Wappentier
Wer gut gekleidet ist, entscheidet Jan Joswig. Heute vor dem Stilgericht: Debbie Harry
Manche Musikerinnen starten schon im Fräuleinalter als Dame – zum Beispiel Joni Mitchell. Andere bleiben auch im Rentenalter ein Girl – zum Beispiel Debbie Harry. Aber bei jemandem, der am Anfang seiner Karriere (mit Blondie) schon Mitte dreißig war, bedeutet das Festhalten am Girl-Status nur ein konsequentes Kontinuum. Debbie Harry war schon immer zu alt für den Typus, den sie darstellte. Aber ihre „Hoppla, bin ich sexy“-Attitüde verfing genau deshalb so rattenscharf (die Ratte war das Wappentier der Punk- und New-Wave-Zeit), weil immer durchdrang, dass sie damit nur spielte, dass sie mit viel zu viel Erfahrung und Reife amüsiert auf ihre Rolle hinunterguckte. Hinter dem frechen Luder schwang immer die New-Wave-Mutter mit. Das Blondinen-Image im Namen und in der gefärbten Frisur stellte sie so künstlich aus wie Andy Warhol seine Perücke. Das umgab sie mit einer eigenartigen Autorität. Die Jungs aus der Band drückten sich hinter ihrem Rücken herum, als würden sie sich gerne von Debbie rumkommandieren lassen.
Debbie Harry übertrug das Modell des Vollblutweibes aus der Generation Gina Lollobrigida und Elizabeth Taylor, das Lustobjekt und Mutter vereinte, ins koffein-überspannte New-Wave-Zeitalter mit seiner aggressiven Selbstironie. Diese Rolle lässt sich ohne Verluste bis ins Alter durchziehen. Heute sieht Debbie Harry wie eine Mischung aus Vivienne Westwood und Tina Turner aus und führt mit 66 Jahren das „Girl“ im Titel ihres aktuellen Blondie-Albums Panic Of Girls. Wie Vivienne Westwood leugnet sie nicht ihre Vergangenheit, macht keinen biografischen Schnitt, sondern veredelt die Insignien ihrer Jugend, statt sich von ihnen zu trennen. Das Hundehalsband wandelt sich zur luxuriösen Gliederkette, bleibt aber als Punk-Zitat erkennbar (und wird von ihr mit dem Bravsten des Braven kombiniert, einem weißen Bübchenkragen). Wie Tina „die schönsten Beine Jahrgang ’39“ Turner ist sie stolz darauf, in Lederhose mit ihrer Nichte noch um Attraktivität buhlen zu können. Und dann trumpft sie mit diesem speziellen Debbie-Harry-Humor auf, der sich über den Anachronismus zwischen Alter und Rolle kaputtlacht: Als Dinosaurier des Rock-Universums trägt sie einen Stulpen mit Skelettaufdruck, als wolle sie auf ihr baldiges Aussterben hinweisen. Das ewige Girl und sein Memento Mori – eine paradoxe Inszenierung, die Debbie Harry wie eine echte Grande Dame meistert.
Jan Joswig ist studierter Kunstgeschichtler, wuchs in einer chemischen Reinigung auf, fuhr mit Bowie-Hosen Skateboard und arbeitet als freier Journalist für Mode, Musik und Alltag. Was LL Cool J in den Achtzigern die Kangolmütze bedeutete, ist ihm der Anglerhut.