„Twin Peaks”: 5 absonderliche Momente, die Staffel 1 und 2 erklären
„Twin Peaks” ist schon lange Kult. David Lynch hat mit der Serie nicht nur ein philosophisch anspruchsvolles Genregemisch abgeliefert. Er hat auch ein surrealistisches Meisterwerk geschaffen. Wir erklären anhand von fünf Momenten, was die Essenz der Serie ausmacht.
Auf dem Papier liest sich „Twin Peaks” wie ein stinknormaler Krimi: FBI-Agent Dale Cooper (Kyle MacLachlan) wird in das verschlafene Örtchen Twin Peaks geschickt, um dort den Mord an der 17-jährigen Laura Palmer (Sheryl Lee) aufzuklären. Doch je tiefer er gräbt, desto öfter stellt er fest, dass in Twin Peaks so ziemlich jede*r etwas zu verbergen hat. Dass sich die Serie fernab jeglicher Konventionen bewegt, überrascht dann letztlich doch nicht. Denn anderes sind wir nicht von David Lynch gewohnt. Der hat seine Serie voll mit völlig abstrusen Momenten gepackt – und dann kommentarlos den Raum verlassen. Denn wenn Lynch eines nicht tut, dann ist es Erklärungen zu liefern. Wir übernehmen und versuchen die Essenz von „Twin Peaks” in fünf absonderlichen Momenten zu erklären.
Coopers Traum
Staffel 1, Episode 3: „Zen oder die Kunst, einen Mörder zu fassen”
Agent Cooper ist in Twin Peaks im Great Northern Hotel untergekommen. Er schläft ein und beginnt sofort zu träumen. Er findet sich in einem mit roten Vorhängen abgehangenen Raum wieder. Auf dem Sofa gegenüber sitzen ein Kleinwüchsiger und eine Frau, die wie Laura Palmer aussieht, aber nur ihre Cousine sein soll. Beide reden wirres Zeug. Am Ende steht der Kleinwüchsige auf und tanzt zu Jazz aus dem Raum. Lauras angebliche Cousine küsst Cooper und flüstert ihm etwas ins Ohr. Der wacht anschließend auf und glaubt zu wissen, wer Laura Palmer getötet hat.
Coopers Traum ist der erste stilistische Schlüsselmoment, den David Lynch „Twin Peaks“ verpasst hat. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Serie nicht mehr als ein geheimnisvoller Krimi. Doch der Traum zieht eine übernatürliche Ebene ein – und mit welcher Wucht! Lynch drehte die Szene in weiten Teilen rückwärts und spielte sie dann in die Gegenrichtung ab, was Dialogen und Bewegungen einen unheimlichen Touch verleiht. Die Idee zur Kulisse sei ihm gekommen, als er auf der Motorhaube eines heißen Autos lehnte, sagte Lynch selbst einmal. Damit kommt auch zum Ausdruck, dass Lynch in erster Linie ein Künstler ist, der Gefühle provozieren und keine versteckten Rätsel aufgeben will.
Die tibetische Methode
Staffel 1, Episode 3: „Zen oder die Kunst, einen Mörder zu fassen”
Dass Agent Cooper nicht nur auf Erkenntnisse aus der echten Welt setzt, sondern durchaus übernatürlich veranlagt ist, wird bereits vor dem legendären Traum am Ende der selben Episode klargestellt. Mitten im Wald will er mit Hilfe einer seltsamen Methode den Mörder ausfindig machen, die ihm in einem Traum über die Not der Menschen in Tibet erschienen ist. Ausgangspunkt ist Laura Palmers Tagebuch, in dem von einem „Treffen mit J“ die Rede ist. Cooper lässt also alle in Twin Peaks wohnenden Menschen, die ein J im Namen haben, vorlesen. Bei jedem Namen wirft er einen Stein auf eine Glasflasche und verfehlt – außer bei Leo Johnson.
Diese Szene untermauert, dass Agent Cooper Bindeglied zwischen zwei Welten ist, die zu diesem Zeitpunkt in der Serie noch gar nicht offenbart wurden. Es zeigt, dass er nicht nur mit harten Fakten umgehen kann, sondern auch dazu veranlagt ist, dort zu graben, wohin niemand schaut – sinngemäß zwischen den Zeilen.
Cooper und das Lama
Staffel 1, Episode 5: „Der Einarmige”
Agent Cooper und Sheriff Truman (Michael Ontkean) gehen beim Tierarzt einer Spur nach. Im Vorzimmer wartet ein Lama auf seine Untersuchung und unterbricht die beiden Ermittler kurz bei ihrem Gespräch. Die beiden lassen sich davon jedoch nicht beeindrucken. Im Drehbuch stand davon nichts. David Lynch, der bei Episode 5 auf dem Regiestuhl saß, baute sie trotzdem ein – und schuf damit einen der lustigsten Momente der kompletten Serie.
Davon schnell überschattet wird jedoch eine viel wichtigere Dialogzeile Coopers, in der verhandelt wird, dass in Twin Peaks die Gesetze von Raum und Zeit nicht unbedingt Regeln sind, an die sich das Universum hält: „In der Hitze der Ermittlungsarbeit ist die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten nicht unbedingt eine Gerade.”
Leland singt „Get Happy”
Staffel 2, Episode 1: „Der Riese sei mit dir”
Auf einer Party beginnt Leland Palmer (Ray Wise), Lauras Vater, plötzlich damit, „Get Happy” zu singen – und zwar immer schneller, immer manischer, bis zum Zusammenbruch.
Der Charakter des Leland Palmer wird in „Twin Peaks” als Erklärungsvehikel für die Ausmaße von Trauer und Trauma benutzt. Oftmals versucht er seine Gefühle über Gesang und Tanz als Ventil herauszulassen. Außerdem ergraut er von einem Moment auf den anderen. Leland Palmer glaubt, den Tod seiner Tochter verarbeiten zu können. Aber in Wahrheit ist Leland Palmer ein gebrochener Mann und somit Sinnbild für den Ort Twin Peaks selbst.
In die Schwarze Hütte
Staffel 2, Episode 22: „Jenseits von Leben und Tod”
Cooper findet sich in dem roten Raum wieder, den wir bereits aus seinem Traum in der ersten Staffel kennen. Mittlerweile ist der Ort auch als „Schwarze Hütte” bekannt. Dort versuchen die bösen Geister – der Kleinwüchsige, Doppelgänger von Laura und Leland sowie der geheimnisvolle Mann von einem anderen Ort – Coopers Geist zu brechen. Mit Erfolg. Die Hütte siegt über Cooper, die übernatürliche über die echte Welt.
Kaum ein anderer Moment aus „Twin Peaks” rutscht so extrem in den Surrealismus und damit David Lynchs Wohlfühlbereich ab, wie diese Sequenz. Sie mag nicht eindeutig sein, bricht jedoch mit den üblichen Genre-Tropen. Denn wo am Ende eines handelsüblichen Krimis die Aufklärung des Mordes steht, schließt die zweite Staffel von „Twin Peaks” mit der regelrechten Zerstörung des Protagonisten und allem, für was er steht, ab: das Gute im Menschen.
Staffel 1 und 2 von „Twin Peaks” sind derzeit bei Sky Ticket im Abo verfügbar und bei iTunes sowie Prime Video zum Kauf erhältlich.