Trump & A$AP Rocky, Greta Thunberg & The 1975, Mike & the Mechanics: Die Popwoche im Rückblick
In unserer Popkolumne kommentiert unsere Autorin Julia Lorenz im Wechselspiel mit Linus Volkmann, was in der jeweils vergangenen Popwoche so passiert ist. Heute, in ihrer fünften Ausgabe, geht es um Trumps fragwürdigen Support für A$AP Rocky, Nathalie Portman als Donnergott, Popstar Greta Thunberg und um die herrlich durchschnittlichen Dadrocker Mike & the Mechanics.
Helfer der Woche: Donald Trump
In einem Podcast hörte ich kürzlich eine vertrackte Entweder-Oder-Frage: Trump oder Putin? Gewissenloser, gehirngegrillter Vollpsycho, der das Atomknöpfchen drücken könnte, wenn ihm morgens das Toupet juckt – oder eiskalt berechnender Machtmensch mit (schlimmen) Prinzipien? Gefährlicher Dödel oder Überzeugungstäter – wer ist das kleinere Übel? Nachdem nun auch bekannt wurde, dass Boris Johnson englischer Premierminister wird, dieser vom Brexit-Gegner zum -Verfechter übergelaufene Romanautor und Wendehals, könnte man sagen: Es ist eine zentrale Frage unserer Zeit.
https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1152307567634391041
Für die größten Irrsinnsmomente sorgt in jedem Fall die erste Kategorie Machtmensch. So trug es sich zu, dass Donald Trump der Welt diese Woche per Twitter – wie auch sonst – mitteilte, sich für die Freilassung des US-Rappers A$AP Rocky einzusetzen. Der sitzt zur Zeit wegen des Verdachts auf Körperverletzung in schwedischer Untersuchungshaft – und Donald will ihn raushauen. Ob dem Präsidenten tatsächlich sein „guter Freund” Kanye West die Samariter-Nummer eingeredet hat, oder ob die Rocky-Show Trumps Versuch ist, seine rassistischen Entgleisungen gegenüber vier demokratischen Politikerinnen gegenüber zu relativieren und sich ganz schnöde an die schwarze Wählerschaft ranzuwanzen: Man wird es nicht abschließend klären können. Was den Dualismus von Dödel und knallhartem Strategen ein wenig aufweicht.
Superheldin der Woche: Natalie Portman
Potz, Blitz und, nunja, Donner: Natalie Portman soll, wie diese Woche bekannt wurde, im Film „Thor 4: Love and Thunder“ höchstselbst den Donnergott Thor spielen. Die Meldung setzte einem Monat, der offenbar viele Popcorn-Cineasten in ihren Grundfesten erschüttert hat, das Krönchen auf. Immerhin wurde erst kurz vorher darüber spekuliert, dass die schwarze Schauspielerin Lashana Lynch im nächsten James-Bond-Film zumindest kurzzeitig in die Rolle des Agenten aller Agenten schlüpfen soll. Und als Disney ankündigte, die Meerjungfrau Arielle in der kommenden Realverfilmung des Zeichentrickfilms mit der (ebenfalls schwarzen) Sängerin und Schauspielerin Halle Bailey zu besetzen, sahen sich einige Dörrköpfe bekanntlich sogar genötigt, den anmaßend besitzergreifenden Hashtag #notmyarielle zu erfinden.
Ein zierlicher Thor, ein weiblicher Bond und eine schwarze Arielle: Das ist natürlich ein Hammer, da ein Ärgernis für Traditionalisten, die es achselzuckend quittieren, wenn Angelina Jolie die schwarze Journalistin Mariane Pearl spielt (so geschehen im Film „Ein mutiger Weg”), aber Schnappatmung kriegen, wenn die Rolle einer Zeichentrickgestalt nicht realistisch (sic!) besetzt wird.
Repräsentation ist wichtig. Aber manchmal sollte man sich – bei aller Begeisterung – vielleicht trotzdem nicht nur fragen, wer eine Rolle spielt, sondern auch, was sie oder er da eigentlich darstellt. Ist’s jetzt wirklich der ganz große Gewinn, dass sich endlich auch schwarze Mädchen mit einer Märchenfigur identifizieren können, die ihre Gestalt verändert und ihre Freunde zurücklässt, um ihr Leben mit einem dahergelaufenen (oder vielmehr: angespülten) Typen verbringen zu können? Ein wenig verhält es sich mit manchen Diversity-Coups wie mit dem Bild von Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer, das in dieser Woche die Runde machte: Klar kann man sich darüber freuen, dass da drei Frauen sitzen – konservativ sind sie, in unterschiedlichem Maße, aber trotzdem alle.
(Weder problematisch noch progressiv, sondern einfach nur verstörend hingegen: Taylor Swift als Katze in „Cats“. Ein Gruß aus dem Uncanny Valley, das ist echt der Stoff, aus dem meine Alpträume sind.)
Debütantin der Woche: Greta Thunberg
Greta Thunberg ist ein Popstar, jetzt nicht mehr nur im übertragenen Sinne. Die britische Band 1975 hat einen Song veröffentlicht, auf dem die Klimaaktivistin zu orchestralem Ambient-Geblubber Teile ihrer berühmten „Our House Is On Fire!“-Rede rezitiert. „The 1975” wird das neue Album der Band, NOTES ON A CONDITIONAL FORM, eröffnen – und lässt mich in seiner aufdringlichen Eindeutigkeit so ratlos zurück wie der Gesamtoutput dieser eigentlich ja sehr schlauen Band. Die bessere Kollaboration als die von Trump und West ist’s allemal.
Verkannte Kunst (5): Mike & the Mechanics – ein Plädoyer für die Poesie des Mittelmaßes
Rennen Sie nur weg! Ziehen Sie sich ruhig ihren Jutebeutel von der letzten Transmediale übern Kopf, schreien Sie, schreiben Sie mich ab! Aber, ich sag’s wie’s ist: Wer sich im Popjournalismus für die Geschmähten stark machen will, der muss auch mal dorthin, wo’s wehtut. Deshalb heute und hier: ein Plädoyer für die Poesie des Mittelmaßes. Schließlich kann man nicht jeden Tag auf der Route 66 ins Abenteuer brettern – manchmal muss das Auto auch einfach in die Waschanlage. Dann, in den schmerzhaft normalen Momenten des Alltags schlägt die Stunde einer Band, die es fertiggebracht hat, sich kernig-hemdsärmelig Mike and the Mechanics zu nennen – und dann, zu allem Überfluss, auch noch genau so auszusehen.
Eine Band, die kaum ein Mensch jenseits der Babyboomer-Generation vor Augen, aber dafür schon tausendmal gehört hat, in Monis Imbiss oder auf Antenne Sindelfingen zum Beispiel: „All I need is a miracle / All I neeeheeeed is you”, „Looking baahack / Over my shoulder”, „Can you heeeeear me / can you hear me running?”: Jaja, all das war alles der Mike Rutherford! Der andere von Genesis, der nicht Phil Collins oder Peter Gabriel ist, neben dem Dings und dem Banks. Der Genesis-Boy für Jeanshemdträger, der mit seiner Dad-Rock-Supergroup in den 80ern und 90ern tatsächlich eine große Nummer war.
Wenn man sich also das Auto seines Papas ausleiht, liegt da mit sehr großer Wahrscheinlichkeit: LIVING YEARS von Mike and the Mechanics (die der Papa mit großer Wahrscheinlichkeit „Combo” nennt). Und wenn sie einmal da ist, sollte man sie sich mal anhören: Damn, das sind schon Hits, bester Radiorock für die Fahrt von Stendal nach Zeitz. Aber das Tollste ist: Wer mit Mike am Steuer sitzt, läuft nicht Gefahr, auf einmal zum Tempolimitgegner zu werden. Dafür macht man es sich viel zu gemütlich mit ihm und seinen Jungs, dafür ist das einfach zu sehr: Gestrigkeit in ihrer reinsten, unterhaltsamsten, auch unschuldigsten Form.
Julia Lorenz schreibt für den Musikexpress sowie für Medien wie taz, Zeit, Zitty und tip Berlin über Musik und alles, was anfällt. Im Wechsel mit Linus Volkmann schaut sie in unserer Popkolumne fortan auf die vergangenen Tage zurück.
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.