Wegen einer Dose Hackfleisch…


Es war sechs Uhr, als ich nach Haus kam und um halb sieben wollte Jürgen mich abholen. Ich musste mich umziehen, etwas essen, das Frühstücksgeschirr vom Tisch räumen und die Blumen begiessen. Ich blieb vor dem Spiegel stehen und stellte fest, dass ich blass aussah und Schatten unter den Augen hatte.

Auf der Couch lagen die Zeitungen, die ich mir in den letzten vierzehn Tagen gekauft hatte, ohne eine davon gelesen zu haben. Wie sollte ich auch Zeitung lesen in der halben Stunde zwischen Feierabend und Ausgehen? Ich räumte einige Zeitungen zur Seite, um mir einen Sitzplatz zu verschaffen und zündete mir eine Zigarette an. Ruhe, nur Ruhe.

Erstmal eine rauchen, um zu entspannen. Noch zwanzig Minuten Zeit zum Umziehen, Essen, Frühstücksgeschirr abräumen und Blumengiessen …

Der neue Mitbewohner

Es klopfte an meiner Zimmertür. Ein mir fremder Knabe trat ein und machte die Tür hinter sich zu, ohne dass ich ihn hereingebeten hatte. „Ich wollte fragen“, sagte er, „ob Du mir eine Dose Hackfleisch borgen kannst“. Ich glaubte nicht richtig zu hören, blieb auf meiner Couch sitzen und starrte ihn an. „Entschuldigung“, begann er von neuem, „ich habe mich noch nicht vorgestellt. Ich heisse Paul und wohne seit heute in dieser Wohnung. Wohnen noch mehr Leute hier?“ Mir ging langsam ein Licht auf. Der neue Mitbewohner. Linda hatte schon von ihm gesprochen. Linda wohnte im Zimmer neben mir. Sie war die einzige von den Mietern in diesem Hause, die ich näher kannte. Woher hätte ich die anderen auch kennen sollen in diesen halben Stunden zwischen Feierabend und Ausgehen? „Ja,“ sagte ich, „nebenan wohnt ein Mädchen in meinem Alter und die beiden Zimmer gegenüber sind auch vermietet. Ich weiss aber nicht, an wen“. „Wieso nicht?“ fragte er erstaunt, /.interessiert es Dich nicht, mit wem Du unter einem Dach wohnst?“ „Nein, nicht so sehr. Das heisst, ich habe einfach keine Zeit, mich dafür zu interessieren. Ausserdem habe ich auch keine Zeit, mich jetzt mit Dir zu unterhalten. Ich muss in zwanzig Minuten weg und habe noch viel zu tun.“ „Triffst Du Dich mit Deinem Freund?“ „Er holt mich ab.“ „Ist er nett?“ Der Knabe namens Paul machte keine Anstalten, zu gehen. Ich hatte ihm doch gesagt, dass ich keine Zeit hatte und er hielt mich hier auf und stellte neugierige Fragen! lieh drückte meine Zigarette aus, stand auf und ging auf ihn zu — beinah so, als ob ich ihn aus dem Raum verscheuchen wollte. Er blieb stehen wo er stand. Meine Bemühungen, ihm meine Aufbruchsstimmung deutlich zu machen, schienen ihm nicht zu imponieren. Er hatte einen sehr direkten Blick, der mich ein bisschen verwirrte. „Ich wollte schüchtern anfragen …“ „… ob ich eine Dose Hackfleisch im Hause habe“, ergänzte ich. „Nein, ich habe keine. Und Du musst einsehen, dass Du mich störst. Ich muss mich noch umziehen, etwas essen, Bfumen giessen…“ „Zieh Dich um“, sagte er unbeeindruckt, „ich will Dir einen Gefallen tun und die Blumen giessen. Wo steht die Giesskanne?“ „Auf der Fensterbank.“ Ich suchte meine Klamotten zusammen und verschwand damit im Badezimmer.

Eine etwas ungewöhnliche Art…

„Warum“ sagte ich, als ich zurückkam, „tust Du das.“ „Was?“ „Das Blumengiessen. Nein, nicht das Blumengiessen. Warum fragst Du mich nach einer Dose Hackfleisch, obwohl Du weisst, dass ich keine habe ___“ „Ich kenne so niemanden hier. Wie gesagt, ich bin heute eingezogen. Ich bin neu in dieser Stadt. Du musst verstehen, dass ich jemanden kennenlernen möchte.“ „Ja, das verstehe ich. Nur — Du tust das auf eine etwas ungewöhnliche Art…“ „Okay“, sagte er. „Aber was verstehst Du unter „gewöhnlich?“ Hätte ich schüchtern anklopfen sollen und sagen, guten Tag, ich bin der Neue, soll hier ein Klavier abholen, machen Sie bitte ein kleines Bündel, ich bin mit dem Fahrrad …“ Ich wollte lachen, schenkte mir das aber. Jürgen hatte das Zimmer betreten, ich musste sein Klopfen überhört haben. „Guten Abend“ sagte er. „Guten Abend“ antworteten Paul und ich wie aus einem Munde, ich wusste nicht, was Jürgen dachte. Ich wusste nur, dass sein Erstaunen so deutlich auf seinem Gesicht stand, dass ich plötzlich Lust hatte, ihn im Ungewissen zu lassen. Ich gab keine Erklärung von nrtr. Wortlos ergriff ich meinen Marrtet und meine Tasche. Auf der Türschwelle drehte ich mich halb um, wirkte Paul zu und zog Jürgen mit mir hinaus. Die Situation war gigantisch! Gleichzeitig erschien sie mir kindisch und albem, aber ich genoss sie. Natürlich hatte ich nicht erwartet, dass der Abend übermässig heiter und ausgelassen werden würde. Allerdings hatte ich auch nicht mit einer derartigen Flaute gerechnet. Ich hüllte mich in Schweigen, während wir in den Club fuhren. Erst, als Jürgens Stimmung den Nullpunkt erreichte, erzählte ich ihm wahrheitsgetreu den Sachverhalt der Dinge. Ich hoffte, er würde rückblickend die Komik der Situation sehen. Aber meine Reden waren zwecklos. Er glaubte mir kein Wort!

Mach Dir keine Gedanken…

Es war sechs Uhr, als ich nach Haus kam. Paul sass auf der Treppe und kaute Fingernägel. „Guten Abend“ sagte ich und ging vorbei. Er folgte mir wortlos in mein Zimmer. Ich fing an, das Frühstücksgeschirr abzuräumen, ohne ihn zu beachten. Die Sache mit Jürgen hatte mir die Laune verdorben. Einerseits war ich traurig darüber, dass Jürgen mir so wenig glaubte, andererseits wütend, das er so wenig Spass verstand. Paul zündete zwei von meinen Zigaretten an und hielt mir eine hin. „Nun setz‘ Dich erstmal und rauch‘ eine. Zuviel Hektik am frühen Abend ist nie gut“.

wir sässetr tms %ffte -aewEart’a ^WM* gend gegenüber. Ich überlegte rnijsf^ gestrengt, wie Ich Jörgen von PSuW Unwichtigkeit überzeugen könnte. Paul schien über das gleiche Thema nachzudenken. Draussen regnete es. „Holt er Dich heute wieder ab?“ fragte er schliesslich. „Ich hoffe es“. „Wann?“ „Halb sieben. Wenn.“ „Okay, ich räume hier zu Ende auf. Du kannst gehen und Dich umziehen“. „Warum tust Du das“, fragte ich. „Ich bin sowieso allein und habe nichts besseres zu tun. Mach Dir keine Gedanken darüber…“ Jürgen kam wieder um halb sieben noch um sieben noch um acht. Ich war nervös, trank Tee und rauchte viel. Paul’s Anwesenheit fing an, mich zu nerven. Er konnte mir nicht helfen und ich ihm nicht. Was sollte das alles? „Nebenan“, begann ich vorsichtig, „wohnt Linda. Sie ist sehr süss…“ Paul sah mich aufmerksam an. „Nun ja“, fuhr ich fort, „vielleicht solltest Du mal zwanglos an ihre Tür klopfen und sie fragen, ob sie Dir eine Dose Thunfisch borgen kann…“ Er verstand. Mit einem abwesenden lächeln stand er auf und ging. Er schloss die Tür leise hinter sich und ich blieb sitzen und wartete. Ich konnte mir nicht wirklich vorstellen, dass Jürgen nicht mehr kommen würde. Er konnte diese lächerliche Situation doch nicht derartig tragisch genommen haben. Vielleicht nahm er weder die Situation noch Paul ernst, sondern nur die Tatsachen, dass ich ihn auf den Arm genommen hatte. Verdammt, gerade das war schlecht. Ich drehte Musik an. Paul hatte mir gegenüber gesessen und mit mir gewartet. Er hatte mit angezogenen Beinen und auf die Knie gestütztem Kopf auf der Couch gehockt und versucht, mich auf zuheitern. Ich hatte ihn gern. Paulchen. Er war einfach da, ohne etwas zu wollen und ohne mir Schwierigkeiten zu machen. Ich hatte ihn fortgeschickt und vermisste ihn jetzt.

Da bin Ich wieder…

Ich wartete, ohne zu wissen, auf wen. Es wurde dunkel, aber ich knipste kein Licht an. Ich drehte die Musik lauter. Es wurde halb zwölf. Paulchen kam zurück, mal wieder ohne anzuklopfen. „Da bin ich wieder,“ sagte er. „Oh, gut…“ „Warum ist das gut?“ „Ach — ich dachte — wir könnten vielleicht zusammen etwas essen…“ „Oh, gut!“ sagte er. Er setzte sich mir gegenüber auf die Couch, mit angezogenen Beinen und auf die Knie gestütztem Kopf. Jutta Jutta von Luck