Sounds now!
"Harmonie muß das Ganze beherrschen, wenn man das Höchste erreichen will", sagte Goethe zum Thema Musik. Hat er Recht? Und wenn ja, gilt das auch für den Rock'n'Roll? Ein Diskurs zum Hören.
1 The Weakerthans – Civil Twilight
Beglückender Song über eine glücklose Liebe: Die Kanadier betrachten das Leben aus ungewöhnlichen Perspektiven.
„Civil Twilight war bei The Weakerthans kurzzeitig als Titel für das neue Album im Gespräch, nun ist es „nur“ der Name des Openers. Reunion Tour – auf diesen Albumtitel hat sich die kanadische Band schließlich geeinigt- ist eine Platte „über Männer, und zwar nicht besonders liebenswerte Männer“ geworden, sagt Sänger John K. Samson. Ziel sei dieses Mal gewesen, weniger autobiografisch zu arbeiten – Samson schlüpft in seinen neuen Songs in verschiedene Charaktere, die in einigen Fällen weit von seiner eigenen Persönlichkeitsstrukturabweichen. Die Arbeitsweise hat sich bewährt: Reunion Tour ist ein charmantes und in Sachen Songwriting anspruchsvolles Indierock-Album geworden, mit dem die Band unter den The-Shins-, Nada-Surf- und Long-Winters-Fans zahlreiche neue Freunde finden wird.
2 The Wombats – Kill The Director (CSS Remix)
Eine der besseren der vielen guten Bands, die sich in England derzeit nach oben kämpfen – im Remix.
Lange bevor das Album auf der heimischen Insel und in den USA erschien, veröffentlichten The Wombats aus Liverpool bereits eine Kollektion von Songs in Japan. „Es gab Bedarf, also haben wir schnell reagiert. Das waren fast noch Demos – die neuen Versionen klingen ungefähr elf Mal besser“, sagt Schlagzeuger Dan Haggis. Vor und nach einem Auftritt bei der South By Southwest Musikmesse in Austin wurde die Band von unzähligen Plattenfirmen umworben: „Es gab Nächte, an denen fünf A&R-Typen von fünf verschiedenen Labels abwechselnd gefragt haben, was wir trinken wollen“, erzählt Dan kopfschüttelnd – und unterzeichnete schließlich bei 14th FloorRecords, dem Zuhause von Damien Rice, Biffy Clyro und Ray La Montagne. Als Vorgeschmack aufdas Debüt-Album erscheint die EP The Wombats, auf der dieser Remix von „Kill The Director“ enthalten ist. Gebastelt haben diese Neuversion die großartigen brasilianischen Edelhipster CSS (Cansei de ser sexy).
3 Hot Hot Heat – Harmonicas & Tambourines
3 It’s The Heat: Der Chef der aufgedrehtesten Band der nordamerikanischen Westküste hat seine Lebensfreude verloren -und wiedergefunden.
Zerbricht die erste grolle Liebe, muss danach nicht selten gleich das ganze Leben neu sortiert werden. „Es ging steil abwärts“, sagt Hot-Hot-Heat-Sänger Steve Bays über die Zeit nach der Trennung von seiner langjährigen Freundin. „Ich bin in einen Strudel aus selbstzerstörerischem Verhalten gezogen worden. Ich musste herausfinden, wer ich bin und was ich will. Das hat mein ganzes Weltbild veröndert – ich bin durch eine Art Identitätskrise gegangen. Als ich das Ende des Tunnels erreicht habe, war ich ein viel zufriedenerer Mensch. Ich habe gelernt, wie wichtig die Musik für meine innere Ausgeglichenheit ist.“ Ergebnis des wiedergefundenen Lebensmutes ist Happiness ltd., das aktuelle Album der kanadischen Band.
4 Stars – Window Bird
So viel mehr als nur ein schöner Song: Die Stars vermitteln stets das Gefühl, uns mit ihrer Musik in ein lange gehütetes Geheimnis einzuweihen.
Freundlich, fast zärtlich nimmt „Window Bird“ unsere Hand, drückt sie ganz sanft, bis wir Vertrauen fassen und uns blind in eine fremde Welt führen lassen. Nicht alles ist wie es scheint im Universum der Stars – früher oder später wird jeder die Orientierung verlieren: „We’ll both rise, we’re falling“, singt Amy Millan. Wo sind wir? Und warum haben wir keine Angst? Man braucht Zeit und Ruhe – auch wenn einen mit der Ruhe das Zeitgefühl verlässt-, um den Phänomenen nachzuspüren, die beim Versinken in In Our Bedroom After The War, dem vierten Album der Band aus Montreal, auftreten. Wer sich auf diese Platte einlässt. den lässt sie vielleicht nicht mehr aus.
5 Nick Drake – Way To Blue (Family Tree Version)
Früher, minimalistischer Entwurf des späteren Klassikers.
Robert Kirby, der mit Nick Drake bereits zu Studienzeiten befreundet war und später die Streicherarrangements für den Folksänger ausarbeitete, nahm diese frühe Version von „Way To Blue“ in seinem Zimmer im englischen Cambridge auf. „Ich hab‘ nur ein einziges Mikrofon benutzt“, sagt Kirby, der damals noch im Teenager-Alter war.“Bei ‚Way To Blue‘ hat Nick auf meinem alten und nur in unregelmäßigen Abständen gestimmten Klavier gespielt. das ich von einem örtlichen Musikladen gemietet hatte“ Diese intime Version von „Way To Blue“ erscheint nun auf Family Tree. einer Sammlung von Raritäten und Coverversionen, die nicht auf den drei offiziellen Alben enthalten waren, die Nick Drake vor seinem Tod 1974 veröffentlicht hat.
6 The Robocop Kraus – Standing In The Punchline
Melancholische Euphorie! Euphorische Melancholie? Egal. Der Song dokumentiert die Weiterentwicklung der Nürnberger Band.
In neuen Bahnen „verspielt und ausufernd“, „bunt und psychedelisch“ – wollten The Robocop Kraus bei den Aufnahmen der neuen Platte Blunders & Mistakes denken. Wie soll man einen (oder auch gleich zwei) Schritt(e) weiter gehen, wenn man sich selbst keine neuen Ziele steckt? Wer mit Fans gesegnet ist, die die gute von der schlechten Musik unterscheiden können, darf nicht auf der Stelle treten. Die Mission ist geglückt: Die Band aus dem Frankenland hat sich musikalisch weiterentwickelt, einen neuen Sound gefunden und mit Produzent Tobias Levin im Studio in Hamburg und in Nürnberg ihr bis dato wohl stärkstes Album aufgenommen.
7 Five!Fast!!Hits!!! – I’m A Mugwump
It’s only Rock n Roll, but we etc. etc.
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wollten Five! Fast!! Hits!!! mit ihrem Song „I’m A Mugwump“ auf die Probleme der nordamerikanischen Ureinwohner vom Volksstamm der Omämiwinini hinweisen, in deren Sprache „Mugguomp“ „wichtige Person“ und „Kriegsherr“ bedeutete, oder aber sie wollten einen – im Kontext einer versoffenen Nacht völlig sinnfreien – Slogan lediglich aus purer Lust an seinem schönen Klang zum Titel eines verdammt lässigen Rock’n’Roll-Songs machen. Wie dem auch sei-die Nummer funktioniert blendend als Opener des Debüt-Albums BROTHERS FROM DIFFERENT MOTHERS.
8 Kilians – Dizzy
Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah…
Dreiminutenneunzehn, ein perfekter Spannungsbogen und eine ebenso perfekt unterspannte Vocalperformance: Die Kilians aus grandmotherfucking Dinslaken haben den Rock’n’Roll nicht neu erfunden (das hat ja – Hallo Exkursion! – zum Glück vor 56 Jahren Ike Turner bei der Aufnahme von „Rocket 88“ mit seinem verzerrenden Loch im Gitarrenverstärker schon getan), aber sie haben ihn voll und ganz kapiert. Verweise auf zeitgenössische internationale Kapellen (bevorzugt aus New York und Borlänge, dem Dinslaken Schwedens) gibt es auf ihrem Debüt Kill The Kilians zuhauf, doch soll man sich davon den Spaß verderben lassen? Die Kilians können – zumindest im nüchternen Zustand – auf ihren eigenen Beinen stehen.
9 Menomena – Evil Bee
Psychedelischer Pop, der sich ms Experimentelle vorwagt, ohne dabei den Song hinter sich zu lassen.
„Französischer Pop/japanischer Pop/Deutscher Pop“ so bezeichnen Menomena selbst ihre Musik mit einem Augenzwinkern. Wiesoll man diese verspielten, in jede Richtung offenen musikalischen Kunstwerke auch beschreiben? Die Band aus Portland, Oregon, war für viele Menschen, die nach spannenden Klängen abseits des Mainstreams suchten, eine der Entdeckungen des Jahres – als Kuriositätenkabinett aber wollen sie zu Recht nicht gelten, ,/ils wir mit The Long Winters in den USA auf Tour waren, wurden wir immer als komische Jazz-An-Auantgarde-Band betrachtet. Vielleicht sind wir nicht ganz so geradlinig wie The Long Winters, aber wir sind auch kein Haufen Irrer, der auf Kozoos spielt“, sagt Justin Harris von Menomena. „Evil Bee“. ein Song über einen Spaziergang mit einem unsichtbaren Freund und den Wunsch, eine Maschine zu sein („Wir sind kein Haufen Irrer, der…“ etc. etc.) findet sich auf ihrem aktuellen und dritten Album, das den Titel Friend And Foe tragt.
10 Kevin Drew – TBTF
Track vom Solo-Album des Broken-Social-Scene-Mitglieds, aka – Achtung Klatsch! – Feists Boyfriend. Nach Jason Collett, Amy Milan und Apostle Of Hüstle veröffentlicht nun das nächste Mitglied des brillanten kanadischen Musikerkollektivs Broken Social Scene ein Soloalbum. Auf ganzer Länge betrachtet, mag Kevin Drews Werk experimenteller als die seiner Kollegen sein-liebenswerte, melancholische Folksongs, die derzeit kaum jemand so gut beherrscht wie die Kommune aus Toronto, hat aber auch er eingestreut. Für die Akten: „TBTF“ steht für „Too Beautiful To Fuck“. Das von den BSS-Mitgliedern Ohad Benchetrit und Charles Spearin produzierte Album heißt Spirit If … Um ein Fortbestehen des Mutterschiffs muss man sich übrigens keine Sorgen machen-die Mitglieder treibt es immer wieder zu ihrer Familie zurück. „Wir leben in dunklen, dunklen Zeiten“, sagt Kevin Drew. „Und wenn du in irgendetwas deine Einheit findest, dann gibt dir das eine Menge Kraft.“