Völlig losgelöst


Komplett zurückgezogen lebt Richard Ashcroft mit Frau und Kind auf einem Bau- ernhof in der englischen Provinz. Dort macht er nicht nur Musik, sondern sich auch seine Gedanken über das Leben, die Liebe und DJ Shadow. Und The Verve. i Arno Frank I Paul Harries/Repfoto

Als Richard Ashcroft aoch Sänger von The Verve war, da war einTreffen mit ihm verhältnismäßig einfach. Man wurde nach London geflogen, nahm den Heathrow Express in die Stadt, ließ sich zur Zentrale der Plattenfirma chauffieren – und fertig: Da saß die ganze Truppe halbversunken in einem schwarzen Ledersofa um einen Tisch mit überquellenden Aschenbechern und einem beachtlichen Riegel Haschisch. Das war, bevor das Album „Urban Hymns“ auf den Markt kam und alles, alles änderte. Heute ist eine Begegnung mit Richard Ashcroft komplizierter geworden. Man wird nach London geflogen, nimmt den Heathrow Express in die Stadt, steigt dort um in einen Zug nach Westen, wartet aufzugigen Bahnsteigen auf Anschlusszüge, kommt irgendwann im Städtchen Gloucester an, wird von einem Fahrer aufs Land chauffiert, über enge Landstraßen, biegt in einen überwachsenen Feldweg, läuft die letzten Meter zu einem gewaltigen Anwesen – und endlich: Da sitzt Ashcroft in einer Scheune, halbversunken in einem Ledersofa vor einem Tisch mit überquellenden Aschenbechern und einem beachtlichen Riegel Haschisch.

Scheune ist eigentlich das falsche Wort, auch wenn die gotisch angehauchte Halle aus rotem Backstein früher zur Lagerung von Weintrauben benutzt wurde. Tennis spielen könnte man hier ganz bequem, aber der Hausherr nutzt die renovierte Halle als TonStudio. Sie gehört zu einem wirklich unerhört weitläufigen Bauernhof, der im Jahre 1660 für den Anbau von Wein errichtet wurde. Ashcroft und seine Frau -Kate Ridley von Spiritualized – haben das Anwesen vor zwei Jahren für 500.000 Pfund gekauft, eben erst wurden die Renovierungsarbeiten abgeschlossen:

„Warum ich hier die Interviews gebe? Weil dieser Ort für die nächsten Jahre das Zentrum sein wird, wo alle meine Nerven zusammenlaufen“, sagt Ashcroft.

Er spricht schnell, aber ohne Hektik, und mit dem harten Zungenschlag der Engländer aus dem Norden. Im Zwielicht stechen seine Wangenknochen noch stärker hervor, scheinen die dunklen Augen hinter der rot getönten Sonnenbrille ganz in den Höhlen verschwunden zu sein. Oft hustet er und zieht ebenso oft die Nase hoch. Ein Landmann, wie er im Buch steht; „Wenn du hier lebst, dann hast du jeden Abend schmutzige Hände. In anderen Gegenden sind die Leute wie Computer. Hier dagegen, das war der äußersteVorposten Englands, danach kam Wales. Jeder hier arbeitet auf dem Land“, sagt Ashcroft und meint damit auch sich selbst.

Dass sich Leute wie Stinq oder phiicoi

lins irgendwann in das satte Leben des Landadels zurückziehen, ist üblich und trotzdem ein bisschen peinlich. Aber ausgerechnet Ashcroft? Der Irre, den sie „Mad Richard“ nannten? Die Vorwürfe vor allem der britischen Presse sind ihm nur ein Schulterzucken wert: „Morgens um drei hierzu sitzen undTablas spielen, das ist anders, als ständig im selben Studio zu hocken. Nein, die Leute sollen ruhig wissen: Ashcroft ist dort draußen, isst gutes Essen, trinkt guten Wein, raucht einen guten Joint, während er seine Sachen macht übrigens eine gute Idee“, spricht’s und dreht sich nebenbei aus einer sezierten ultraleichten Marlboro einen Spliff. Die Packung ist schon völlig zerfleddert vom Filterbauen. Drogengeschichten – schreckliche oder schöne – mag er trotzdem keine erzählen. Gebranntes Kind scheut eben das Feuer und verweist auf die Geschichte von VelvetUndergound:“Dort/?iidest Du alles, was es zu Drogen zu sagen gibt“. Aber ja doch, the drugs did work. Nicht nur LSD, sondern die Erfahrungen in der Band überhaupt haben ihm einen „Knacks“ verpasst, wie er sagt: „Es ändert deine Wahrnehmung für immer, du siehst die Welt wie durch eine zerbrochene Sonnenbrille. Aber jetzt, mitjo, verträgt mein Körper nicht mehr die Misshandlungen von früher. Aber vor dem Alternfürchte ich mich nicht. Im Gegenteil, ich freue mich darauf zu sehen, wie mein Sohn aufwächst, wie er jemanden trifft, wie das Märchen weitergeht“.

Los ging dieses Märchen für Richard Ashcroft 1998 mit dem Verve-Album „Urban Hymns“ – Hits wie „Bittersweet Symphony“ oder „The Drugs Don’t Work“ und die entsprechenden Videos machten ihn zum neuen „Rock’n’Roll-Messias“, die Band galt als Wegbereiter einer New Glam- oder, wahlweise, ->

titel

einer New Psychedelica-Welle: Junge Bands sind so geil darauf, als irgendwas definiert zu werden. Sie springen in jede Schublade, die man ihnen aufhält. Was soll das? Die sogenannte Wiedergeburt von CBG-B ’s durch die Strokes oder die White Stripes? Cool! Aber wohin gehst du von dort? Wohin? Jimi Hendrix hat Tricks mit der Gitarre gemacht, und irgendwann wollte er nicht mehr, da wollte er Gitarre spielen, aber die Leute, die Konsumenten wollten sehen, wie erste verbrennt“die Worte „Leute“ und „Konsumenten“ spuckt er verächtlich aus wie Tabak, der in den Mund geraten ist: „Sobald du mit den Tricks anfängst, bist du gefangen. Und deshalb zieht Iggy Pop auf den Festivals noch immer die Hosen runter.“

Nach den Millionen, die er mit The Verve gemacht hat, und nach seinem erfolgreichen Soloalbum „Alone With Everybody“ aus dem Jahr 2000 hat sich Ashcroft dagegen ganz gut in einer luxuriösen Gelassenheiteingerichtet; ,Mir sind Etiketten egal, ich habe nichts zu verlieren. Ich weiß, dass ich mit meiner Frau in ein Fischerdorf in Cornwall ziehen und Musik über das Internet vertreiben kann, wenn’s sein muss. Wenn du merkst, dass du nichtszu verlieren hast, dann kann Musikmachen der geilste Job derWeltsein, ein verdammtes Abenteuer.“

Die Trennung von The Verve 1999, das Zerwürfnis vor allem mit dem Gitarristen Nick McCabe hat auch bei Ashcroft Narben hinterlassen. Aber ein echter Rock’n’Roll-Messias federt dergleichen problemlos mit genügend Selbstbewusstsein ab: “ XJrban Hymns‘ war mein erstes Soloalbum, verdammt“. Die Ex-Kollegen werden es nicht gerne hören. „MitNickMcCabe habeich überhaupt keinen Kontakt mehr. Ich weiß nicht mal, wo er wohnt. Ich habe gehört, er sei in Spanien. Als Musiker respektiere ich ihn sehr, aber als Mensch… Egal wie man die Trennung der Band bewerten will, in Nicks Kopfbin ich der böse Mann. Vielleicht muss es für ihn so sein, damit er sein Leben weiterleben kann.‘ Leuchtende Augen bekommt er nur, wenn er sich an Highlights erinnert, die nun wirklich schon lange her sind:

„Im Vorprogramm der Smashing Pumpkins zu spielen, das war klasse. Weil wir keinen Druck hatten und Sachen machen konnten, von denen die nicht einmal zu träumen wagten.“

Zum Verve-Schlagzeuger Peter Sahsbury hat Ashcroft noch den denkbar besten Draht. Er trommelte auf „Alone With Everybody“ und auf „Human Condition“, dem neuen Werk: „Es heißt ja immer, dass der Bassist und der Drummer ein besonders engesVerhältnis haben. Meiner Meinung nach ist das Verhältnis zwischen dem Sänger und dem Schlagzeuger noch viel wichtiger. Es geht darum, dass man nicht mehr darübernachdenken muss. Demnächst werde ich mitanderen Drummern arbeiten, aber Pete wird immerTeil der Mannschaft bleiben“ Ob Gitarrist oder Schlagzeuger – wichtig ist die Chemie, und technische Fähigkeiten sind das letzte, was Ashcroft interessiert. Während er den Joint im Aschenbecher parkt, unterscheidet er wild gestikulierend zwischen dem Musiker und dem Künstler – und macht sich keine Illusionen: „Meine Talente als Musiker sindbeschränkt-genau das ist es, was meinen Sound als Künstler ausmacht.“ Aha. Und was genau macht den Unterschied? „Die Botschaft“, sagt Ashcroft, „ich liefere Liebe lieber als Hass. Wenn du ein Kind mit einem Bombengürtel siehst, siehst du das Ende der Welt. Und du siehst es jeden Tag. Morgens umfünf wenn dein Sohn noch schläft und deine Frau noch schläft und die Musik läuft, dann siehst du im Fernsehen Kinder mit Bombengürteln und merkst plötzlich: Es ist nicht genug Zeit, in jedem Interview zynisch zu sein.“

Inzwischen ist der Joint erloschen, und Ashcroft macht sich umgehend an den Bau eines neuen. Leise prasselt jetzt ein feiner Regen auf die Holzschindeln, knarzend versinkt der Sänger noch tiefer in seinem opulenten Sofa. Entzündet sein Werk, stößt blaue Kringel aus und wiederholt: „Es ist einfach nicht genug Zeit. Weißt du, Musik ist die einzige Ware, bei der Qualität keine Rolle spielt. Scheiße kostet genau so viel wie der wunderschöne Stoff Revolver von den Beatles, Nick Drake, Can, Otis Redding oder Aretha Franklin ist zeitlos, du kannst es dir bis in alle Ewigkeit anhören – und als es veröffentlicht wurde, konntest du es zu dem selben Preis kaufen wie den ganzen Dreck, der nach einer Woche im Mülleimer gelandet ist“.

Und wer solches sagt, der kollaboriert – wie jüngst – mit den Chemical Brothers? Kann er seine ho- -)

hen Ansprüche auch auf elektronische Musik anwenden? „Elektronische Musik funktioniert ganz wunderbar, wenn man mit Kopfhörern durch den Flughafen geht. Oder um sich von der Stadt abzuschließen, von dieserWeltausHandutönen und Alarmanlagen undBlieps“

Echte Künstler aber könne eine solche Musik nicht hervorbringen, wie Ashcroft unterstreicht: „Wer auch immer die Lennon/McCartney der Zukunft sein werden: Irgendwer meets DJ Shadow meets Irgendwen meets Aphex Twin meets Chemical Brothers werden es ganz bestimmt nicht sein.Was der elektronischen Musik fehlt, das ist der Sänger, die Verbindung, die menschliche Wärme“. Und menschliche Warme ist ein zentraler Topos in Ashcrofts Arbeit. Überhaupt habe er in den letzten zehn Jahren genug menschliche Kälte mitbekommen, das reiche für die nächsten fünfzig Jahre. Nein, der Mann will’s entspannt und harmonisch angehen lassen-schon aus eigenem Interesse „Von engen Freunden nehme ich Ratschläge an, von meiner Frau. Im Endeffekt aber ist es mein Name, der abgefackelt wird, mein Ego, das zerstört wird – mit diesem Wissen im Hinterkopf überlege ich mir sehr gut, was ich veröffentliche und was nicht.“ Er will sein eigener Herr sein und nur seinen eigenen Gesetzen gehorchen – wie die wenigen Künstler, die Richard Ashcroft als direkte Vorbilder gelten lässt: „Es ist Wahnsinn, was DJ Shadow mit Samples anstellt, wie er Meisterwerke aus drei Samples schraubt. Wenn die Urhebergesetze nicht so streng wären, würde ich nur noch Platten aus Samples machen. Ich bewundere das, ich halte DJ Shadow für einen der größten Musiker der Welt“. Also kommen Elektronikmusiker doch in die engere Wahl?

Ashcroft wackelt mit dem Kopf, was ein Nicken und ein Kopf schütteln zugleich sein könnte: „Shadow spielt einfach nur ein anderes Instrument. Ich selbst bin einfach nur… traditionell. ,Astral Weeks’von Van Morrison istmireinfach wichtigerals irgendwelche extrem abstrakten oder esoterischen Elektronik-Alben, die in meiner Sammlung weiter hinten stehen und es nie wirklich nach vorne schaffen. Ich höre sie oft, aber sie geben mir keinen Halt, nichts, woran man sichfesthalten, in das man sich bergen kann wieMelodien undWortees können.“

In diesem Moment stürmt sein Sohn, drei Jahre alt undpitschnass, in Begleitung zweier gewaltiger Hunde in die Scheune. Ashcroft drückt rasch den Joint aus und herzt seinen Sproß. Kate Ridley steckt kurz den Kopf durch die Tür und haucht ein „Hello „. Familienleben ist an-, der Reporter abgesagt: „Wenn du hier raus bist“, ruft Ashcroft noch fröhlich über die Schulter, „dannfange ich mit dem nächsten Album an, sofort. Es soll in einem Jahr rauskommen. Ich will den Leuten gar keine Zeit lassen, darüber nachzudenken. Ich spiele mich langsam ein, sosieht’s aus!“

Die Frau von der Plattenfirma erscheint und fuhrt die flache Hand an der Kehle entlang – ein deutliches Signal, dass die Audienz beendet ist. Und Richard Ashcroft steht da, seinen Sohn auf dem Arm und sagt: „£s dauert nicht mehr lange, bis ich mehr Platten veröffentlicht haben werde als The Verve. Das musst du unbedingtnoch in deinen Artikel schreiben“. — www.richardashcroft.com Richard Ashcrofts neues Album „Human Condition‘ kommt am 21. Oktober in die Läden.