Uncool ist das neue Cool
Kaum ein Album wurde 2007 so sehnsüchtig erwartet wie das zweite von LCD Soundsystem, SOUND OF SILVER. Projektchef James Murphy erklärte uns im gleichen Jahr den Sinn und Unsinn von Coolnessmechanismen und weshalb die Fusion von Rock und Dance eigentlich scheiße ist.
„Ich möchte nicht Teil der internationalen Dance-Punk-Community sein. Coolness ist ein lächerliches Konzept. Auf der anderen Seite ist es aber auch wichtig, wenn du zum Beispiel an Iggy Pop denkst. Iggy ist verdammt cool. Lou Reed ist cool. Ich denke eher daran, wen ich für cool halte. Für mich ist Bob Dylan nicht cool, er ist nicht cool genug für mich. Lou, Iggy, yeah! Der Club der coolen Leute ist sehr klein. Aber an sich ist Coolness bedeutungslos, es ist ein Marketing-Ding. Wie du dastehst, wie du in die Kamera guckst – ich kann es verstehen, aber ich finde es auf gewisse Weise grotesk.“ Das sagt einer, den manche für den coolsten Typen auf dem Planeten halten. Nur nicht seine Frau. Die hat ihn angeblich deshalb geheiratet, weil sie ihn für uncool hält. Vielleicht ist ja Uncool das neue Cool.
Es ist keine Legende, sondern die nackte Wahrheit, dass Murphy in die Auslaufrille der zweiten LCD-Soundsystem-Single „Yeah“ den Satz „Not as good as loosing my edge“ eingraviert hat – inklusive Rechtschreibfehler. Wieder ein ironischer Hinweis auf die Mechanismen im Pop. Die zweite Single kann nicht so gut sein wie die erste. Das zweite Album kann nicht besser sein als das erste. Murphy weiß genau, dass es nicht lange dauern wird – vielleicht nur noch ein paar Zeilen -, und die ersten Journalisten schreiben, dass SOUND OF SILVER nicht so gut ist wie LCD SOUNDSYSTEM. Also, sagen wir, wie’s ist: SOUND OF SILVER ist nicht ganz so gut wie LCD SOUNDSYSTEM. Aber es ist keine Schande, wenn der Nachfolger einer phänomenalen Platte eine sehr gute Platte wird. „Die meiste Musik ist nicht gut. Ich weiß nicht, warum. Manchmal werde ich gefragt: „Magst du Minimal Techno?“ Ich mag überhaupt nichts. Es gibt ein paar Platten, die ich mag, die man wahrscheinlich als Minimal bezeichnet. Aber die meisten – wie in jedem anderen Genre – sind scheiße. Fünf Prozent von abstrakter, expressionistischer Malerei ist gut. Fünf Prozent von allem ist gut, der Rest ist scheiße. Die Leute geraten zu schnell in Euphorie. Sie suchen ihr Heil in einem Genre, in einer Bewegung, ich halte das für sinnlos. Ich mag Musik. Ich mag ein paar Songs von Devendra Banhart, das heißt aber noch lange nicht, dass ich das neue Crazy Folk-Revival mag.“
Reading Festival, England, 28. August 2005. Auftritt LCD Soundsystem. Hunderte von Kids stehen gelangweilt und overdressed vor der Bühne. Sie warten auf die Band, die danach spielen soll: The Futureheads. Als der Auftritt von LCD Soundsystem beendet ist, gibt es kaum Applaus. Murphy ist sauer. Als er von der Bühne heruntergeht, kommen zwei Mädchen auf ihn zu. Sie sind etwa 17 Jahre alt und fragen ihn: „Sind die Futureheads hier irgendwo ?“ Murphy sagt: „Fuck off“. Anschließend muss er sich vom Manager der Futureheads beschimpfen lassen, weil LCD Soundsystem ihr Equipment nicht schnell genug von der Bühne geschafft haben. „Und dann spielt der fucking DJ The Killers. Und das Publikum schreit und singt mit. Das ist keine Band, die da spielt, es ist nur ein Song, der auf mittlerer Lautstärke zwischen den Auftritten von zwei Bands gespielt wird- und das Publikum reagiert besser auf das beschissene ,Mr. Brightside‘, als auf uns. Und ich: ,Fuck this! Fuck you! Ihr bekommt, was ihr verdient, ihr kleinen Scheißer! Ich möchte nicht mehr in einer Band sein. Ich habe es satt, so hart zu arbeiten, nur dass die Leute sagen: ,Wir mögen The Killers lieber.‘“ Dann schnappt sich Murphy seinen Plattenkoffer und geht zum Auflegen in die „Dance Arena“. Er ist der letzte DJ des Abends. „Ich setze mich auf den Boden hinter die Turntables, damit mich niemand sehen kann. Ich will, dass sie alle weggehen. Ich räume meine Platten weg, stehe wieder auf und sehe, dass da noch ein einziger Mensch steht, ein Kid – mit einem komischen Hut auf dem Kopf. Der Junge wartet – er wartet auf ihn. Dann sagt er: „James Murphy? Wegen dir bin ich auf The Fall gekommen, ich habe mir vorher nur schreckliche Musik angehört. Ich kaufe mir nur alle sechs Monate eine Platte, weil ich Musik nicht oberflächlich anhören, sondern vom Anfang bis zum Ende aufsaugen will. Ich höre zurzeit THIS NATION’S SAVING GRACE. Ich habe gelesen, dass das deine Lieblingsplatte ist. Ich möchte dir dafür danken.“ Murphy strahlt, als er die Geschichte erzählt. Und dann sagt er: „Für dieses eine Kid haben sich alle meine Anstrengungen gelohnt.“