Überraschung: Wenig „Kraut“ beim Nachwuchswettbewerb in Dortmund
Im Dezember fand in der Dortmunder Westfalenhalle das erste „Sound + Musik Festival“ statt. Über eine Woche hinweg bot es Machern und Hörern von Musik ein rundes Programm: den einen praxisorientierte Seminare und eine Instrumenten-Messe, den anderen jeweils abendfüllende RockSpektakel, die gleichzeitig vom WDR-TV mitgeschnitten wurden. Und noch etwas gab es: einen Amateurwettbewerb. Werner Zeppenfeld saß in der Jury. Und traute seinen Ohren nicht …..
Zunächst hatte ich befürchtet, mein Nervenkostüm nur mit Büchsenbier und Ohropax im Gleichgewicht halten zu können. An fünf aufeinanderfolgenden Nachmittagen knapp 40 hoffnungsfrohe Nachwuchsbands mit kritischem Wohlwollen zu bedenken das schien ein trommelfellverschleißender Job. Aber nur vorher. Im Nachhinein dämmerte die Erkenntnis, daß in unseren Landen Talente brachliegcn, die keinen Vergleich mit dem Schallplatten-Establishment zu scheuen brauchen.
Manch halbgarer Headliner des „Sound + Musik“-Abendprogramms wäre spielend deklassiert worden und zwar gleich von einem glatten Dutzend jener Nachwuchs-Rocker, die sich im Kellergeschoß unter der Westfalenhalle II produzierten, auf schäbigen Brettern und schauderhafter Anlage, für wenig Zuschauer und nichts als das Spritgeld. So affig wie Wayne County, vordergründig wie Bullfrog oder leerformelhaft wie Grobschnitt oder Wallenstein jedenfalls mutete kaum eine dieser Amateurbands an. Mal ganz abgesehen davon, daß deren insgesamt etwa 200 Musiker zusammen weniger eitles Stroh in den Köpfen hatten als ein Dutzend deutscher Kollegen aus dem Obergeschoß.
Zur Sache: 422 Bands hatten sieh auf die Ausschreibung hin mit Demo-Kassetten beworben; etwa die Hälfte davon rockten im Stil von Genesis. Was dann das engmaschige Sieb der Vorauswahl passierte, besaß allerdings mehr kreative Eigenständigkeit und emotionale Ausdruckskraft. Der Dortmunder Jury fiel die Platzvergabe im Endeffekt so schwer, daß sie gleich zwei Gruppen zu Siegern kürte. Beide stammen aus reichlich verschiedenen musikalischen Lagern, haben aber eines gemein: ihr Sound ist restlos „entkrautet“. Die sechs Jahre alte Gruppe Arktis aus Troisdorf schaffte es mit harter, straighter und enorm schneller Musik, die die Band selbst als „cool Rock“ bezeichnet. Honoriert wurde insbesondere der engagierte, ungekünstelte Vortragsstil der Gruppe und ihr offenkundig enormer Identifikationsgrad mit dem Medium Rockmusik.
Roundabout verblüffte durch eine harmonische, leichtfüßige Rockmusik mit zupackenden Kompositionen und den spritzigsten Arrangements, die im ganzen Wettbewerb zu hören waren. Ein parodistisch angehauchter schottischer „Highlander“ katapultierte die Gruppe aufs Siegertreppchcn – ein dudelsack-inspiriertcr Song, der in sämtlichen Charts massive Chancen hätte, käme er nicht von einem (noch) namenlosen Sextett aus Oberursel. Was nicht ist, kann allerdings noch werden: Roundabout, im zweiten Gruppenjahr bestehend, hat inzwischen auf eigene Rechnung eine LP produziert.
Auf den von der Jury ohne Reihenfolge vergebenen Plätzen zwei bis fünf finden sich u.a. zwei Bands, deren hochprofessioneller Standard in zwei Stilkategorien Maßstäbe setzte. Die Formation Rail aus Konstanz betörte mit erdigem, warmen Jazz-Rock in der entfernten Tradition eines Wayne Shorter oder Roland Kirk. Da „war nichts von jenem unterkühlten Technizismus zu spüren, der einer ganzen Reihe anderer Jazz-Rocker (wie der Gruppe Glatter Wahnsinn aus Duisburg) trotz instrumentaler Finesse die Nominierung verwehrte. Allerdings: mit Claus Vecscr hat Rail einen Motor, der auf zwanzigjähnge Amateur-Jazz-Erfahrung zurückblicken kann. In der Sparte New Wave dann legte die Sunny Jim Band aus Amsterdam (die Ausschreibung war nicht national begrenzt) einen so perfekten und explosiven Set hin, daß einen Zweifel ob ihres Non-Profi-Status beschlichen. Aber sie waren Amateure: alle vier kamen mit nichts als Schlafsack und knurrendem Magen und ließen ein begeistertes Publikum zurück.
Die beiden letzten Placierungen: Aragon aus Hagen, ein Sextett, das harte, gitarren- und orgelbetonte Rockmusik durchaus stimmig mit deutschen Texten zu verbinden weiß. Sänger Rainer Hagen verarbeitet darin hauptsächlich eigene Erfahrungen, wenn er vom Alltag eines Lehrlings singt und von seinen Feierabendträumen. Anakonda schließlich, Sechsmannband aus Aachen, konnte sich dank sauberer Rockkompositionen und satter Harmoniegesänge durchsetzen. Allen placierten Gruppen winkt als Preis die Beteiligung an einem dokumentarischen Live-Longplayer, der die Dortmunder Amateur-Highlights demnächst einem größeren Publikum vertraut machen will.
Drei Namen sollen und müssen hier noch erwähnt werden, weil sie der Jury je einen Anerkennungspreis wert waren. Da gab es zum einen zwei süddeutsche Schülergruppen, die selbst in der Konkurrenz mit ihren durchweg zehn Jahre älteren Wettbewerbern noch hervorragend abschnitten: Treibsand aus Ottobrunn, die leicht jazzig eingefärbte Rockmusik präsentierten, und die Acherner Gruppe Rollsplyt, die mit sehr weichem, gut arrangiertem Canterbury-Sound und knappen Grimmelshausenoder Ringelnatz-Texten überraschend viel Eigenständigkeit demonstrierte. Beste Nachwuchsinterpretin schließlich wurde die 17jährige Conny Kopp, Sängerin der ansonsten noch sehr durchschnittlichen New-Wave-Nachwuchsgruppe CA. T.C. aus dem Gießener Raum: sie hat ein Grace-Slick-Timbre und ein unverbrauchtes Show-Talent, nach dem sich manch vermeintliche Rock-Lady alle zehn Finger lecken würde.