Verkaufskanonen


Die Preßwerke der Platten- Multis laufen wie jedes Jahr heiß für das Weihnachtsgeschäft. Doch die großen Acts haben längst ihr Pulver verschossen, jetzt müssen die Alten Meister als Verkaufska- nonen an die Handels-Front. Beatles oder Prince, Police oder Led-Zeppelin — ME/Sounds bringt die wichtigsten Boxen und Kompilationen im Preview.

Police: Warten auf das Wave-Revival

Kommt es, oder kommt es nicht? Nachdem die Sechziger und Siebziger Jahre musikalisch in etlichen Revivals und Revivalchen weitgehend ausgeschlachtet sind, wären jetzt eigentlich die frühen Achtziger an der Reihe, wieder aufgewärmt zu werden. Das Fanal dazu könnte die anstehende Veröffentlichung der opulenten Police-Werkschau „Message In A Box“ am 27. September werden. Zumindest der amerikanische Platten-Handel glaubt an die Polizei-Macht: „Wir haben von keiner anderen Box in diesem Jahr so große Mengen vorbestellt“, verrät Roman Kotroys, Chefeinkäufer der US-Kette „Repeat The Beat“. Obwohl von dem schon drei Mal in unveränderten Form veröffentlichten (1986, 90 und 92) „Best Of-Album allein in Deutschland über eine Million Stück verkauft wurden, hält Howard Berman, Chef der Polizisten-Firma „A&M“ das Konzept der neuen Box für unschlagbar: „Wir bringen die Titel exakt in den Reihenfolgen: wie sie auch auf den Original-Alben waren. Warum sollten wir Gott spielen, und diese Ordnung zerstören?“ Die Police-Box setzt auf Werk-Treue und Vollständigkeit. Auf den vier CDs befinden sich alle Songs, die von der Band jemals veröffentlicht worden sind. Alle Album-Tracks plus: „Fallout“ und „Nothing Achieving“ von der allerersten Police-Single (Mai 1977), dazu 12 Titel von Single-B-Seiten, zwei rare Live-Tracks („Landlord“ und „Driven To Tears“) sowie zwei Police-Beiträge zum „Brimstone & Treacle“-Soundtrack. Die Band beschloß, es bei den 76 Titeln (Gesamtspielzeit: 4,5 Stunden) zu belassen:

„Nanirlich gibt es Berge von Konzertund Radio-Mitschnitten“, erklärt Berman das Reinheitsgebot, „aber die Band wollte nur wirklich erstklassige Aufnahmen draufhaben. “ Auch in Sachen „verlorene Bänder“ wurden die Archivare nicht fündig. Berman: „Wir haben alle Keller durchsucht. Aber die Band war damals viel zu ordentlich, um irgendwelche Tapes zu verlegen. „

Beatles: Rotlicht für das Blaue Wunder

Ende September erscheinen in Deutschland zwei Doppel-CDs, die man unter normalen Umständen unter dem Stichwort „Wiederveröffentlichung auf CD“ ablesen könnte. ¿

Doch bei den vier Liverpoolern herrschen auch heute noch, 33 Jahre nachdem sie als „The Silver Beetles“ ihre ersten Auftritte gespielt hatten, keine normalen Umstände. Schon 1973, als die beiden Best-Of-Alben der Beatles als Doppel-LPs auf Vinyl und MC erschienen, gehörten sie bald zu den weltweit erfolgreichsten Kompilationen (Platz 1 und 3 der US-Charts, Top Ten in England und Deutschland). Für Statistiker: Mittlerweile wurden in Deutschland von „1962-1966“ (das „Rote Album“) 2.043.092 Einheiten und von „1967—bis 1970“ (das „Blaue Album“) 2.009.950 LPs und MCs verkauft. Entsprechend hochgesteckt sind die Ziele der EMI für die beiden Doppel-CDs: „Wir haben 650.000 Mark in den ersten Marketintschub gesteckt“, verrät EMI-Sales-Director Friedhelm Kaulen, „um die Kunden an die Kasse des Einzelhandels zu kriegen“. Dort angelangt, müssen sie tief in die Tasche greifen, denn der von der EMI vorgegebene Einkaufspreis (rund 40 DM) läßt im normalen Plattengeschäft kaum Preise unter 70 Mark zu. Wer also die Vollpackung aller 54 Beatles-Hits auf CD haben will, muß gut 140 Mark locker machen. Sicher ist nur eines: Paul, George und Ringo werden an den erneuten Umsätzen mitverdienen. Anfang des Jahres hatte das deutsche „Zyx“-Label versucht, das „Rote“ Album auf eigene Faust zu veröffentlichen, da offiziell die Urheber-Rechte aller Titel nach 25 Jahren erlischen. In Erwartung einer EG-weiten Rechtsanpassung (50 Jahre Recht-Schutz) ließ die EMI jedoch dieses Vorhaben vor Gericht genauso verbieten, wie den Versuch von „Tschibo“, eine 4-CD-Box der Beatles für nur 50 DM zu verkaufen.

Prince: Hits im Sperrfeuer

Der eherene Grundsatz „Nur wo Hits draufsteht, sind auch Hits drin“ gilt immer seltener. Auf den Beatles-CDs steht’s nicht drauf, dafür sind eine Menge Single-Erfolge enthalten. Prince’sKompilations-Herbstoffensive dagegen nennt sich schlicht und ergreifend „The Hits“, ¿

was sich (im sieher unfairen Vergleich mit den Beatles) bei einem Teil der insgesamt 56 Songs eher auf die künstlerische denn die kommerzielle Qualität bezieht. Dennoch — die Werkschau des Workaholic aus Minneapolis ist nicht nur für Fans interessant, denn sie faßt tatsächlich sämtliche wesentlichen Perlen aus dem Prince-Archiv zusammen. Das Hit-Feuerwerk wird dreistufig gezündet und beginnt mit je einer CD“.The Füts 1″ und „The Hits 2“. Auf beiden Platten sind alle wichtigen Prince-Titel wie „1999“, „When Doves Cry“. „Alphabet Street“, „Kiss“, „Little Red Corvette“ bis hin zu „Purple Rain“ zusammengefaßt. Als Zuckerl kommen dazu: die neue Ballade „Pink Cashmere“ und das Live-Duett mit Rosie Gaines „Nothing Compares 2 U“ (auf „The Hits 1“). sowie der neue Titel „Pope“ und die aktuelle Single „Peach“ (The Hits 2″). Wer jedoch zusätzlich in den Genuß von „4 The Tears In Your Eyes“ (aus der „We Are The World“-Compilation) und „Power Fantastic“ (neuer Song) kommen möchte, muß zu der 3-CD-Box „The Hits & The B-Sides“ greifen, in der neben den ersten beiden „Hit“-Platten eine Extra-CD mit 18 Songs von Single-Rückseiten enthalten ist. Hardcore-Fans reisen derweil nach Los Angeles zur Aufführung des Odysseus-Musicals „Glam Slam Ulysses“ und lauschen den neuen Prince-Titeln „Come“. „Dark“ und „Interactive“ (auf keiner der drei CDs enthalten). Wem das noch nicht reicht, macht auf dem Rückflug einen Zwischenstop in Minneapolis und geht in den offiziellen Prince-Laden „New Power Generation“. Nur dort gibt es in Kürze das erste Prince-Parfüm „Peach“ — eine Komposition aus veschiedenen Pheromonen (luststeigernden Duft-Essenzen). Einzig ungeklärte Frage: Die Plattenfirma streitet sich noch mit dem Prince-Management, ob des Meisters Name in den offiziellen Bestell-Listen auftauchen darf. Prince will bekanntlich fortan nur noch als das Typogramm von „Love Symbol“ geschrieben werden, was enorme satztechnische Probleme aufwirft. Vorläufiges Friedens-Angebot aus dem Prince-Lager: Man dürfe anstelle des Symbols auch den Namen „Victor“ schreiben.

Reggae: Tougher Than Tough

Als vor einigen Jahren in dieser Zeitschrift der Reggae für tot erklärt ¿ i- -worden war, gab es einen Aufschrei der Jamaica-Freunde. Doch der Dope-Groove von der Insel mußte tatsächlich über zehn Jahre warten, bis er — ausgerechnet von tanzwütigen 90er-Kids via Raggamuffin aus dem Dornrößchenschlaf wachgeküßt wurde.

Für Chris Blackwell, Reggae-Impressario der ersten Stunde und Chef von „Island Records“, war es also höchste Zeit, die mehr als zweijährigen Arbeiten an der definitiven Reggae-Kompilation „Tougher Than Tough — The Story Of Jamaican Music“ zu Ende zu bringen. Anfang Oktober erscheint sie als 4-CD-Box mit insgesamt 95 Songs von der Karibik-Insel. Trevor Wyatt, Projektleiter bei „Island“, konnte die Erfahrungen, die er als Remixer für das musikalische Erbe von Bob Marley gemacht hatte, jetzt an schwierigerem Material umsetzen: “ Wir merkten bald, daß zwischen den Aufnahmen von 1958 und denen von 1993 fast unüberbrückbare Unterschiede in der Klangqualität herrschten.“ Die Überspielung der Master-Bänder geriet denn auch zur Nagelprobe für Produzent und Tonmeister. Das Kunststück gelang ihnen genauso gut wie das pralle, 64-seitige Booklet oder die (weitgehend chronologisch aufgebaute) Balance zwischen großen Hits von Marley, Jimmy Cliff oder Burning Spear, verborgenen Perlen wie Leroy Smart, Niney oder Laurel Aitken bis hin zu aktuellen Raggamuffin-Stars wie Shabba Ranks oder Shaggy.

Led Zeppelin: War das alles?

Zep-Gitarist Jimy Page hatte es längst angekündigt: Schon kurz nach der Veröffentlichung seiner „Remasters“-Box 1990 machte er sich an die Arbeit, die darauf nicht enthaltenen Songs in die Studio-Mangel zu nehmen. So ist auch bei der Anfang Oktober erscheinenden Doppel-CD „Remasters II“ sicher gestellt, daß der sägende Heavy-Rock von Led Zeppelin durch die Digitalisierung keinen Schaden nimmt.

Monatelang bastelte er gemeinsam mit dem Mastering-Spezialisten George Marino in den New Yorker „Sterling Sound“-Studios an jenen 31 Zep-Studio-Tracks, die nicht auf der Vorgänger-Box vertreten waren. Der Zufall spielte ihm gar ein verlorenes Tape in die Hände. Jimmy freut sich: „Ein Arbeiter fand beim Putzen im Keller eines Londoner Studios eine Metall-Dose mit der Aufschrift ,New Yardbirds‘ — Zeppelins erster Name. Weil er früher als Roadie bei den Who arbeitete, erkannte er den Wert des Bandes und benachrichtigte das Who-Management, das die Büchse an mich weilerleitete.“ Der Song, „Baby Come On Home“, wird auf der Doppel-CD nun erstmals veröffentlicht.

Zep-Freunde mit dickerem Weihnachts-Budget finden diesen Song auch in der ebenfalls im Oktober erscheinenden 10-CD-Box „The Complete Studio Records“, die neben den neun regulären Alben („Led Zeppelin I-IV“, „Houses Of The Holy“, „Physical Graffity“, „Presence“, „In Through The Out Door“ und „Coda“) eine Bonus-CD mit raren Tracks (z.B. das achtminütige „White Summer“ von der 1990er-Box und die B-Seite der 1970er-Single „Imigrant Song“, „Hey Hey What Can I Do“) beinhaltet. Kommentiert wird die Werkschau in einem 48-Seitigen Booklet von dem „Rolling Stone“-Journalisten David Fricke.

Paul Simon: Nie mehr allein

Konkurrenz belebt das Geschäft. Als eine von mehreren Wellen der weihnachtlichen Boxen-Flut muß sich Paul Simon mit seinem 3-CD-Set „1964- 1993“ (52 Songs) und der Doppel-CD „Paul Simon Anthology“ (35 Songs) der harten Konkurrenz stellen. Das zumindest glaubt Stan Godman, Einkaufschef der mächtigen US-Ladenkette „Tower Records“: „Das ist ein klassischer Fall von Verdrängungswettbewerb — wenn ein Kunde nur 100 Dollar ausgeben will, die Police-Box und, sagen wir zum Beispiel, die Paul Simon-Box aber jeweils 100 Dollar kosten, wird er sich für eine von beiden entscheiden müssen. „

Das weiß Paul Simon nur zu gut, deshalb hat er sich einen großangelegten Promotion-Schlag ausgedacht. Pünktlich zum Erscheinen seiner Boxen gibt er vom 3. bis 24. Oktober im New Yorker „Madison Square Garden“ insgesamt 20 Konzerte. Der Clou: Die Hälfte des Abends spielt er mit der „Graceland“-Band, die jeweils zweite Hälfte mit seinem Alt-Partner Art Garfunkel.

Simon, der nach einer gescheiterten Ehe mit „Star Wars“-Schauspielerin Carrie Fisher (Scheidung 1985, nur 11 Monate nach dem Ja-Wort) nun mit der Sängerin Edie Brickell eine „ganz normale, glückliche Kleinfamilie gegründet“ hat, greift auf den Kompilationen tief in die Erinnerungs-Kiste — bis hin zu dem Song „Hey Schoolgirls“, der zu einer Zeit entstand, als Simon & Garfunkel noch „Tom & Jerry“ hießen. Paul wird sich * ab November zurückzie-A hen und bis Ende 1994 an einem Broadway-Musical (Script: Derek Walcott) arbeiten.