Thomson Twins – Heimarbeit im Hinterland


In der englischen Provinz begann die Tournee, die das Trio in den nächsten Monaten rund um die Erde führen wird.

Die letzten beiden Singles in den britischen Top 5 und ein neues Album, das in England bereits aufgrund der Vorbestellungen Platin (mehr als 300000 LPs) errang: Die Thompson Twins sind das, was man in der Branche als „heiß“ bezeichnet. Alle kurzlebigen Moden haben sie hinter sich gelassen und sind eine Band des breiten Publikums geworden – wie ein Besuch ihrer England-Tour eindrucksvoll beweist.

Das Ganze läßt sich nicht gerade gut für den Thompson-Troß an: Gleich am ersten Abend in Oxford werden ihrem Tour-Manager, dem kleinen, quirligen Glen, mal eben 4000 Pfund aus der Garderobe entwendet. Aber das ist schon wieder verschmerzt und abgehakt, als ich zu ihrem vierten Auftritt nach Crawley reise.

Crawley, das ist eines dieser aufblühenden Provinznester, denen zwar noch der Dung-Geruch anhaftet, die ansonsten aber wie ein Lego-Baukasten ausschauen. In der Basketball-Halle des „Leisure Center“, wie die Stadtväter wohl selbstironisch einen Beton-Freizeit-Komplex getauft haben, werden heute abend 2000 Leute erwartet. Wie alle Thompson Twins-Auftritte ist auch dieser natürlich längst ausverkauft.

Während dynamische Jung-Briten mit Squash-Schlägern unterm Arm durch die Gänge wieseln, muffeln die Roadies in einem zur Küche umfunktionierten Umkleideraum Kaffee und Tee hinunter. Um Hotelkosten zu sparen, hatte man eine Nachtfahrt absolviert.

Joe von den Twins schaut kurz herein und läßt ein laxes „Hi Team „hören, das mit einem launigen „Hi Boss“ quittiert wird. Die Stimmung ist so, wie das von Tourneen halt erwartet wird: Alles schleppt sich so dahin.

Um so erstaunter bin ich, als mir die Twins von ihrer grenzenlosen Tour-Begeisterung vorschwärmen. Tom, ihr manchmal etwas lethargischer, aber immer zuvorkommend netter Frontmann: „Touren ist für uns eigentlich reine Erholung. Das Songschreiben oder die Studioarbeit ist viel aufreibender, auch körperlich anstrengender. Jetzt brauchen wir uns weder um Essen noch um Wohnungen zu kümmern. Und das die meisten anderen Bands sich über die Langeweile beschweren, ist doch bloß ein altes Rock-Klischee. Schließlich liegt es doch an dir, Tourneen interessant zu machen „

Aber glaubst du nicht, daß dieses tagein tagaus gleiche Leben „on the road“ fast schon wieder mit jedem 40 Stunden-Job vergleichbar ist?

„Oh nein, keinesfalls. Das läßt du alles hinter dir, wenn du die Bühne betrittst und die Begeisterung der Leute spürst. Du kannst vorher müde, abgespannt, genervt sein, aber diesen Augenblick kann dir kein anderer Job bieten. Und auch nicht das Studio oder Playback-TV-Auftritte. Dort fehlt dir das Gefahrenmoment, der Nervenkitzel, daß etwas schieflaufen könnte. „

Habt ihr denn nicht wenigstens mal ein bißchen Heimweh?

Tom: “ Wenn du eine Familie hast oder eine Geliebte, dann bist du vielleicht nicht mit ganzem Herzen bei der Sache. Wir sind deshalb in einer glücklichen Lage: Wir haben niemanden außer den Twins.“

Oha, das meint ihr nicht im Ernst, oder?

Alannah: „Doch, natürlich. Unsere Freunde treffen wir bei unseren Konzerten. Unsere Crew, über 20 Leute, die für das Bühnenlicht sorgen oder das Essen kochen, alle sind Freunde von uns. Heute, Freitag, ist unser Geschenketag. Jeder muß Geschenke kaufen, irgendeine Kleinigkeit. Und wir verleihen Diamant-Preise an die Crew, dieses Straßgehänge hier. Lauter blödsinnige Spaße.“

Mittlerweile ist es Zeit für die Twins, Abendgarderobe anzulegen. Während die Vorgruppe „Savage Progress“ sich mit einem Set abmüht, wie ihn zur Zeit hunderte englischer Mode-Bands hinlegen, mische ich mich unters Volk, das sich oben in der Bar versammelt.

Hier in der Provinz ist das Konzert noch gesellschaftliches Ereignis, und so ziemlich jeder unter 25 scheint da zu sein. Keineswegs ein Heimspiel für die Twins also, wie sich auch zeigt, als endlich die Stunde der Wahrheit schlägt. Mit ihren Hits hat die Band den Saal voll im Griff und erzeugt eine Begeisterung wie sonst nur Culture Club oder Duran Duran; aber dann gibt es auch wieder Passagen, in denen ein gut einstudiertes Theaterstück abzulaufen scheint. Künstlichkeit und Sterilität machen sich breit.

Trotzdem: Nach gut anderthalb Stunden geht keiner unzufrieden nach Hause. Man hat mal wieder was gesehen in Crawley und einen mächtig guten Abend gehabt.

Tags darau‘ im 30 Meilen entfernten Seebad Brighton ist ein umfangreiches Vormittagsprogramm für die Twins arrangiert. Früh am Morgen, während euer Korrespondent sich ein überaus reichliches englisches Frühstück schmecken läßt, liegt die Band noch in den Federn und erholt sich von den Strapazen der vergangenen Freitag-Nacht-Party in der Hotel-Bar.

Seit 10 Uhr wartet unten im Foyer ein kleiner dreijähriger Junge, für den der lokale Thompson Twin-Fan-Club ein Treffen arrangiert hat. Er kann alle Texte von QUICK STEP AND SIDE KICK hersagen; zu Hause begleitet er sich dazu auf seinen Kindertrommeln – wie seine Eltern mit stolzgeschwellter Brust erzählen. Sein zehnjähriger Bruder ist natürlich auch gleich dabei.

Mit halbstündiger Verspätung steigen die Twins aus dem Lift, und ihre Mienen passen so ganz zum diesigen, verhangenen Himmel, der sich über dem Strand auftut. Vor dem Hotel wartet ein bärtiger, graumelierter Fünfziger, der im Auftrage des lokalen BBC-Radio Sussex ein Live-Interview vor Ort übertragen soll. Schnell schießt er ein paar nichtssagende Worte in den Äther; der dreijährige Gary soll noch mal schnell „Doctor, Doctor“ ins Mikro singen. Doch der wendet sich lieber verschämt ab. „Er denkt gerade darüber nach“, wie das im Jargon der unverbindlichen Radio-Plauderer heißt.

Gary taut erst etwas auf, als es zu einigen Fotos an die Strandpromenade geht, und er ganz im Kreise seiner Idole steht. So richtig lag Tom dann doch nicht mit seinem Kommentar dazu: „Um einmal ein bißchen zynisch zu sein: Die wahren Fans waren wohl die Eltern. „

Ein älterer, seriöser, grau livrierter Herr hält die Wagentür einer geräumigen Limousine auf, und los geht’s zur nächsten Station, der Autogrammstunde im örtlichen HMS-Plattenshop. Der jugendliche Geschäftsführer hätte wohl gern die Mietkosten für den Wagen gespart (“ wo es nur 500 Yards um die Ecke sind“), aber die Band wollte auf den Luxus dann doch nicht verzichten.

Am Hintereingang kreischen einige Unentwegte bei Ankunft der Twins, aber oben im Laden hat der Security-Dienst keinerlei Schwierigkeiten mit den Hunderten, die brav für ihr Autogramm Schlange stehen. Alles geht mit gewohnt britischer Disziplin vor sich. Das neue Album liegt bereit, damit es inklusive Autogramm gleich mitgenommen werden kann; eine Nettigkeit, die gern in Anspruch genommen wird. Einige bringen auch das erst gestern erstandene Exemplar noch einmal mit, die meisten aber, in der Hauptsache Mädchen zwischen 12 und 16, haben ihr kleines Autogrammbüchlein dabei, in dem all diese in England populären Star-Fan-Begegnungen festgehalten werden. Viele knipsen mit Pocketkameras, und ganz strahlend geht nach Hause, wer noch ein Küßchen dazu bekommt.

Ein Teil der englischen Kritik ist übrigens mit der neuen Thompson Twins-LP nicht gerade freundlich umgesprungen, doch das ficht sie nicht an. Selbstzweifel vor sich her zutragen, ist nicht ihre Sache. Sie sind, nebenbei gesagt, zwar ganz froh, mit diesem Album nicht so starke Konkurrenz auf dem Markt zu haben wie zuletzt Michael Jackson, aber darüber brauchen sie sich eigentlich keine Sorgen zu machen. Die Masse liebt sie – und zwar quer durch alle Bevölkerungsschichten und Glaubensgemeinschaften.

Und die Thompson Twins genießen den Rummel. Nach Europa werden sie in die USA, nach Australien und Japan gehen, und es sollte mich sehr wundern, wenn sie nicht auch dort beide Beine in die Tür des Erfolges kriegen. Ich frage Tom nach einem früheren Interview, in dem er sagte: „Wenn man nicht jemand wie die Stones ist, hat man maximal fünf Jahre in diesem Busineß, um das Meiste herauszuholen.“

“ Was ich meinte, war, daß es ¿ einfach unverantwortlich ist, sich nicht um das Geschäftliche zu kümmern. Wir sehen die Sache nur realistisch, ohne daß wir nur aufs Geld aus wären. Aber jetzt wollen wir die Chance auch nicht vertun. Wir haben lange genug dafür gekämpft. „

Bei Autogramm-Sessions pflegte die Gruppe Heaven 17 mit „Wählt Labour“ zu unterzeichnen. Auch die Thompson Twins hatten früher das Image einer „politischen“ Band (und wurden öfter angepflaumt deswegen); jetzt war von Tom zu lesen, es wäre uncool für Musiker, „Politiker zu sein“.

Tom: „Wir sind nicht an Parteipolitik interessiert. Unser politisches Image ist Freiheit. Wenn man sich zu sehr zu politischen Fragen äußert, wird man abgestempelt als Polit-Band und als nichts weiter.“

Ist es nicht genauso gefährlich, als modische Popband zu gelten?

Alannah: „Nur solange du keine guten Songs zu bieten hast. Unsere Songs sind großartig. Und wir sind nicht modisch, sondern haben Stil.“

Nach zweistündigem Autogramme-Schreiben hält die Band eine kurze Siesta, bevor der Tour-Alltag voranschreitet.

Zwischen Soundcheck und Lunch darf ein schlaksiger Teenager ein Radio-Interview fürs Nachwuchsprogramm machen, während uns der Türwächter mit Schwänken aus seinem Leben („Mit den Größen des Showbiz auf du und du“) bei Laune hält. Gar nicht mehr lassen kann er von seiner liebsten Geschichte, wie „nice guy“ James Last hier letztes Jahr eine Maskenbildnerin kommen lassen mußte, um sein rotes Gesicht zu überschminken („Der braucht drei Flaschen Wein, bevor er auf die Bühne geht“).

Das gemeinschaftliche Abendessen findet in einer unwirtlichen Abstellhalle statt. Tom ist der – heutzutage wohl für jede Band obligatorische -Vegetarier. “ Vielleicht ist es eine Mode? Ich jedenfalls bin es, weil ich nicht für das Töten von Tieren verantwortlich sein will.“

vielleicht hat es aber auch die Banane dort drüben gar nicht gern, gegessen zu werden?

„Haha, ja. Ich weiß auch keine Antwort darauf.“

An diesem Abend fällt es der Band wesentlich leichter, das Eis zu brechen, obwohl die kalte Atmosphäre des 5000 Menschen fassenden Brighton Centre auch nicht gerade zur wohligen Gemütlichkeit beiträgt. Schon der Beginn (Tom steigt wie weiland Dracula im Kunstnebel aus der Gruft, ganz oben auf dem Podest) wird mit enthusiastischem Beifall und Gekreisch bedacht.

In der Menge kann ich auch Gary, den Jungen von heute morgen, mit seiner Familie ausmachen; und wirklich, er singt alle Songs mit – und auch die kleine Faust versteht er, wenn auch noch etwas unbeholfen, theatralisch emporzurecken.

Und oben auf der Bühne steht Tom Bailey, ein ehemals frustrierter Musiklehrer an einer englischen Grundschule, und ist dabei, für gute Laune zu sorgen. So wünschen sich die Kids ihren Lehrer, flappsig und freundlich, ausgleichend, fast begütigend. Bei ihm würden sie sogar Bach und Beethoven schlucken (denen Tom „hohes geistiges Niveau“ bescheinigt, aber die Kids wollen es nun einmal normalerweise partout nicht hören).

Nein, in den Schuldienst will er nicht mehr zurück, selbst wenn die Zeiten einmal ganz hart werden sollten. „Es gibt nur einen Unterschied zwischen uns und den Leuten, die du normal nennst“, sinniert er, „und der ist nicht das Geld.

Jeder will das, was er will, mit dem, was er tut, verbinden. Ich bin in der glücklichen Lage, das zu können. Die meisten Leute, die einen normalen Job haben, haben keinen Spaß dabei. Ich kann ihnen nur raten, es zu versuchen. Man braucht kein Genie dazu, nur den unbedingten Willen.“