Urlaub vom Ich
Wie Divine-Comedy-Kopf Neil Hannon einmal durch Guy Cham bers zum spontanen Menschen wurde. Text Christian Möller Foto Tom Sheehan
Das mit der Arbeitsteilung im Pop ist so eine Sache. Gebraucht wird sie, keine Frage. Erstens sind Leute wie Brendan Benson, der vom ersten Akkord bis zum letzten Schlagzeug-Break alles selbst macht, selten. Zweitens: Woher nähme man den Distinktionsgewinn, den Bassisten süßer zu finden als den Sänger? Andererseits muß ja nun irgendwo auch mal Schluß sein. Und was die Arbeitsteilung angeht, ist dieser Punkt erreicht, wenn es um den Sänger geht und den Song. Die beiden sollen, das gilt seit Dylan und den Beatles für Pop, der ernst genommen werden will, bitteschön nicht getrennt sein. Auftragswerke? Fragwürdige Angelegenheit. Unauthentisch. Entfremdung. Fremdbestimmung. Tendenziell Lukas Hubert.
Neil Hannon, seit ehedem Kopf und inzwi sehen einziges festes Mitglied von The Divine Comedy, hatte noch nie etwas gegen Auftragsarbeiten. Schon 1994, als das zweite Divine-Comedy-Album PROMENADE erschien, schrieb der Sohn eines nordirischen Bischofs nebenbei die Titelmelodie und einen Song für die Sitcom „FatherTed“. „Erstens ist das gut für die Finanzen „, sagt der 35jährige Musiker lachend: „Zweitens macht es einfach Spaß.“ Und so be schloß Hannon nach derTourzu seiner letzten Platte absent friends, erst mal kein neues Album anzugehen, sondern für andere zu schreiben. „Mein Verleger ruft an und sagtjemandmacht einen Film über dieses und jenes und die brauchen noch einen Songßir den Schluß. Ich habe denen also drei Songs zur Auswahl geschrieben. In den Film hat es keiner geschafft. Aber so ist das eben. Ifyou ‚re not in, you can ‚t win.“
Songs auf Abruf. Klingt nach Neil Sedaka und Burt Bacharach. Und abgesehen davon, daß Hannon nicht in einem Büro im Brill Building, sondern in seiner Dachkammer daheim in Dublin saß, ist da ja auch was dran. The Divine Comedy waren immer schon mehr Tin Pan Alley als Abbey Road. Und so entstanden in der Zeit nach absent FRIENDS die Musik zur Fernsehserie „The IT Crowd“, Songs für Jane Birkin, deren Tochter Charlotte Gainsbourg, und, in Zusammenarbeit mit Ex-Robbie-Williams-Komponist Guy Chambers, für die Musical-Sängerin Laura Michelle Kelly. „Ich harte vorher noch nie mit jemandem zusammen komponiert. Und zu sehen, wie bei einem wie Chambers mal eben so ein Song entsteht-es ist so ganz anders als meine Arbeitsweise. Es geht alles sehr schnell. ,Ah, das nehmen wir als Mittelteil.‘ Zack, zack, zack. .Was ist mit dem Text? Hast du schon was geschrieben ?‘ Ich habe mich zwischendurch mit meinem Notizbuch aufs Klo verdrückt. Da habe ich dann versucht, einen verdammten Text zusammenzukriegen.“
Ein ziemlicher Schlauch also, aber für Hannon auch eine hilfreiche Erfahrung. „Ich habe mir oft gewünscht, ein spontanerer Mensch zu sein. Und durch diese Art von Arbeit war ich dann auch in der Lage, meine eigenen Sachen schneller undfreier anzugehen.“
Was Zur Folge hatte, daß sich irgendwann so viele Songs angehäuft hatten, daß die Zeit für ein neues Album überreif war. „Wenn man Songs zu lange liegen läßt, werden sie schal, weil man sich nicht mehr an das Gefühl erinnert, das man beim Schreiben hatte.“ Und statt wie sonst „Ewigkeiten mit akribischem Konzeptualisieren “ zu verbringen, faßte der neue, spontanere Neil Hannon an einem Nachmittag im August 2005 einen schnellen Entschluß. Buchte Studiozeit für Dezember. Wählte Songs aus. Nahm die berufliche Unabkömmlichkeit seines langjährigen Arrangeurs Joby Talbot zum Anlaß, das Orchestergewand diesmal fast im Alleingang zu schneidern. Verließ sich im Studio dann allerdings doch wieder auf Arbeitsteilung. „Ich habe nicht viel von den Instrumenten gespielt, weil meine Musiker das alles viel besser können. Ich kenne meine Grenzen. Außerdem war es toll, sie so richtig produzentenmäßig durch die Gegensprechanlageanzubrüllen.“
Urlaub vom eigenen Ich. Mit dem Ergebnis, daß auf victory for THE com ic muse vieles leichter und poppiger klingt als sonst. Nicht zuletzt die ursprünglich für einen Film entstandenen Nummern „Mother Dear“ und „The Light Of Day“: „DieseSongs sind sehr direkt und fast sentimental.Wenn ich gedacht hätte, das ist alles für mein nächstes Album, hätte ich das wohl etwas dubios gefunden. Aber als ich dann zu diesen Songs zurückging, die ich schon fast vergessen hatte, dachte ich, das ist einfach perfektfilr die neue Platte. Ich habe mich um meinen inneren Zensor herumgemogelt.“ >»www.thedivinecomedy.com«