Verwirrungen


Es war Abend, sie sassen in ihrem Zimmer und Thomas zündete sich eine Zigarette an. „Wie lange kennst du ihn schon?“ fragte er. Bianca stand vorm Fenster. Sie schob die Gardine zur Seite und schaute hinaus. Draussen war es dunkel, es war sicher schon zehn Uhr. „Was ändert das, wenn ich dir sage, wie lange ich ihn schon kenne?“ entgegnete sie ungeduldig.“.Ich kenne ihn lange genug, um zu wissen, dass ich ihn liebe“. „Liebe!“ Thomas wurde nervös. „Weisst du eigentlich, was Liebe ist? Du bist in ihn verliebt und dieser Zustand kann rasch zu ende sein“. Bianca schwieg. Sie hatte wenig Lust, sich mit Thomas zu streiten. Sie wollte ihm nicht weh tun oder verletzten. Sie mochte ihn und eigentlich tat er ihr leid. Sie wusste, dass er sie liebte und das machte das Ganze kompliziert. Thomas war ihr Freund. Vertrauen, Zärtlichkeit und Achtung waren für sie die wichtigsten Eigenschaften einer Freundschaft, sie dachte weniger an Leidenschaft. Doch jetzt war alles anders. Wie konnte sie Thomas nur erklären, dass sie nichts mehr für ihn empfand? Er wollte sie nicht verstehen, konnte nicht begreifen, dass sie Ben brauchte, seitdem sie ihn kennengelernt hatte. Thomas lehnte sich mit den Ellenbogen gegen den Tisch, ratlos, dann stand er plötzlich auf. „Ich lass‘ dich jetzt wohl lieber allein“, murmelte er und sah sie an. Sie schlug die Augen nieder und als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, fühlte sie sich aufeinmal müde und leer.

„WORTE KÖNNEN VIEL ZERSTÖREN !“

Sie lag neben ihm, es war morgens und er schlief. Es musste noch früh sein. Sie konnte nicht mehr einschlafen und drehte ihren Kopf so, dass sie ihn sehen konnte. Ben schlief noch fest und sie hatte Zeit, sich sein Gesicht in Ruhe anzusehen. Er erinnerte sie an ein schlafendes Kind und plötzlich musste sie lächeln. Ben bewegte sich, legte schlafend seinen Arm um sie und hielt sie fest. Diese Geste gab ihr ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und sie verhielt sich still, um ihn nicht zu stören. Kurz darauf schlug auch er die Augen auf. Als er sah, dass sie wach war, küsste er sie. „Wie spät ist es?“ Sie angelte nach seiner Uhr, die auf ihrem Nachtschrank lag. „Kurz nach sechs“. „Verdammt, schon so spät?“ er erschrak und setzte sich. „Ich muss mich beeilen…“ „Was hast du deiner Frau erzählt?“ fragte sie und versuchte, einen leichten Ton zu finden. „Ich hab‘ ihr gesagt, ich wäre mit Freunden unterwegs“, erklärte er. „Eigentlich kann ich ihr genau so gut die Wahrheit erzählen – sie macht ja auch, was sie will. Wir wollen uns doch scheiden lassen. Allerdings will ich ihr nicht gern den Grund dazu liefern“. „Was macht eigentlich Thomas?“ fragte er. „Es geht ihm gut“. „Ist er unglücklich?“ Er fragte das ruhig, ohne Spott. „Warum sollte er unglücklich sein?“ entgegnete sie. „Ausserdem verstehe ich nicht, warum wir über Thomas sprechen. Das ist…“ „Ist das nicht wichtig?“ Diesmal war Spott in seiner Stimme und sie wurde ungeduldig. „Es ist nicht nebensächlich, aber auch nicht wichtig. Wenn wir über wichtige I Dinge reden wollen, warum reden wir dann nicht von deiner Frau?“ Er lachte. „Komisch, dass man immer in dem Partner des anderen ein viel ernsteres Hindernis sieht, als in dem eigenen. Es ist vielleicht idiotisch, so etwas zu behaupten, aber wenn man jemanden kennt, kennt man auch seine Art zu leiden und dadurch erscheint einem alles nicht so schlimm!“ „Ich weiss fast gar nichts über Thomas Art zu leiden…“ „Du kennst ihn eben nicht gut genug. Ich bin seit zwei Jahren verheiratet. Und ich habe meine Frau leiden sehen“. Einen kurzen Augenblick schwiegen sie und Bianca versuchte, sich Thomas Frau in ihrem Schmerz vorzustellen. Es gelang ihr nicht. Sie kannte seine Frau nur flüchtig, sie hatte sie zwei oder dreimal flüchtig gesehen. Ben stand auf. wusch sich und zog sich an. Bevor er ging, setzte er sich zu ihr und flüsterte: „Ich möchte dir so viel sagen, aber immer wenn ich bei dir bin, finde ich nicht die richtigen Worte. Ich will nichts verkehrt machen und Worte können manchmal viel zerstören“. „Mir geht es genau so“, sagte sie und strich ihm über die Wangen. Als er gegangen war, rollte sie sich auf den Bauch und versuchte, nachzudenken. Es war Sonntag und sie hatte nichts zu tun. Mit Thomas war es aus und Ben hatte keine Zeit für sie. Die ersten Sonnenstrahlen schienen ins Zimmer und plötzlich war sie sehr wach. Ben würde bald bei seiner Frau sein, ihr etwas vorschwindeln und den Tag mit ihr gemeinsam verbringen. Sie war zu traurig, um eifersüchtig zu sein. Gleichzeitig wusste sie, dass er sich nicht scheiden lassen würde und sie hatte nicht die Kraft, das alles zu ertragen.

ES GEHT VORÜBER“

Abends, gegen acht, verliess sie ihr Zimmer und ging in die Diskothek in der sie früher fast täglich mit Thomas war. Es war früh und sie bestellte sich einen Whisky. Plötzlich ertappte sie sich dabei, dass sie immer wieder zur Tür sah und auf Thomas wartete. Als er dann kam. war sie erleichtert und fast beschämt. Er setzte sich neben sie und tat so, als wäre nichts geschehen.“.Ich hatte gehofft, dass wir uns hier treffen“, begann er vorsichtig. Sie lächelte und trommelte nervös mit den Fingerspitzen den Rhythmus des Songs mit, der gespielt wurde. „Wollen wir tanzen?“ Sie nickte und glitt von ihrem Stuhl. Die Tanzfläche war leer, sie tanzten den ganzen Abend und setzten sich nur, um zu trinken. Gegen zwölf waren sie beide betrunken, irrsinnig vergnügt und nicht einmal sentimental. Sie verbrachten die Stunden mit Tanzen, Trinken und führten nur unsinnige Gespräche. Am Ende war es ein Taumel von Gesichtern und Füssen und Thomas Arm. der sie festhielt. „Es wird zugemacht“, sagte er. „Es ist fast zwei“. „Bei mir wird auch zugemacht“, bemerkte sie. „Wir müssen uns beeilen!“ Am nächsten Morgen hatte sie einen Kater und wahnsinnigen Durst. Sie fühlte sich krank und elend und blieb im Bett. Mittags ging es ihr besser und sie stand auf und begann systematisch, ihr Zimmer aufzuräumen. Sie wartete auf einen Anruf von Ben, doch er rief nicht an, auch am nächsten Tag nicht. Die zwei Tage verbrachte sie im Kino und auf ihrem Bett, schlief viel und las. Ihr Zimmer erschien ihr fremd und sie wusste, Idass es besser wäre, mit Ben zu brechen. Sie konnte weder arbeiten, noch hatte sie Lust, etwas zu unternehmen. Sie fühlte sich wie eine Schlafwandlerin und alles erschien ihr unwirklich. Als Thomas sie besuchte, erzählte sie es ihm. „Was machst du so den ganzen Tag“, fragte er sie. „Nicht viel“, entgegnete sie. „Ich arbeite und lese!“ Sie verschwieg, dass sie ein Buch nur mit dem Gedanken las dass sie mit Ben darüber sprechen könnte und sie ging nur ins Kino um ihm später über den Film erzählen zu können. Sie suchte verzweifelt nach etwas, was sie und Ben verbinden sollte. Es gelang ihr nicht. Alle Dinge mündeten in ihn und sie nahm es sich sehr übel. Sie hatte kein Recht auf ihn. Sie hatte auf niemanden ein Recht, nichteinmal auf Thomas. „Du weisst sehr gut, dass so etwas vorübergeht“, versuchte Thomas sie zu trösten. „In ein paar Monaten wirst du darüber lachen“. „Ich will aber nicht“, widersprach sie. „Ich will ihn nicht vergessen!“ „Aber das hindert dich doch nicht zu wissen, dass es eines Tages nicht mehr zählen wird“. „Schon möglich, aber mir ist es gleich. Jetzt existiert nichts als das!“ Am nächsten Tag hielt sie es nicht mehr aus. Sie rief ihn an. Es meldete sich seine Frau. Ihre Stimme klang sanft und ohne Argwohn. „Ben ist nicht hier“, sagte die Stimme „Er ist verreist“. Das war es also. Er war verreist, ohne ihr etwas davon zu sagen. Er hatte es nicht einmal nötig gefunden, ihr eine Nachricht zu hinterlassen.

DER HIMMEL WAR SCHWARZ

Nach einer Woche wusste sie, dass er wieder zu Hause war. Sie fuhr mit dem Bus an seinem Haus vorbei und sah dort sein Auto. Sie ging in ihr Zimmer und wartete auf seinen Anruf. Doch nichtr geschah. Weder an jenem Tag noch am nächsten. Er war da und rief nicht an. Nach ein paar Tagen besuchte sie wieder ihre Freundinnen und traf sich regelmässig mit Thomas. Sie wusste, dass sie Ben vergessen musste, wollte sie nicht völlig aus dem Gleichgewicht geraten. Am elften Tag klingelte das Telefon. „Das wird Thomas sein“, dachte sie, aber es war Ben. „Wie geht es dir?“ hörte sie ihn sagen. Es war seine Stimme. Er fragte sie, ob sie mit ihm am nächsten Abend einen Whisky trinken wolle. Sie sagte ja. Am nächsten Tag sagte sie Thomas ab und zog sich um. Als sie fast fertig war, läutete das Telefon. Es war Ben. „Tut mir wahnsinnig leid, Bianca“, sagte er. „Ich kann heute Abend nicht, es ist etwas dazwischengekommen. Können wir uns vielleicht morgen abend…“ Sie legte auf, ohne ihn ausreden zu lassen. Sie glaubte ihm kein Wort und wusste noch nie so sicher wie in diesem Augenblick, dass er log. Sie musste damit fertig werden. Sie war kein Kind mehr und auch nicht sein Spielzeug. Sie öffnete das Fenster und atmete tief. Der Himmel war schwarz und hing wie eine schwere Kuppel über der Stadt. Was war eigentlich geschehen? Sie liebte Ben. Thomas liebte sie und Ben… wen liebte Ben? Vielleicht seine Frau. „Und wenn schon“, dachte sie trotzig. „Ich bin eine Frau und ich habe einen Mann geliebt, der mich nicht liebt. Eine alltägliche Geschichte und kein Grund, sich darüber aufzuregen!“