„The Other Side of the Wind“ auf Netflix: Orson Welles ist’s auch egal
Der letzte Film von Orson Welles erscheint aktuell auf Netflix, Jahrzehnte nach dem Tod des vielleicht größten Regisseurs aller Zeiten. Man hätte ihn aber auch im Archiv lassen können.
Eigentlich müsste dieser Film als kleine Sensation durch die Fachpresse gehen und das Gesprächsthema von Filmfans auf der ganzen Welt sein. Aber es ist 2018 und Orson Welles allerletzter Film landet klangheimlich in der Mediathek des Streaming-Riesen Netflix. Dort wird er bald unter Staffeln von „The Big Bang Theory“ und Marvel-Filmen begraben werden, was zwar schade, aber nicht unpassend ist. Denn „The Other Side of the Wind“ war zuvor noch viel tiefer begraben.
Orson Welles, immerhin der Regisseur des als bester Film aller Zeiten geltenden „Citizen Kane“, starb 1985 in Los Angeles. Seit Mitte der 1970er lag sein letzter Film „The Other Side of the Wind“ unvollendet in einem Archiv in Paris. Mehrere Hundert Filmrollen hat Welles zwischen 1970 und 1975 mit Aufnahmen gefüllt, Schnitt und Postproduktion kamen allerdings nie zustande. Es fehlte das Geld und vielleicht auch die Lust des Regisseurs, der zuvor schon etliche Projekte unvollendet ließ.
Vor zwei Jahren beschlossen die Produzenten Frank Marshall sowie Peter Bogdanovich den Film zu beenden. Netflix, immer auf der Suche nach Kritikerliebe und Prestige, schoss das nötige Geld ins Projekt und brachte den Film bei den Filmfestspielen von Venedig im August 2018 unter. Die Stimmen nach der Premiere waren verhalten, auch beim jetzigen Release in der Mediathek wird Orson Welles das ganz große Comeback wohl verwehrt bleiben. Auch wenn es ihm selbst mittlerweile egal sein kann, logischerweise.
Ein schlechter Film in einem nervigen Film
Um das große Comeback geht es aber in dem eigentlichen Film, der leider deutlich weniger interessant ist als seine späte Fertigstellung. Halbwegs autobiographisch erzählt Orson Welles die Geschichte des ehemals wahnsinnig erfolgreichen und exzentrischen Regisseurs Jake Hannaford (John Huston), der noch einmal ganz groß in Hollywood angreifen will. Mit einem Film, der vor allem extrem und obszön ist, dessen Hauptdarsteller humorlos vom Set verschwunden ist. Und der (natürlich!) Probleme bei der Fertigstellung hat. Hannaford organisiert eine Party für Presse, Crew und Investoren, zeigt dort bisher gedrehtes und hofft auf Finanzspritzen.
Das Ergebnis ist ein Farce über affektiertes Hollywood-Gequatsche in den 70ern, unsympathische Menschen halten bedeutungsschwangere Reden über Film und sich selbst. Die Party wird Teil des filmischen Comebacks. Was teilweise für faszinierende Meta-Momente sorgt, ist größtenteils wenig unterhaltsam. „The Other Side of the Wind“ ist ein verfilmtes Bartzwirbeln, kann wohl nur Welles-Kennern wirklich Spaß machen. Orson Welles‘ Genie kommt zwar hier und da durch, mehr aber sein Frust als Filmemacher. Und eben die Tatsache, dass sein letzter Film nicht von ihm selbst fertiggestellt wurde. Am homogensten ist wohl der nachträglich eingespielte Score, der sich über Bilder der permanent nackt herumlaufenden Oja Kodar legt.
Unterhaltsamer und schlichtweg interessanter als „The Other Side of the Wind“ ist eine Dokumentation, die Netflix parallel in die Mediathek aufgenommen hat. In „Sie werden mich lieben, wenn ich tot bin“ wird die Aufarbeitung des lange unberührten Materials beleuchtet, dazu das restliche Schaffen von Orson Welles. Eine Geschichtsstunde, mitreißender als der Meta-Film ohne gelungene Pointe.