Unterwegs mit dem Musik Convoy
Die beiden umstrittensten TV-Musikprogramme kommen vom WDR: Während dem "Rockpalast" oft genug antiquierte Biederkeit vorgeworfen wird, macht der "Musik-Convoy" eher mit dem Gegenteil Schlagzeilen: Bei den wöchentlichen Sendungen, die jeweils in einer anderen Kleinstadt aufgezeichnet werden, geht es aus Prinzip drunter und drüber. Chaos und Improvisation ist Trumpf. Mehr als einmal erhitzten sich die Gemüter, mehr als einmal kochte die Volksseele über. Haß hin, Begeisterung her - unbestritten bleibt, daß mit diesem Programm die Musik erstmals auf die Straße geht. Und obwohl der "Musik-Convoy" bislang nur ein Regional-Programm ist, ist er doch durch seinen wegweisenden Ansatz von überregionalem Interesse. ME/Sounds schloß sich dem Convoy für einige Drehtage an und warf einen Blick hinter die fahrbaren Kulissen.
Und jetzt das ‚Quiz mit Xao‘, aber Xao macht gerade Urlaub an der Elvira“, sagt der Mann in der nassen Badehose knochentrocken in die Fernsehkamera. Robert Treutel ist Moderator im Musik Convoy – in Personalunion auch für die Abteilung „Neues aus Kalau“ zuständig. „Ist ja schließlich eine Unterhaltungssendung“, sagt er – und vertritt heute den Kollegen Xao Seffcheque, der mit seiner Band Family Five auf Italien-Tournee ist.
Ebenfalls in der Badehose: Alan Bangs auf der Sonnenbank. Zu zweit verlesen sie die Quiz-Gewinner. Bands mit Tiernamen waren diesmal zu suchen. Nun ja, ein paar wird wohl jeder von uns aus dem Hinterkopf kramen können – Stray Cats, Blue Oyster Cult, Animals … Aber die Zuschauer haben sich mächtig ins Zeug gelegt. Schließlich gibt es einen Tag beim Fernsehen zu gewinnen, so richtig live dabei! Und dann noch ein paar Worte in die Kamera – da sind viele scharf drauf. 180 tierische Acts hat der Gewinner ausgemacht, in Worten: einhundertachtzig! Natürlich, da müssen dann auch obskure Wortschöpfungen wie Coward Carpendale oder Xao Seffcheque herhalten. Improvisation ist alles.
Sagen sich auch Alan und Robert und verschaffen sich ihren Abgang durch einen Sprung ins Wasser des städtischen Hallenbades Arnsberg. Wo sie wenigstens von der kalten Regendusche verschont bleiben, die draußen niedergeht. Für die vier auftretenden Bands gibt es noch ein schützendes Dach, die Zuschauer aber stehen voll im Regen. Überhaupt, der Musik Convoy ist schon berüchtigt als die Sendung, in der es immer regnet.
Was prinzipiell ja nicht weiter tragisch wäre – die Tagesschau wird schließlich auch nicht nur bei Sonnenschein ausgestrahlt.
Nur: Der Musik Convoy findet immer draußen statt, auf Rathausvorplätzen, mitten im Dorf, wo sonst die Marktfrauen ihre Tomaten verscheuern, vor Ort eben, überall, wo Platz für den schweren DAF-Truck, einen Doppeldeckerbus und ein paar tausend Leute ist.
„Wir wollen Fernsehen zum Anfassen machen, die Institution entmystifizieren und zeigen, daß das eigentlich etwas ganz Normales ist“, erklärt Redakteur Ronald Grabe, lässig an das Absperrgitter gelehnt, das die einzige und eher symbolische Trennungslinie zwischen Zuschauern und dem TV-Team ist. Fast 100 Leute machen das Fernsehen vor Ort möglich, sorgen dafür, daß die Sendung nicht nur via Bildschirm ins Wohnzimmer kommt, sondern tatsächlich vor dem Wohnzimmerfenster passiert.
Im spartanisch eingerichteten Kölner Büro des promovierten Medienwissenschaftlers Grabe hängt eine große Landkarte vom WDR-Sendegebiet mit vielen kleinen Nadeln – für jede Sendung eine. Bis zum Jahresende, so hofft der frühere Bassist der Polit-Rock-Show-Gruppe MEK Bilk, werde der Convoy im 50-km-Raster flächendeckend alle Orte angefahren haben. „Wir bekommen immer wieder Briefe, warum wir nicht mal nach Dortmund, Münster oder Köln kommen. Aber unser Konzept beruht darauf, gerade solche Gegenden anzusteuern, in denen das Live-Musik-Angebot traditionell schlecht ist. Darum findet der Convoy vorzugsweise in der Provinz statt.“
Was nicht heißt, daß der Convoy provinziell ist, im Gegenteil. Einige der Acts, die in den letzten Wochen zu Gast waren, sind für Regional-Programme durchaus nicht alltäglich: Depeche Mode, Alphaville, Udo Lindenberg, Thompson Twins. Jeden Montag kommen jeweils vier Gruppen in der 25minütigen Sendung zu Wort, wahrscheinlich – wie Robert Treutel vermutet – die einzige Musiksendung, die laufend Beschwerden bekommt, weil sie zu kurz ist.
Woraus sich auch schon ein gravierender Schönheitsfehler in Grabes Vision von der musikalischen Entwicklungshilfe ergibt: Die Bands, nur für jeweils einen Titel auf der Bühne, spielen nicht live, können es auch nicht, weil der Aufwand unbezahlbar wäre.
Eine gewisse Respektlosigkeit gehört mit zum Konzept des Musik Convoy. Wo Stars sonst abgeschirmt vom Publikum ihren Neurosen frönen, gibt es hier nichts zu verstecken – für manche sicher eine irritierende Erfahrung. Da gibt sich dann schon mal eine Gruppe wie Ultravox der öffentlichen Lächerlichkeit preis, weil ein paar tausend Zuschauer auf dem Platz mitkriegen, wie man sich ziert, in Alltagsklamotten statt im Bühnen-Outfit fotografiert zu werden. Andererseits avanciert jeder, der sich auf der „anderen“ Seite der Absperrgitter bewegt, zum potentiellen Star und wird von Autogrammjägern ins Visier genommen. Nach dem Motto: „Bist du auch ein Sänger?“ wird jeder hochnotpeinlich über seine Identität befragt. Man kann ja nie wissen, vielleicht hat man gerade einen künftigen Topstar vor sich, dessen Friedrich-Wilhelm dereinst die Hieroglyphen von Boy George oder Limahl auf die Plätze verweisen wird.
Wohlbekanntes mit Neuem, Ungewöhnlichem, Überraschendem zu mischen oder zu würzen, ist ein erklärtes Ziel von Harald Goldbach, der maßgeblich für die Musik verantwortlich ist: „Gruppen und Musiker wie Swans Way, Holger Czukay, La Loora oder Fleshtones zu präsentieren, die sonst nie eine Chance hätten, im Fernsehen aufzutreten, ist eine ganz wichtige Aufgabe für uns, und zwar nicht als einmaliges Feigenblatt, sondern jede Woche. Natürlich müssen wir letzten Endes die Sendung auch so besetzen, daß wir Zuschauer haben. Davon leben wir ja.“
Und der Düsseldorfer Avantgarde-Musiker Xao Seffcheque räumt sogar ein gewisses Sendungsbewußtsein ein: „Ich behaupte, daß 90 Prozent der Sachen, die in England und später auch bei uns Hits werden, von deutschen Schallplattenfirmen gar nicht erst eingekauft würden. Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, daß, wenn Frankie Goes To Hollywood hier versucht hätten, einen Plattendeal zu bekommen, sie hundertprozentig abgeschmettert worden wären.
Solche stumpfen Bewußtseinsstrukturen zu durchbrechen, ist geradezu eine kulturpolitische Aufgabe – das versuchen wir im Convoy. Und ich habe ein gutes Gefühl, wenn eine Gruppe bei uns auftreten kann, die es verdient hat, daß nicht nur meine 35 Freunde und ich sie kennen.“
Der Hang und Drang zum Experiment führt natürlich zwangsläufig zu heftigen Reaktionen von der „anderen“ Seite. Briefeschreiber wettern, sie seien nicht länger gewillt, mit ihren Fernsehgebühren Gruppen zu bezahlen, die am besten sofort wieder dahin zurückzuschicken seien, wo sie hergekommen sind – sofern da der Pfeffer wächst.
Am höchsten schlugen die Wellen bisher beim King Kurt-Auftritt im rheinischen Frechen. Da kochte die Volksseele, als die klebrige Masse aus Eiern, Mehl und Tapetenkleister 5ich über das kleine Städtchen er¿ Redakteur Ronald Grabe
goß. Ein Schuldirektor sah seine große Stunde gekommen, ließ die Schüler nachsitzen und entrüstete Briefe bis hin zur NRW-Landesregierung schreiben: „Sowas gehört nicht ins Fernsehen, früher gab’s das auch nicht und überhaupt. …“
Bei solchen Breitseiten weiß Ronald Grabe als Verantwortlicher die richtigen Leute hinter sich: „Programmchef und Geschäftsführung waren der Meinung, daß es durchaus richtig sei. auch solche Gruppen spielen zu lassen – schließlich weiß jeder, daß man zu King Kurt nicht in Abendkleidung geht. Und der Vorwurf der Gebühren-Verschwendung gilt nicht: Der Musik Convoy ist ein Kind des Westdeutschen Werbefernsehens, das seinen Etat ausschließlich aus Werbeeinnahmen der sogenannten Vorabendschiene bezieht. Es geht also kein Pfennig Fernsehgebühren dafür drauf, im Gegenteil: Das WWF gibt jedes Jahr Einnahmen in Millionenhöhe an die öffentlich-rechtliche Anstalt des WDR ab. um dessen Programm zu finanzieren.“ Im übrigen ist der Convoy mit 3700,-DM Kosten pro Sendeminute eine ausgesprochen billige Sendung.
Kein Zweifel: Für die kurze Zeit, die der Musik Convoy erst durch die Lande rollt, ist seine Geschichte schon reich an Skandalen und Skandälchen. und nicht zuletzt das bringt Einschaltquoten. Um oder über 10 Prozent (das sind fast eine Million Haushalte) liegt man wöchentlich – nur unwesentlich weniger als Formel 1 und ein Mehrfaches von dem, was die wöchentlichen Rockpalast-Sendungen vor die Röhre locken.
Im Herbst 1983 war’s, als WWF-Programmchef Hüttenrauch und sein persönlicher Referent Grabe eine Schnapsidee hatten: eine rollende Bühne, mit der das Fernsehen jede Woche in einen anderen Ort kommt. Schnaps hin, Realisierung her:
Man trieb einen, den riesigen US-Trucks nachempfundenen LKW mit 312 PS, 16 Gängen und jeder Menge Chrom auf, dem als Anhänger eine ausklappbare Bühne folgt; dazu einen ausgedienten Doppeldeckerbus, der auf engstem Raum – Achtung! Kopf einziehen! – Büro, Konferenzzimmer, Schminkraum. Kantine, Garderobe und Aufenthaltsraum beherbergt. In WDR-Blau gespritzt, stehen die beiden Ungetüme seitdem für die eine Hälfte der spezifischen Convoy-Optik.
Die andere stellt die fünfköpfige Moderatorenriege: „In der Verschiedenartigkeit von fünf Leuten steckt ein weitaus größeres Potential, als wenn ich nur zwei Leute genommen hätte“, sagt Ronald Grabe.
Als da wären: Alan Bangs (33),der mit Abstand Bekannteste in der Runde, Xao Seffcheque (26), stets bissiger Kritiker etablierter Medien und nunmehr zu der Überzeugung gekommen, daß Meckern allein nicht hilft vor allem nicht gegen finanzielle Dürre-Katastrophen; weiterhin Robert Treutel (26), der schon bei anderen Sendungen TV-Erfahrung sammelte, Karin Sarholz (28), die sonst im WDR-Hörfunk die Kinder- und Jugend-Sendung „Rotlicht“ betreut, und die Musikerin und Lehrerin Nanzie Diehl (30). die zuerst auffiel, als sie im WWF-Club (beliebte Regionalsendung) ausgefallene Hüte vorführte, dann beim Kameratest durchfiel, jetzt aber – der Zuschauerpost nach zu urteilen doch den meisten gut gefällt.
Kontroverse Meinungen rufen alle fünf hervor, dafür verbinden sie auch zu unterschiedliche Einstellungen mit ihrem Job. Während Alan Bangs beim Auftritt der Marionetz schon die Haare zu Berge stehen – und Xao Seffcheque Klaus Lages Gastspiel als „Umweltverschmutzung“ tituliert, hat Robert Treutel auch bei Peter Cornelius keine Bauchschmerzen bekommen. Und ihre Meinungsverschiedenheiten tragen sie zusammen mit Harald Goldbach und Ronald Grabe (beide 32) auch offen aus.
Trotz aller positiven Ansätze ist der Musik Convoy allerdings noch weit davon entfernt, eine perfekte Sendung zu sein. Robert Treutel: „Wenn wir erst mal so weit wären – aber wir sind halt erst 20 Wochen alt. Bis zum Jahresende wird es sicher noch dauern, bis wir voll und ganz hinter der Sendung stehen können.“ Und Karin Sarholz: „Das ist wie Autofahren lernen wenn du erst die Technik beherrschst.kannstdu dir auch mal die Landschaft angucken. „
Und so kommt es. daß von der lockeren, lebendigen Atmosphäre, die das ganze Drumherum, die Proben und den Aufbau prägen, in den 25 Sendeminuten oft noch nicht allzu viel rüberkommt. In der Tat scheint der Convoy im Moment eher eine Sendung für die zu sein, die live vor Ort dabei sind. Was die Zuschauer vor dem Bildschirm erleben, ist oft eine Mischung aus Hektik, Tonstörungen und Interviews, in denen zwar viel geredet, aber oft wenig gesagt wird.
„Sowas wird grundsätzlich den Journalisten, aber nie den Gruppen angekreidet. Ich weiß, daß ich auch in drei Minuten ein Interview machen kann, bei dem unterm Strich etwas rumkommt, aber wenn Paul Weller zu Marvin Gayes Tod nicht mehr einfällt als ‚Och, das hat mich nicht so sehr berührt‘, dann fällt mir auch nichts mehr ein“, rechtfertigt sich Alan Bangs.
Und Xao Seffcheque zielt auf Kollegen: „Wenn’s der Illmann nicht bringt, dann wiederholen die die Einstellung x-mal, bis er sein Sprüchlein aufgesagt hat bei uns ist das live. Außerdem sehe ich einen gravierenden Unterschied zwischen Leuten, die prinzipiell schlechte Sendungen machen – wie Flashlights – und Leuten mit guten Absichten, die aus ihren Fehlern lernen. Dazu zähle ich den Convoy – sonst wäre ich gar nicht dabei.“
Vielleicht liegt das Problem aber auch – wie Karin Sarholz zu bedenken gibt-in den eingefahrenen Sehgewohnheiten der Zuschauer, die entweder Live-Musik beim Rockpalast oder aber perfekt produzierte Studio-Clips bei Bananas erwarten, bei einer Mischform hingegen noch ihre Berührungsängste haben.
Auf der anderen Seite bezieht der Musik Convoy aber einen nicht unbeträchtlichen Teil seines Reizes aus dem bewußten Nicht-Perfekt-Sein, aus der liebenswürdigen Naivität, aus seiner Menschlichkeit eben. Da ziehen keine abgebrühten Fernseh-Lächler ihre Show ab, sondern da geht es live über den Sender, wenn die Moderatoren Lampenfieber haben, wenn sie sich bei Interviews plötzlich verheddern, wenn nicht jeder englische Satz perfekt kommt. Nicht nur Fernsehen zum Anfassen, sondern auch Fernsehen zum Mit- und Nachfühlen.
Und die Fans goutieren es mit Wohlgefallen. Eine Umfrage der Bravo ergab eine überdurchschnittlich hohe Zustimmung zum Convoy-Konzept. Auch die große Zahl der – oft ganz persönlich gehaltenen – Briefe an die Moderatoren deuten auf ein viel weniger anonymes Verhältnis zwischen Machern und Konsumenten hin als bei vergleichbaren Musiksendungen. Wie beispielsweise der Brief von Rainer M., der um Zusendung ausführlicher Baupläne und Konstruktionszeichnungen für Bus und Truck bat – er will den Convoy als Modell bauen. Hat schon mal jemand die Formel 1-Isetta nachgebaut?