Stumm unter Marktschreiern


Seine Firma ist das Indie-Label Nr. 1 doch Mute-Chef Miller möchte sich am liebsten totschweigen

Er sieht aus wie ein kräftig gebauter Bankangestellter, nicht aber wie der Chef einer weltweit operierenden Plattenfirma. Um die Hüften ist er in den letzten Jahren ein wenig füllig geworden; seine lange Mähne ist graumeliert. In Ehren ergraut ist Miller aber keineswegs. Der Gründer und Chef des englischen Labels Mute zählt wie eh und je zu den kreativsten Spürnasen der Szene. Nicht zuletzt deshalb genießt Miller unter Kollegen höchstes Ansehen. Das schlug sich erst unlängst in einer Trophäe nieder, die man ihm beim letztjährigen“.Neu Music Seminar“ in New York verlieh: Mute wurde als „innmutivsies Label des vergangenen Jahrzehnts“ geehrt. Millers Reaktion war typisch: Er hielt keine lange Dankesrede, sondern meinte lediglich kurz und bündig: „Ich glaube nicht, daß mir dieser Pokal gebührt, sondern den Künstlern, die mir und denen ihre Hörer vertrauen.“

Die Bescheidenheit ist keine Koketterie: Miller sieht seinen Platz als Macher tatsächlich im Hintergrund. Deshalb kostete es auch viel Zeit und Überredungskraft, bis er sich überhaupt einmal vor ein Mikrophon locken ließ.“.Es ist mir nach wie vor peinlich, über mich selbst reden zu müssen. Zeigt doch lieber Fotos der Mute-,Musiker“.

Dabei hatte der Label-Chef, der sein Handwerk beim englischen Independent-Vertrieb Rough Trade lernte, einst selbst musikalische Ambitionen: Unter dem Pseudonvm The Normal produzierte er Ende der 70er Jahre die erste Mute-Single: „Warm Leatherette“. in einer Startauflage von 500 Kopien gepreßt, wurde zur Kultplatte, und Grace Jones machte das gute Stück später sogar zum Hit. 198t) brachte Miller seine zwei Leidenschaften – Elektronik und Oldies — unter einen Hut. indem er unter dem Namen Silicon Teens eine Party-Platte mit Synthie-Versionen bekannter Oldies aufnahm. Da drängt sich die Frage auf. ob er nicht doch ab und zu Lust verspürt, mal wieder seihst ms Studio zu gehen? Er lacht trokken: „Du meine (iiiie, nein. Dazu kenne ich mittlerweile zu viele Musiker, die wirklich was von ihrem Handwerk verstehen.“

Von guter Musik versteht er dennoch eine Menge — von Musik, die den Reiz des Neuen mit kommerziellem Potential verbindet. Millers Mute-Label ist vermutlich das erfolgreichste Independent- Unternehmen der 80er Jahre. Und seinen guten Ruf verdankt Mute nicht alleine den Hitparaden-Volltreffern von Depeehe Mode. Millers ertragreichster Entdeckung, von der er sagt: „WiV hüben unsere Zusammenarbeit nach wie vor nicht mit einem Vertrag fixiert — ckts funktionierte von Anfang an alles per Handschlag und auf der Basis gegenseitigen Vertrauens.“ Denn neben Charts-Stürmern und Publikums-Lieblinaen wie Erasure. Nick Cave und Inspiral Larpets prägen auch Avantgardisten wie Diamanda Calas. Laibach oder Mark Stewart das Profil des Labels, dessen Veröffentlichungspolitik ausschließlich von Millers persönlichem Geschmack bestimmt wird.

So knüpften sich wohl auch Millers Verbindungen zum aufstrebenden Dancefloor-Label Rhvihm King (u.a. Betty Boo) wie von selbst: „Die beiden Gründer haben ihr Büro im gleichen Haus nie Mine. Und deshalb fragten sie mich, ob ich midi nicht beteiligen wolle, als sie Kapital brauchten. “ Miller hatte genug auf dem Konto, um den Rhvthm Kinss auf die Beine zu helfen. Die mageren Pionierjahre sind sowieso längst passe — heute kann es sich der gemächlich wirkende Mute-Gründer immerhin leisten, notfalls auch auf sechsstellige Pfundbeträge zu verzichten, wenn es ums Prinzip geht. So stundete er im März dieses Jahres der in Großhritannnien schwer angeschlagenen Vertriehsorganisation von Rough Trade bis auf weiteres alle Schulden, um seine einstigen Arbeilgeber vor dem Ruin zu reiten. „Wir haben in der Imiie-Szenc als Idealisten angefangen, und ich bin noch immer einer“, betont er. „Ich halle nichts von Rechtsanwälten und Buchhaltern.“