Wagemut, der Langeweile Tod


Das liebste Hobby von ... And You Will Know Us By The Trail Of Dead ist es, große Objekte aus großer Höhe fallen zu lassen - seien es nun Akkorde, Zitate oder Fernsehgeräte.

Zur Auflockerung eine kleine Geschichte: Im Sommer 2003 spielten … And You Will Know Us By The Trail Of Dead, die wir ab sofort der Einfachheit halber Trail Of Dead nennen wollen, auf dem Westend-Festival in Dortmund. Zwischendurch warf Sänger und Gitarrist Jason Reece eine Glasflasche ins Publikum, was sicherlich nett gemeint war, aber einem Zuschauer schlecht bekam. Ihm flog die Flasche auf den Mund, ein Schneidezahn brach. Später entschuldigten sich die durchaus nicht unhöflichen Musiker beim entzahnten Fan. Dann tranken sie große Mengen Alkohol, riefen laut in die träge Backstage-Runde und schnappten sich, als dieser Kommunikationsversuch ohne Ergebnis blieb, einen Feuerlöscher, um diesen unter großem Geschrei zu entleeren. Der Veranstalter fand das nicht witzig und ließ die Band entfernen. Trail Of Dead und Gefolge trotteten daraufhin in die Stadt, zu ihrem Hotel, wo sie ein leeres Zimmer fanden, das der Gruppe Slut, die schon abgereist war. Weil Dortmund kaum Aufregendes zu bieten hat, warfen sie einen Fernseher aus dem Fenster. Das gab Ärger, woraufhin die Musiker ein weiteres Zimmer stürmten. Ein zweiter Fernseher flog aus dem Fenster, Glas brach, Stühle barsten, und nach einigem Hin und Her saß die Band im Knast, wo sie sich noch ein paar Stunden langweilte. Warum erzählen wir diese Geschichte? Wie gesagt: zur Auflockerung. Aber auch, um dem Leser ein Bild vom Gemütszustand dieser Band zu vermitteln. Und drittens, um folgende grundsätzliche Frage aufzuwerfen: Warum schmeißen Menschen Fernseher aus Fenstern?

Ein Jahr später in einem unverwüsteten Hotelzimmer in Los Angeles: Jason Reece und Conrad Keely – Chefs, Gitarristen und Sänger der Band – trinken Bier und warten. Jason sitzt bewegungslos in einem Sessel, seine Augen bleiben unsichtbar hinter der Sonnenbrille. Conrad guckt, als müsste er sich erst noch entscheiden, ob er den eingetroffenen Journalisten anspucken oder zu einem Bier einladen möchte. Davon darf man sich jedoch nicht nervös machen lassen, denn es geht hier um einiges, um das neue Album wolrds apart nämlich (und die Sache mit den Fernsehern). Die Platte ist ein Opus, ein Monster, eine Sinfonie. Es ist ein überbordendes Stück Musik, das den Hörer überrollt, weil es so viel ist. Wenn man sich wieder aufgerichtet und das Hirn geordnet hat und diese neuen Lieder dann noch einmal hört, fühlt man sich nicht nur angenehm aufgewühlt, sondern regelrecht davongetragen. Trail Of Dead, die schon immer bemüht waren, Maximales zu schaffen, sind mit wolrds APART zehn Meilen weiter gegangen. Es geht nun alles: Elektronik neben klassischen Partituren, Kinderchöre nach Herrengebrüll, fragile Schönheit gefolgt von besinnungslosem Wüten.

Warum das alles – was ist passiert?

Jason: Wir waren gelangweilt. Es gibt wenige Bands in diesen Tagen, die sich weit hinaus wagen. Alles will fröhlich, sicherund nett sein. Aber da ist wenig, was groß ist, neu und wagemutig.

Conrad: Und wenn man will, dass irgendwas besser wird, mussman’s halt selber machen. Warum machen wir diese Musik? Weil es sonst niemand tut. Wir kreieren die Musik, die wir gerne hören würden. Das ist unsere Verantwortung vor der Popkultur.

Monatelang waren Trail Of Dead im Studio, ihrem eigenen, das sie vorher eingerichtet hatten. Alles war offen, nichts war klar, außer „dass wir etwas schaffen wollten, das bleibt“, so Jason. Wenn man wolrds apart hört, kann man sich ungefähr vorstellen, was für ein kreativer Kraftakt die Aufnahmen waren. „Es war das Größte und Schwerste, was ich jemals in meinem Leben bewältigt habe „, sagt Conrad, der sich, wenn er im Studio gerade mal nicht arbeitete, Geschichts-Dokumentationen ansah.

„Wir haben sehr viel über menschliche Konflikte nachgedacht. Warum gab und gibt es immer Kriege? Ich glaube, dass sie ein Teil der menschlichen Natur sind. In diesem Punkt sind und bleiben wir Tiere.“ Conrad, der mal Kriegsreporter werden wollte, schaut ernst. Jason imitiert Tierlaute.

Weitere Themen auf WORLDS APART: Russland, die Verfettung der westlichen Zivilisation und Michael Jackson. Zur Verfettung: „Worlds Apart“ ist der Titel einer US-Fernsehserie, in der eine stinknormale Familie im Dschungel mit Eingeborenen lebt. Trail Of Dead mögen diese Serie sehr. „Jeder Amerikaner sollte einmal so leben. Sie würden viel über die Welt lernen und dankbar sein für das, was sie haben „, befindet Conrad. Plötzlich explodiert draußen ein Auto. Wir rennen zum Fenster, Jason brüllt: „Endlich passiert was! „Doch die Aufregung auf der Straße hält sich in Grenzen. Da wird wohl wieder mal ein Film gedreht. Das hier ist Hollywood. Also weiter im Text: Was war mit Michael Jackson? Der gestürzte King of Pop inspirierte Conrad zum Text des Stückes „The Best“.

„Der Song klang sehr gruselig, und als ich über den Text nachdachte, war Michael Jackson das Gruseligste, was mir einfiel. Er ist ein von der Öffentlichkeitgeschaffenes Monster. Sie haben ihn zum König erkoren, und nun wird erzerstört.“ Conrad, der bereut, als Jugendlicher keine bessere Ausbildung genossen zu haben, der das amerikanische Bildungssystem für das „schlechteste de rWelt“ hält und es heute als „Genuss und Freude“ empfindet, sich zu bilden, – Conrad also wertet nicht, wenn er derartige Dinge erzählt. Er will lediglich verstehen, sagt er.

Doch was ist denn nun mit der wichtigsten Frage: Warum werfen Menschen Fernseher aus Fenstern? Bevor es soweit ist, wollen wir noch ein paar Informationen verbreiten, die von Interesse sein könnten. Zum Beispiel: Die berühmte Violinistin Hillary Hahn spielt auf dem Stück „Russia My Homeland“, weil Conrad ein Fan von ihr und ihr Freund ein Fan von Trail Of Dead ist. Zweitens: Neil Busch ist nicht mehr dabei. Zu viele Drogen. Um ihn zu ersetzen, haben Trail Of Dead zwei neue Mitglieder engagiert; auf der Bühne stehen nunmehr zwei Schlagzeugsets. Drittens: Conrad schreibt an einem Fantasy-Roman, und Jason macht technoide Musik mit seinem Projekt A Roman Scandal. Viertens: Conrad war mit der Schauspielerin Juliette Lewis weder liiert noch verlobt. Die beiden kennen sich noch nicht mal. Das Gerücht über Keely und Lewis hatte der Booking-Agent der Band verbreitet. Weil ihm langweilig war.

Aber nun zur Frage: Warum werfen Menschen Fernseher aus Fenstern ?

JASON: Es macht einfach Spaß, große Objekte aus großer Höhe fallen zu lassen. Da gibt es keinen intellektuellen Hintergrund. Conrad: Jeder sollte das mal ausprobieren, aber dabei darauf achten, dass er niemanden trifft. Das alles hat aber nichts mit irgendeinem Rock ’n’Roll-Lifestyle zu tun. Manchmal ist uns eben langweilig. Und manchmal wissen wir auch nicht mehr, was wir tun. Das kann zuweilen sehr befreiend sein. Aber letztendlich geht es einzig und allein um die Musik. Deswegen sind wir hier. Die Musik ist alles. Das war’s. >» www.trailofdead.com —