VAN MORRISON Avalon Sunset
Von dem Iren Heißt es: je mehr er grantelt, desto exzellenter seine Leistung auf der Bühne oder Platte. Als er diese zehn neuen Songs einspielte, muß er streckenweise wieder mal stocksauer gewesen sein…
Muß man bei Van Morrison eigentlich noch immer auf alles gefaßt sein? Die Zeiten, da er sich in 9:44 min. Über Tuberkulose ausließ („T.B. Sheets“, 1967), seiner Plattenfirma eine absolut unverkäufliche Single im Big Band-Sound ablieferte („Caledonia“, 1973) oder in Konzerten plötzlich göttliche Versionen von „Que Sera Sera“ und „Buona Sera Senorita“ aus dem Hals ließ — diese Zeiten sind wohl vorbei.
Eigentlich schade, doch im 23. Jahr einer Solo-Karriere kaum verwunderlich. Morrison ist kalkulierbar(er) geworden, AVALON SUNSET macht da keine Ausnahme.
Renommierte Musiker assistieren, darunter alte Weggefährten wie Arty McGIynn (g) sowie die Sängerinnen Katie Kissoon und Carol Kenyon. Ferner Henry Lowther (tp), die Streicher arrangierte Fiachra Trench, Georgie Farne spielt Hammond-Orgel.
Die Überraschung (also doch…) heißt Cliff Richard. Mit seinem Glaubensbruder intoniert Morrison „Whenever God Shines His Light“: Ob’s sein mußte sei dahingestellt — immerhin, es funktioniert, es gospelt, es bleibt sogar im Ohr.
Gleich mehreren Songs hat der Meister Streicher verordnet, mit meditativstillen Abfolgen, die Morrison-Kenner so oder ähnlich bereits kennen. Auch „Coney Island“, ein gesprochener Spaziergang, hatte mit „Rave On, John Donne“ einen — ebenso faszinierenden — Vorläufer. Höhepunkt des Albums: „Döring Night“, vorwärtsperlend, beschwingt, völlig entspannt.
Dies alles mag nicht sonderbar begeistert klingen, und doch — spätestens nach dem zweiten, dritten Durchlauf — legt dieses Werk dem Hörer Handschellen und Fußfesseln an, zieht es einen in seinen Bann..Und auch wenn die Synthese aus absoluter Perfektion und ebenso absolutem Gefühl bei Morrison ebenfalls nichts Neues ist, bleibt die Frage: Wer, bitte schön, bringt ein solches Miteinander sonst noch zustande? Weitgehende Fehlanzeige.
Mögen die Texte noch so sehr nach Öko-Postwurfsendung oder „Wachturm“-Blättchenklingen; weder43jährige aus Belfast sie in Einklang (!) mit der Musik bringt, ist und bleibt schlicht faszinierend. Mit Farben aus Folklore, Soul, Jazz und Blues werden hier dezenteGemälde nach Noten entworfen, Bilder, die schemenhaft aus Nebeln treten.
Morrison sticht durch diesen Schleier: Eben noch formt seine Stimme einen Song, hält ihn ganz allein zusammen — beim nächsten Wimpernschlag schon zersingt er ihn wieder, löst ihn auf. Kreatives Wechselspiel aus Spannung und Entspannung. AVALON SUNSET ist fast schon magnetische Verführung, Van Morrison bleibt der musikalische Hypnotiseur, der geborene Plattenfänger von Belfast. Ibm)
Worte des großen Schweigers
„Ich gehörte niemals ins Platten-Business. Ich gebe bespielte Bänder ab, die eine Firma vertreibt. Deshalb fühle ich mich diesem Geschäft noch lange nicht zugehörig.“ „Ich weiß nicht, warum andere Leute Platten machen, ich kenne ihr Motiv nicht. Ich frage mich, ob sie überhaupt Motive haben. Es interessiert mich auch überhaupt nicht.“ „Ich bin nicht gegen das Rock’n‘ Roll-Geschäft. Für einige Leute ist das bestimmt eine feine Sache. Nur nicht für mich.“ „Ich bin an keine Organisation gebunden. Ich habe keinen Guru, ich habe keinen Lehrer. Und ich will auch keiner sein.“
Das gespannte Verhältnis zwischen Morrison und der Presse führte schon 1973 zur Veröffentlichung des Buches „Reliable Sources“: Auf 72 (!) Seiten beantwortete Mr. Mürrisch alle wichtigen Fragen. Selbst diejenigen, die eigentlich niemand gestellt hatte.
DISCOCRAPHIE
THE ANGRY YOUNG THEM (1945) THEM AGAIN (1964) BLOWIN’YOURMIND(1967) ASTRAL WEEKS (1968) MOONDANCE (1970 HIS BAND AND THE STREET CHOIR (1970) TUPELOHONEY(1971) SAINT DOMINIC’S PREWIEV (1972) HARD NOSE THE HIGHWAY (1973) IT’S TOO LATE TO STOP NOW (1974) VEEDON FLEECE (1974) A PERIOD OF TRANSITION {1977) WAVELENGTH (1978) INTO THE MUSIC (1979) COMMON ONE (1980) BEAUTIFUL VISION (1982) INARTICULATE SPEECH OF THE HEART (1983) LIVE AT GRAND OPERA… (1984) A SENSE OFWONDER (1985) NO GURU, NO METHOD, NO TEACHER (1986) POETIC CHAMPIONS COMPOSE (1987) IRISHHEARTBEAT(1988) AVALON SUNSET (1989)
STATIONEN IN STICHWORTEN
Seit den frühen Tagen des englischen R&B ist der Name George Ivan („Van“) Morrison ein Gütesiegel: Er komponierte den Klassiker „Gloria“, sang mit seiner Band Them (Foto) die bis heute ultimative Version des Dylan-Songs „It’s All Over Now, Baby Blue“. Mißlungener Solo-Start 1967 in den USA. Im Jahr darauf der Jahrhunderrwurf ASTRAL WEEKS, eine LP, die sich noch 1989 jeglicher Klassifizierung widersetzt. MOONDANCE, SAINT DOMl-NICS PREWIEV, VEEDON FLEECE: Spitzenklasse zwischen Folk & Soul & Jazz & Rhythm & Blues. Robbie Robertson (The Band) nennt ihn „Belfast Cowboy“, andere einen unbeugsamen Ultra-Perfektionisten, der Interviews, Konzerte und Plattenaufnahmen abbricht. Morrison rollt stilistisch auf einem Privatgleis, kaum jemand traut sich, seine Songs zu covem. Seit Beginn der 80er dubiose Verstrickungen in diffuse Heilslehren. Musikalischer Rückzug auf einen Heimat-Begriff fernab des Verdachts eines plumpen Nationalismus. Ob mit den Crusaders (unveröffentlicht), mit Chet Baker (1968) oder der „Danmarks Radio Big Band“ (1987) — Van The Man ist überall dort zuhause, wo der (gute Ton) die Musik macht. Ibm)