„The Politician“ (Staffel 2) bei Netflix: Generationenkonflikte, Sex-Pentagramme und Klimarettung


Die Politsatire verlässt die Highschool: In New York kämpfen Payton und sein skrupelloses Team um die Gunst der klimabewussten Gen Z. Für Unterhaltung sorgen aber vor allem Diven wie Bette Midler. Spoiler-Warnstufe: Gelb.

Ryan Murphy ist der Anwalt der Creeps, der Weirdos, der liebenswerten aber auch der verabscheuungswürdigen Sonderlinge. Er hat eine Vorliebe für die kuriosen Gestalten, die sich am Rande von Legenden und tatsächlicher Geschichte tummeln („American Horror Story“), inszeniert mit Leidenschaft die anrührenden Geschichten derer, die zu Unrecht übergangen wurden (zuletzt in „Hollywood“) und hat Sympathie für Figuren, die sich eigentlich nicht zu Sympathieträgern eignen. In diese letzte Kategorie gehört wohl Payton Hobart (Ben Platt), der sich in der zweiten Staffel von „The Politician“ auf dem nächsten Level im Spiel um das Oval Office befindet.

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Vier Jahre nach seiner Ernennung zum Schülersprecher – „Wahl“ kann man es unter den Umständen, unter denen er letztlich in die Position kam, kaum nennen – kämpft der mittlerweile 22-jährige Sohn aus stinkreichem Hause nun um das Amt des State Senators von New York. Um ihn scharen sich erneut die Wahlkampfhelfer*innen aus der vergangenen Staffel: James (Theo Germaine), McAfee (Laura Dreyfuss), seine einstige Widersacherin Skye (Rahne Jones) und auch Ex-Partnerin und Jetzt-wieder-Freundin Alice (Julia Schlaepfer) sind mit am Start. Flankiert werden sie von der mittlerweile berühmt gewordenen Infinity (Zoey Deutch), die nach ihrem Bucherfolg zur Klimaikone der Gen Z avanciert ist.

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Grande-Dame-Flair trifft auf (teilweise) nihilistische Jugend

Nicht nur das Team, sondern auch die Regeln, nach denen es spielt, sind gleich geblieben: Langzeitziel ist die US-Präsidentschaft. Drunter geht es nicht. Die verfügbaren Mittel zum Erreichen dieses Ziels werden nach ihrer angenommenen Effektivität bewertet – Ethik höchstens zweitrangig. Doch diese (Nicht-)Haltung steht nicht nur der ruhmsüchtigen Teflon-Jugend um Payton an, die ihre politischen Vorhaben von der momentanen Stimmung und nicht den eigenen Überzeugungen abhängig macht. Ihre neuen Widersacherinnen verstehen das tumbe Taktieren mindestens genauso gut. Die amtierende Senatorin Dede Standish und ihre wichtigste Mitstreiterin Hadassah Gold sind bereits seit Jahrzehnten in der Politik und dementsprechend mit allen Wassern gewaschen.

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Und dennoch sind die konkurrierenden Truppen nicht miteinander zu vergleichen. Während Payton und seiner Kampagnen-Crew stets die schmierige Arroganz gelangweilter Wohlstands-Snobs anhaftet, wie man sie aus den Büchern Bret Easton Ellis kennt, versprühen die von Judith Light („Wer ist hier der Boss?“) und Show-Legende Bette Midler („Der Club der Teufelinnen“) gespielten Figuren einen ganz anderen Charme echter Grande Dames, die sich ihren Erfolg mit eigenen Händen aufbauen mussten, zumindest früher einmal von Idealen getrieben wurden und nun mit einer gewissen Gelassenheit auf das Vollbrachte zurückblicken.

Ein „Throuple“ wird zum Sex-Pentagram – und weibliche Sexualität Ü40 zum Thema

Doch das Idyll eines zuletzt immer wieder ohne Gegenkandidat*innen geführten Wahlkampfes wird durch ein explosives Geheimnis gestört, das Astrid (Lucy Boynton) – die im Laufe der Staffel immer wieder die Fronten wechselt – eher zufällig lüften kann: Senatorin Dede ist fester Bestandteil eines glücklichen „Throuples“. Gemeinsam mit Ehemann Marcus (Joe Morton) teilt sie Bett und Leben mit William (Teddy Sears). Und dieses Detail aus ihrem Privatleben birgt genug politische Sprengkraft, um selbst im liberalen New York ganze Karrieren zu beenden. Ein wunderbarer Seitenhieb an die Doppelzüngigkeit einer Öffentlichkeit, die über eine „fahrlässige Tötung im Straßenverkehr“, nicht aber eine Abweichung von der sexuellen Norm eines*r Kandidat*in hinwegsehen kann. Und auch die Ausrichtung der Politik allein auf die Logik der Medien, der Schlagzeilen und Twitter-Trends wird ganz nebenbei als Killer jeder an politischen Inhalten orientierten Kampagne kritisiert.

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Doch bevor Payton die Bombe platzen lassen könnte, wovor er tatsächlich zurückschreckt (schließlich wirft es auch auf denjenigen kein gutes Licht, der sie zündet), geht Dede selbst an die Öffentlichkeit. Die Serie taucht tief ein in das vermeintliche Tabu weiblicher Sexualität jenseits der Vierzig und strickt aus dem „Throuple“ sogar ein echtes „Sex-Pentagram“. Derartige Beziehungskonstellationen allein sind schon eine Ausnahmeerscheinung im Mainstreamprogramm – dass ausgerechnet Frauen mittleren Alters im Zentrum stehen, ist fast schon eine kleine Sensation. Und außerdem das Highlight der Staffel, denn Bette Midler darf hier zu komödiantischer Höchstform auflaufen.

Klimarettung als politische Kampfvokabel

Um die Wahl zu gewinnen, setzen Payton und sein Team – neben Schmutzkampagnen, die trotzdem eine Rolle spielen – vor allem auf das Thema Klimarettung. Die Entscheidung über das zentrale Kampagnenthema wird allerdings weiterhin nicht aus Überzeugung, sondern aus rein taktischen Gründen gefällt. Die Kaltblütigkeit, mit der Payton sein Vorgehen abwägt, wirft ihn auch in dieser Staffel in eine kurze Sinnkrise – die dieses Mal in Selbstakzeptanz  mündet. Ganz nach dem Motto: Ich bin nun mal einzig von Machthunger getrieben, und das ist auch gut so!

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Dass Payton und sein Team kein Exempel für eine allgemein abgebrühte Generation darstellen sollen, stellt diese Staffel allerdings endgültig klar. Denn anders als der Kandidat selbst, brennt seine jugendliche Anhängerschaft für Klimarettung und grünen Aktivismus. Die Generation Z ist es, die die Fehler der vorangegangene(n) ausgleichen und mit dem fortwährenden wirtschaftlichen Wachstumsgebot aufräumen muss. Und dennoch spürt man, dass Murphy und seine Co-Schöpfer Ian Brennan und Brad Falchuk mehr mit ihrem Protagonisten vorhaben. „The Politician“ unterhält auch in der zweiten Staffel dank seiner satirisch gelungenen Seitenhiebe auf den Zeitgeist – der Mehrwert des Satireprojektes hängt aber von einer schlüssigen Erklärung des Ergebnis‘ von Paytons andauernder Selbstsuche ab. Vielleicht ist er einer der letzten zum Scheitern verurteilten neoliberalen Ausläufer, vielleicht kommt es gerade noch rechtzeitig zur seiner Bekehrung – vielleicht wird er aber auch zum aalglatten Anführer, der die Hoffnungen seiner Generation zunichtemachen wird.

Staffel 2 von „The Politician“ läuft ab 19.06.2020 bei Netflix.

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