The Jacksons


Sicher, die „Victory“-Tour ist schon jetzt Legende. „The Tour, The Hype, The Hysteria“ überschrieb das renommierte Newsweek-Magazin seine Titelgesichte. Dabei geht es bei dem ganzen Rummel nicht um die Jacksons, nein, da steht nur ER zur Debatte! Das Branchen-Fachblatt Billboard bringt gar eine Sonderausgabe mit einer Bauchpinsel-Anzeige nach der anderen. Doch läßt man das aufgeblasene Medien-Tamtam einmal beiseite, um nur die nackte Performance einer schwarzen Funk ’n‘ Soul-Truppe aus Gary, Indiana, zu bewerten, bleibt vom Zauber nicht viel übrig. Oh ja, natürlich die Akteure haben sich exzellent vorbereitet: Über 80 mal sollen die Brüder samt sechsköpfiger Begleit-Band den Ablauf dieser Show trainiert haben.

Dementsprechend sieht’s denn auch aus: Mechanisch, ja fast marionettenhaft kommen die eindreiviertel Stunden über die Rampe, jeder gesprochene Zwischentext scheint drehbuchmäßig festgelegt, jecie Textzetle ist choreographiert, Rauchbomben, Laser, Overhead-Video-Screen, abschließendes Feuerwerk… rundum hyper-perfekt!

An absolut alles wurde gedacht und trotzdem fehlt das Wichtigste. Nämlich das, womit auch die Musik der Über-Brüder gelegentlich bezeichnet wird: S-o-u-l! Da gibt es keinen Platz für persönliche Freiräume, Improvisationen oder gar einen Hauch von Menschlichkeit. Da ist nur dieses fleischgewordene Abbild dessen, was wir alle aus einer Scheinrealität von Videos und Titelblättern kennen.

Eigenartig die Zusammenstellung des musikalischen Programms. Kein einziger Song aus dem VICTORY-Album, was von der Gruppe offiziell damit begründet wird, daß man den Fans keine Songs zumuten möchte, die sie noch nicht richtig kennenlernen konnten. Doch auch auf „Thriller“ und „Don’t Stop Till You Get Enough“ wartet man vergeblich.

Trotzdem: ER hat genug Material, um den ohnehin in Ehrfurcht verharrenden 45000 Zuschauern zu zeigen, wer hier geradezu göttlich im Showbiz-Himmel thront. „Off The Wall“, „Lovely One“. „Beat It“ (Eddie Van Halens Jahrhundert-Gitarrensolo wird schmerzlich vermißt!), oder „I’ll Be There“, „Human Nature“ (im Medley mit seinem ersten Nr. 1 -Hit „Ben“, 1972), „Working Day And Night“…

Und wenn ER dann zu „Billy Jean“ einen schwarzen Hut aufsetzt und mit seiner famosen Dance-Routine förmlich über die Bühnenbretter hinwegzuschweben scheint, dann wird noch am ehesten deutlich, was für US-Szeneblätter schön längst Wahrheit ist: MICHAEL JACKSON, das neue Universal-Entertainer-Genie, ganz in der Tradition von Fred Astaire oder Judy Garland.

Nach nur 105 Minuten ist der Spuk vorbei. Etwas mager, vor allem, wenn man den Ticket-Preis von saftigen 30 US-Dollar (ca. 84 DM!) in Relation zum Gebotenen bedenkt. Und keiner formulierte dieses sich sanft einschleichende Rip-off-Gefühl besser als ein Kritiker, der da meinte: „Springsteen gives you twice as much show for half the money!“