Von Kaspern und Kadavern


Um nicht am Leben zu ernüchtern, setzen Herrenmagazin auf Humor. Das neue Album hat aber mehr zu bieten als Wortwitz.

Eigentlich hatte man den Sänger, Texter und Gitarristen der Hamburger Band Herrenmagazin für einen Kasper gehalten. Der Bandname allein. Die Fotos, auf denen Deniz Jaspersen und Kollegen mit Pullundern und pomadigen Haaren aussehen wie Musterschüler. Die MySpace-Seite, auf der sie schreiben „Klingt wie: Völlige Ambitionslosigkeit“, der Nacktmull im Logo und der Band-Blog voll laxer Ansprachen.

Und dann muss man nach einem fast einstündigen Interview feststellen, dass der vermeintliche Witzbold viel über unlustige Dinge nachdenkt. Warum die Leute in der U-Bahn immer so leer gucken, etwa. Darüber, ob er seinen Coolness-Faktor sabotiert, weil er auf der Bühne immer lossabbelt, ohne nachzudenken. Oder wie unpunk es ist, wenn man von Bands erwartet, dass sie toller sind als man selbst.

Die Hälfte seines 28-jährigen Lebens wollte Jaspersen in der Musikbranche arbeiten. Er hat sich als Veranstaltungskaufmann ausbilden lassen und träumte nebenbei den Rockstar-Traum. Schon das Herrenmagazin-Debüt Atzelgift erscheint gleich beim Major Motor Music und Kollegen wie Marcus Wiebusch von Kettcar sind voll des Lobes. „Es klingt abgewichst, aber wenn ich einen Traum verloren habe, dann ist es der von der Karriere in der Musikbranche“, sagt Deniz Jaspersen, lacht und erzählt, wie schnell sich alles entzaubert hat, und von den Zwängen, in denen man steckt, wenn man begreift, dass man als Band auch nur ein Produkt ist und nach dem anfänglichen „Achtungserfolg“, wie es Jaspersen nennt, Erwartungshaltungen erfüllen soll.

Das sei auch das Schwierige am „schwierigen zweiten Album“ gewesen. Der Klassiker: Das Label vermisste zunächst die Hits auf Das wird alles einmal Dir gehören. „Wir sind eine Band, die aus dem Bauch heraus funktioniert“, sagt Jaspersen dazu: „Hinter diesem Konzept stehe ich auch. Das ist in 70 Prozent der Fälle gut, nur manchmal muss man eine Sache auch zwei Mal überdenken.“ Denn im Nachhinein, kann er den Querelen auch Positives abgewinnen: „Es war gut, weil ich gezwungen war, mich noch mal mit den Liedern auseinanderzusetzen.“ Zudem habe der König geholfen. „König Wilhelmsburg“, ehemals Sänger und Gitarrist bei Peters ersetzt den Anfang 2009 ausgestiegenen Philip Wildfang. „Im Gegensatz zu uns beherrscht er sein Instrument. Er hat einen umfangreichen Musikgeschmack und interessiert sich für Sounds. Wir haben die Platte auch mit einem anderen Produzenten, Torsten Otto, live eingespielt. Da hatte ich nicht so viel Angst, dass wir uns nicht genug verändern. Jetzt tun sich völlig neue Möglichkeiten auf“, sagt Jaspersen.

Und die will er künftig auch noch stärker bei seinem „Steckenpferd“, den Texten, ausloten. „Auf der ersten Platte habe ich vor allem über unerfüllte Liebe geschrieben. Auf der neuen ist es eher eine Sozialstudie von mir. Das ist alles sehr befindlichkeitsorientiert. Beim nächsten Album will ich dann die Perspektiven wechseln.“ Die kritischen Themen interessieren ihn besonders. Das gut Gemeinte, das hohl bleibt. Aufgegebene Träume. Und, trotz allem, die Hoffnung, dass man stärker ist als der ganze Mist. In „Gespenster“, einem der stärksten Texte, singt Jaspersen von Kadavern auf den Seitenstreifen, und Gespenstern in den Autos. „Die ganze Welt gepflastert mit Leichen/ Wir steigen drüber und lachen laut los.“ In einem anderen Stück fragt er sich: „Ist das nun Fluch oder Segen? Ich muss immer, was hier oben drin ist, teilen.“ Der Song heißt übrigens „Kasper“.

CD im ME S. 20, Albumkritik S. 113

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