! Seit Nirvana wollen alle ein Stück vom großen Kuchen und blicken leidend in die laufenden MTV-Kameras. Die haben doch einen schweren Kreuzigungskomplex. Sorry, aber ich kann einfach keinen Hehl daraus machen — mir geht es fantastisch, und ich bin glücklich, daß meine Musik so vielen unterschiedlichen Leuten gefällt. Ich werde mir sicherlich nicht die Kugel geben, weil 14jährige Kids aus der Mittelschicht auf mich abfahren.“

Pirner fährt sich durch die verfilzten Haarsträhnen, die ständig verhindern, daß man viel mehr als seine Nase zu Gesicht bekommt, um dann über das Selbstverständnis seiner Band zu referieren: „Soul Asylum hat in Wirklichkeit nie zum Alternativzirkus gehört. Die neue CD zeigt das deutlicher denn je. Beim Komponieren habe ich unterbewußt auf Einflüsse aus meiner Jugend zurückgegriffen. Damals hörte ich fast ausschließlich bodenständigen Seventiesrock. Wohl auch deshalb sind wir live sehr viel härter als auf Platte. Da freuen wir uns über die Kids in der Arena, über Slamdancing und Stagediving. Aber ich sehe partout nicht ein, warum sich die Hausfrau von nebenan bei unseren Balladen ein verträumtes Stündlein auf dem Küchensofa verkneifen soll. Durch so was verlieren wir doch nicht an Credibility. Im Gegenteil.“ Mit einem lauten Seufzer köpft der 31jährige Pirner, der nun selbst zu leiden scheint, die nächste Flasche: „Manchmal wünsche ich mich zurück in die 70er Jahre. Damals durfte ein Rockstar noch Glamour verbreiten, ohne vom sogenannten Untergrund gleich zur persona non grata erklärt zu werden. Wo ist nur die Liberalität geblieben? Musik soll doch vor allem Freude verbreiten — und nicht Anlaß sein für Krieg unter Künstlern.“ Wohl war. Dennoch blickt der Underground verächtlich auf den Mainstream, macht sich die Alternativszene über die Popkollegen lustig. Was die meisten im Eifer des Scheingefechts übersehen: Längst schon sind die Grenzen fließend. „Klar“, bestätigt Pirner, „genau das ist der Grund für die gegenwärtige Panik. Jede Kapelle hat Angst, plötzlich nicht mehr als Indieband zu gelten.“ Eine Phobie, unter der Dave und die Seinen nicht leiden. „Herrgott noch mal“, entfährt es dem aufrechten Pirner, „Soul Asylum ist Mainstream, und es gibt absolut keinen Grund, darüber zu jammern. Manche Musiker tun gerade so, als sei es eine Schande, von Durchschnittsmenschen gemocht zu werden.“

Während ein weiteres Bier die Kehle befeuchtet, redet Pirner sich über die undankbaren Menschen der Musikbranche langsam aber sicher in Rage.

Während bestimmte Leute sich pausenlos über irgendwelche Nichtigkeiten beschwerten, so der Sänger, „setzen die konservativen Kräfte in den USA — lauter Irre und Idioten — alles daran, die politischen Errungenschaften der 60er und 70er Jahre zunichte zu machen. Früher hätte der ach so großartige, sogenannte Untergrund darauf reagiert. Heute aber sind alle mit Imageproblemen, sinnlosen Grabenkämpfen und ihrer eigenen kleinen Nabelschau beschäftigt. Manchmal widert mich die Szene ganz schön an.“

An dieser Stelle lüftet Pirner erstmals die filzige Dreadlock-Gardine vor seinen Augen, um mit funkelnd erregtem Blick ein letztes Mal über seine nörgelnden Kollegen herzufallen: „Das dauernde Abtauchen in eine eingebildete, selbstmitleidige Untergrundwelt ist so endlos feige. Die betreffenden Musiker sollten sich lieber wieder mehr mit den Problemen ihrer Umwelt auseinandersetzen. Das Video zu ‚Runaway Train‘ beispielsweise hat vielen Leuten, die ihre Kinder vermißten, geholfen. Da können meine werten Kollegen noch so viel über den Erfolg dieses Songs lästern — am Ende sind sie trotzdem Milesfrom David.“