Tindersticks
Ein paar Tage nach diesem Konzert wird hier ein gewisser Mikhail Pletnev Händel-Variationen von Brahms zum besten geben. Aber auch das heutige Programm – obwohl es im weitesten Sinne der Popmusik zugeordnet wird — ist geeignet, dem prunkvollen Ambiente der mit üppiger Stukkatur versehenen Musikhalle gerecht zu werden. Immerhin sind die Tindersticks zum einziger Konzert dieser Art in Deutschland mit einem kompletten Orchester angereist. Und so kommt’s, daß an diesem Abend in den ersten Reihen nicht ‚junge Mädchen in der Blüte ihres ersten Weltschmerzes‘ sitzen, wie ein Radiosprecher mit poetischer Ader mal orakelte, sondern vor allem jene wichtigen Menschen, die „einzigen Konzerten“ grundsätzlich beiwohnen. Wie etwa die Dame in der zweiten Reihe, die sich ständig bemüßigt fühlt, ihr Amüsement über ein Konzert kundzutun, das ihr offenbar völlig fremd bleibt. Aber so ist das nun mal: Die Tindersticks wandeln auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Kunst. Man liebt sie oder findet sie unerträglich, hält beim Streichereinsatz von ‚Tiny Tears‘ verzückt den Atem an oder wendet sich mit Entsetzen ab. Wobei das morbide aber schöne Pathos der sechs Briten mit den edlen Maßanzügen heute ohnehin vergleichsweise gedämpft ins Publikum tröpfelt — auch wenn Stuart Staples ganz der larmoyante Crooner ist – niemand wischt sich so herrlich affektiert die Stirn wie er -, Dickon Hinchliffe seine Violine mit einer Andacht spielt, als würde ihm jede Ablenkung das Herz brechen, und im Crescendo sogar das eine oder andere Orchestermitglied zu unerwartetem Leben erwacht. Obwohl musikalisch ein Fest, bleiben wild-romatische Gefühlswallungen ob des ganzen Aufwands mit dem Orchester aber aus — man wirkt etwas angespannt. Einige wenige Tränen dürfen dennoch vergossen werden. Bei der Zugabe ‚Cherry Blossoms‘ etwa, die einen tieftraurigen Staples auf den Plan ruft, begleitet nur von einer spärlich schönen Violine und kargem Klavier – der stille Höhepunkt des Abends. Die kichernde Dame ist zu diesem Zeitpunkt längst verschwunden.