The Pogues – 7 Re-Releases


Das Gesamtwerk der versoffenen Pioniere des britischen Punk-Folk, von der Glorie bis zum unrühmlichen Absturz.

Keine Menschenseele, auch kein Knochenkopf aus des toten Manns Kiste hat den Pogues jemals Eskapismus und Realitätsflucht vorgeworfen. Volkstümlicher Schlager müsste man korrekterweise zu dem sagen, was die Band berühmt gemacht hat, und wenn man irgendwo auf der Erde in einen furchtbaren Irish Pub geht – wo BWL-Karohemden Brüderschaft mit britischen Austauschstudenten trinken -, dann findet man garantiert in einer Ecke ein bärtiges Männlein, das dieselben überlieferten Trink- und Tanzlieder spielt wie die Pogues auf ihren frühen Platten. Warum ihnen trotzdem keiner Eskapismus vorgeworfen hat? In erster Linie deshalb, weil sie eine so schnelle und so laute Band waren. Vor allem schnell.

Aus unerfindlichen Gründen lief im Jahr 1984 in der ARD-Show „Formel Eins“ das Video zu „Waxie’s Dargle“ vom ersten Pogues-Alburn, das sich in scheinbar bäurischer Einfältigkeit und seinem die Treppe herabstürzenden Stolpertempo so stark abhob vom restlichen Haarspray-Pop der Sendung, dass die Special-Effects-Regie den Schriftzug der Band hin- und herbaumeln ließ. Teil des Videos war die Glanznummer von Flötist Spider Stacy, der sich im Takt ein Biertablett aus Blech auf den Kopf schlug. 20 Jahre später mag das schwer nachzuvollziehen sein, aber genau so hörten sich die Pogues bei ihrer Ankunft an: als ob einem jemand ein Biertablett über den Kopf zieht. Auf dem Debüt ROSES FOR ME waren sie freilich am punkigsten, mit rein akustischen Instrumenten und einigen Traditionais, deren Arrangements sich kein Knöpfchen breit von denen unterschieden, die Fettsäcke mit Hosenträgern im Heuschober aufführten (wenn auch, wie gesagt: langsamer als die Pogues) . Schon hier kamen die besten Stücke jedoch von Sänger Shane MacGowan, damals 24, Ex-Punk und erfolglos therapierter Alkoholiker – seine Lieder hielten sich penibel an die musiktheoretischen Maxime des keltischen Folksongs, wurden aber vom Zynismus und gekränkten Stolz eines englischen Neuzeit-Verlierers angetrieben und von MacGowan mit einem röchelnden Furor gesungen, als hätte er sich längst zu den Londoner Ratten ins Nest gelegt.

Die schönsten, grausigsten Geschichten erzählt er auf RUM, SODOMY & THE LASH von 1985. „The Sick Bed Of Cuchulainn“ über den Todeskampf eines irischen Nationalhelden, gleichzeitig eine Parabel auf die Alkoholsucht. „A Pair Of Brown Eyes“ über den Schmerz eines Wehrdienst-Veteranen, natürlich ein Kommentar zum Falkland-Krieg. „Sally MacLennane“ über einen sozialen Aufsteiger, der nach Jahren in sein Dorf zurückkommt und bemerkt, dass sich die alten Freunde alle totgesoffen haben. Klar sind das wundervolle Song-Kunstwerke, aber MacGowans eigentliche Genialität lag darin, wie er durch alte, tradierte Masken vom knochigen Hier und Jetzt sang, wie er das Jammern der Gebeutelten auf quasi historisches Niveau hob. Produzent Elvis Costello sorgte dafür, dass der klangliche Mehrwert gegenüber dem Debüt nicht auf Kosten der Schlagkraft ging. IF I SHOULD FALL FROM GRACE WITH GOD war dann auch in musikalischer Hinsicht überwältigend: Die Band probierte erstmals internationale Trinklieder-Techniken aus, zitierte Schlangentänze, Verfolgungsjagden aus dem 3oer-Jahre-Chicago und Broadway-Kitsch, wurde wegen eines Songs über IRA-Inhaftierte von der BBC boykottiert. Neben MacGowan trug sich Gitarrist Philip Chevron mit der grandiosen Glücksritter-Hymne „Thousands Are Sailing“ ins Songwriter-Verzeichnis ein. Und wenn man sich entscheiden muss, dann gelang den Pogues mit „Fairytale Of New York“ ihr Song für die Ewigkeit, ein Weihnachtslied über ein in den USA gestrandetes irisches Paar, in dessen zweiter Strophe Duettpartnerin Kirsty MacColl dem armen MacGowan nur Beschimpfungen an den Kopf knallt. Wer diese drei großen Pogues-Platten schon hat, muss sie sich leider noch einmal kaufen, denn die aktuellen CD-Neuauflagen sind beispielhaft gut – originelle Grußworte von prominenten Fans wie Tom Waits und Jim Jarmusch, sehr brauchbare Begleittexte und Archivfotos, vor allem je sechs sensationelle Bonus-Tracks, auf RUM, SODOMY & THE LASH u.a. die rare „Poguetry In Motion“-EP. Erschließen muss man sich das selbst, discographische Angaben fehlen unbegreiflicherweise.

Nach GRACE WITH GOD haben die Pogues nichts mehr zustande gekriegt. Shane MacGowan verbrachte entschieden zu viel Zeit auf seinen Acid-Trips, konnte keinen Stift mehr halten und, schlimmer, nicht mehr artikuliert singen. Die Bandmitglieder sprangen ein, schrieben auf PEACE & LOVE von 1989 acht von 14 Songs, trieben die Stil-Vielfalt noch etwas weiter, wirkten jedoch auch auf HELL’s DITCH von 1990 (produziert von Joe Strummer) nur noch wie eifrige Söhne, die den schwerkranken Onkel fürs Familienfoto aufrecht halten. Nachdem MacGowan die Pogues zum Ende einer Japan-Tour verlassen hatte, kamen in den 90ern noch die freudlosen Platten WAITING FO HERB und POGUE MAHONE. 1996 trennte sich auch der Rest. Die bärtigen Gnome im Irish Pub spielten zu dem Zeitpunkt längst auch Shane MacGowans Lieder.

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