The Flaming Lips
Ausserirdische, Superhelden, Fabelwesen und die Musik erst! Wayne Coyne und seine Buam verhelfen Hamburg zu seinem Recht auf Durchdrehen.
Schon der Vorraum der Halle flirrt in freudiger Erwartung. Wer die Fläming Lips schon live erleben durfte, nutzt die letzten Minuten, um unwissenden Begleitern noch einmal den Mund wässrig zu machen: „Das wird das Beste, was ihr je gesehen habt! „Ein freundlicher Mann kommt vorbei und wedelt mit Papptickets: „Do you ivant to dance onstage?“ Es ist der Schlagzeuger der Lips, Kliph Scurlock, der noch Showstatisten sucht. Einige wenige trauen sich, die anderen schütteln schüchtern die Köpfe.
„Dann stecken die mich noch in ein Hummelkostüm. Das ist mir dann doch zu warm.“ Ach du meine Güte … Die Vorband Midlake bezaubert mit feinen, geradezu erfrischend konservativen Melodien. Die Halle nimmt s freundlich auf, obwohl die Atmosphäre vor Anspannung und Vorfreude zum Schneiden dicht ist. „Es ist spannend, nicht genau zu wissen, wann der Funke zwischen Band und Publikum überspringt“, hat Lips-Chef Wayne Coyne einmal gesagt. Daß er lediglich nach dem „Wann“ fragt und das „Ob“ nicht einmal als Option gelten läßt, spricht für gToßes Selbstbewußtsein. Wayne Coyne weiß: Er ist ein ganz hervorragender Entertainer. Und trotzdem: Als in der Umbaupause Boxen zu schleppen sind, packt er routiniert mit an. der alte Obersympath. Das Publikum johlt, er winkt freundlich. Der Tonmann checkt den Sound mit lustigen Durchsage-Loops, und durch die Menge bahnt sich ein riesiger, grinsender Kerl im Superheldenkostüm seinen Weg: der Lichtmischer. Nicht nur die Band ist dafür bekannt, ein wenig, nun, anders zu sein; sie scheint auch ihr Team angesteckt zu haben. Da ist der Funke offenbar vor geraumer Zeit schon übergesprungen. Wann sind wir dran?
Dann wird’s dunkel und während noch das lntro läuft, ist schon mehr als klar: Das Wann ist genau JETZT. Hunderte Luftballons kommen aus dem Nichts über die Bühne ins Publikum gehüpft. Konfettikanonen! Luftschlangen! Das Publikum stutzt erst, dann tobt es. Wayne Coyne schwenkt einen Strahler herum, der die ohnehin schon atemberaubende Lichtshow untermalt. Links und rechts von der Bühne: Keine Hummeln zwar, doch Weihnachtsmänner und Außerirdische, bewaffnet mit Scheinwerfern, sich argwöhnisch beäugend, mitwippend. Sie stehen für die Mystizismen, mit denen die Fläming Lips laut Albumtitel auf Kriegsfuß stehen.
„Wir hatten sogar überlegt, auch noch einen Jesus auf der Bühne zu haben“, erklärt Coyne später der UK-Presse, „aber das war uns dann doch zu sehr wie The Polyphonic Spree.“
Das ist der Punkt: Coyne &. Co. sind kein ominöser Kult, sondern ganz normale Leute, die, statt an seltsamen Blödsinn zu glauben, einfach nur klug genug sind, regelmäßig ihr Recht auf Durchdrehen einzufordern. Daß dabei eine Fischaugenkamera auf Coyne gerichtet ist, dem das Kunstblut das Gesicht herunterrinnt, während hinten sein kleiner Neffe auf der Leinwand im Superman-Kostüm herumspringt, macht es dem Publikum nur noch leichter, sich mit Haut und Haaren in dieses Happening hineinfallen zu lassen. Beim „Yeah Yeah Yeah Song“ wird hemmungslos mitgesungen, zu „She Don’t Use ]elly“ gehüpft und getanzt, und zu „Yoshimi Battles The Pink Robots“ holt Coyne mit ewiger Verspätung {„Ich konnte sie nicht finden!“) die Nonnen-Handpuppe raus. Dazu immer wieder Luftschlangen, Weihnachtsmänner, Außerirdische, Blitzlichtgewitter. Und spätestens als zu „Do You Realize“ weitere Hektoliter Konfetti in die Menge geblasen werden, sieht man die ersten glückstränennassen Gesichter. Wayne Coynes Ansagen zwischendurch drehen sich um Nächstenliebe und das kleine Schlupfloch aus der Realität in die Traumwelt. Niemand könnte solche Botschaften unpeinlicher verpacken. Coyne ist nicht Bono, Coyne ist einer von uns. Und zwar ein Kluger. „Rock’n’Roll tvon t change the World“, gibt er zu. „Wenn ich das wollte, wäre ich Politiker geworden. Aber wenn die Musik mich oder euch oder uns für einen Moment verändern kann, ist das auch schon eine ganze Menge.“ Recht hat er. Und als sie am Schluß „War Pigs“ covern und George W. Bush von der Leinwand blickt, bleibt in all dem Freudentaumel sogar ein kleiner Platz für Wut. An der richtigen Stelle, versteht sich.»www.flaminglips.com
„Wayne Coyne ist in meinen Augen eine Art Prophet. Wenn der eine Sekte hätte, ich würde auf der Stelle beitreten. Das beste Konzert, das ichjegesehen habe. Ich muß mir dringend auch noch Karten für München kaufen.“ Matthias, 30, Erfinder
„Das war mal wieder Endorphinausschüttung von der ersten bis zur letzten Minute! Unglaublich. Wenn schon Reinkarnation, dann bitte als überdimensionale Hummel auf einem Flaming-Lips-Konzert!“ Sebastian, 23, und Andrea, 27, Studenten
„Super! Besser kann ein Konzert ja wohl nicht sein! Ich bin völlig hin und weg von den Flaming Lips! Geil! Ich muß mir jetzt sofort ein Bier kaufen gehen.“
Dennis, 29, Rockstar (Tomte)
„Mein erstes Flaming-Lips-Konzert. Wie oft wurde mir schon von ihnen vorgeschwärmt, und seit heute kann ich verstehen, warum. Was für ein Abend! Midlake haben mir auch sehr gut gefallen, und ich hab‘ deren Bandkasse durch den Kauf eines Tonträgers aufgefrischt.“ Michael, 29, Landwirt