Van Halen: Hart und Hemmungslos
Sex And Drugs And Rock’n’Roll – Ian Dury wusste schon, wovon er schwärmte. Zumindest meint dies Sylvie Simmons mit einem Seitenblick auf Pop-Eunuchen, Retortensound und einschläferndes Gesäusel, die auch in der amerikanischen Charts noch immer ein sehr gewichtiges Wort mitreden. Aber dann entdeckte die gute Sylvie eine erfrischende Horde echter Rock’n’Roller: Van Haien. Demnächst werden sie wohl auch über unsere Konzertbühnen wieder herfallen. Zumal ihr zweites Album in der Bundesrepublik Ende April ganz überraschend in die Hitlisten einbrach.
Wie stellt sich der kleine Moritz die Biografie einer hartgesottenen Rocktruppe vor? Doch wohl so: „Schon als Schuljungen träumten sie davon, später einmal als echte Rock’n’Roller durch die Lande zu ziehen, mit allem, was dazu gehört: Mädchen. Parties, Exzesse auf der Bühne und im Leben…“ Im Falle der Brüder Edward und Alex Van Haien, von David Lee Roth und Michael Anthony stimmt die Geschichte zufällig. Schon nach dem ersten Gig in Los Angeles hatten die kraftstrotzenden Newcomer ein beachtliches Gefolge. Die Jungen waren wild auf ihr Gitarren-Idol, dessen Soli sie mitmimen konnten, und die Mädchen hatten ein paar ansehnliche Kerle zum Anhimmeln. Und seit Van Haien Anfang letzten Jahres mit geradezu beängstigender Vitalität das Vorprogramm von Black Sabbath in die Hand genommen hatten, ist ihre Energie eh nicht mehr zu bremsen.
Van Haien live ist die hemmungslose Verwirklichung dessen, was man sich unter Rock‘ n’Roll vorstellt. Wenn Sänger Dave Lee Roth sich am Boden wälzt und „Ain’t Talking About Love“ knurrt, klettern die Mädchen auf die Schultern ihrer Freunde, um seine schweißnasse Brust zu berühren. Andere greifen nach seinen satinbehosten Beinen, wenn er wie ein Pfau auf der Bühne umherstolziert. Michael Anthony beißt in die Saiten seiner Baßgitarre wie ein wildgewordener Neanderthaler, Alex Van Haien trommelt sich die Seele aus dem Leib, während die Strobolights über ihm tanzen, und sein Bruder Edward verführt unter dem Scheinwerferkegel seine Gitarre. Die Hallen sind dabei meist ausverkauft, und das Publikum fährt voll darauf ab. Der Traum eines jeden Groupies: ein halbnackter Dave Les Roth in seinem Hotelzimmer, in dem er sich für den großen Auftritt zurechtmacht. Er redet wie ein Buch,als ich ihn treffe. Wenn er sich vom Recorder entfernt, wird seine Stimme gleich proportional lauter. „Es war eine einhellige Reaktion weltweit. Ich glaube, es gab sehr lange keine neue Band wie Van Haien: vier Leute, die nichts als geradlinigen Rock spielen, ohne stumpfsinnig zu sein. Was immer du bisher über Rock’n‘ Roll gehört hast, passiert bei uns jeden Abend auf der Bühne,“
„Wir leben viermal so schnell wie jeder andere, fiel mir neulich auf,“ erklärt David. „Und so ist es, wenn man auf Tournee geht, das ist der echte Rock’n‘ Roll. Irgendwo las ich mal dieses Zitat: „Manche stecken ihre Kerze an beiden Enden an, andere wieder in der Mitte. Aber es gibt auch Leute, die dafür einen Flammenwerfer benutzen'“. Das ist Van Halen!
Die Gruppe wirkt, als sei sie mit einer Diät aus Cheeseburgers und Bier aufgezogen worden. „Deine Persönlichkeit entwickelt sich im Kindesalter“, schreit Dave aus dem Badezimmer, „und da entscheidet sich eben, ob du ein aggressiver oder ein ruhiger Typ wirst. Wenn du in Kalifornien geboren wirst, kann es sein, daß du zwischen gesunden Salaten und Tennisplätzen aufwächst. Ich bin in Indiana großgeworden, mitten in der Stadt, und Michael kommt aus Chicago. Die Van Halens sind aus Amsterdam. Das sind drei hartgesottene, laute Städte. Jede Menge Krach, Lichter, Aktivitäten. Das steckt in mir und äußert sich in der Musik!“ Der Grund, warum die Band sich inmitten von LA.’s Pepsi-Generation angesiedelt habe, sei ganz einfach der, meint Roth, daß sie sich hier nicht den Arsch abfrieren. „Es ist leichter für uns, hier zu leben, darum nehmen wir hier auch unsere Platten auf. Du gehst ins Studio nur eben über die Straße und – bang – packst es gleich beim ersten Mal. Und so muß es sein, sonst verlierst du die Spontaneität. Kann sein, daß du einen glatteren Sound hinbekommst, aber dieser augenblickliche Knall geht natürlich verloren.“ Van Halen’s erste LP entstand innerhalb von drei Wochen. Für die zweite brauchten sie angeblich nur sieben Tage.
Van Haien haben ihren eigenen Begriff für die Musik, die sie spielen. Es ist weder Hardrock noch Heavy Metal. Es ist Big Rock, straight-down-the-line-music ohne überlange Soli oder Improvisationen. „Drei-Minuten-Songs, kurze Songs“, betont Roth. „Ich kann mit diesen 22-Minuten-Stücken nichts anfangen. Sie langweilen mich. Ich würde von der Bühne gehen. Wir sind alle so. Wir sind die Musiker einer neuen Generation. Die Menschen haben sich verändert und die Zeiten sind anders geworden. Wir spielen die Musik der 80er Jahre, während andere Bands noch immer in den 70ern stecken.“
Und was weist sie als Gruppe der 80er aus? Erstens ist die Musik ehrlich: vier Musiker: Drums, Gitarren, Gesang. Und zweitens bedienen wir uns des Instrumentariums der ’80er: unser Equipment besitzt das Feeling und den Sound der 80er. Es klirrt und kracht wie das moderne Zeitalter. Van Halen-Musik ist ebenso rasend wie unser Leben. Wumm!!! und schon ist es morgen. So ist Van Halen.“