Weniger Vitamin C!


Lemmy. Eine Marke. Zeitlos. Steht für Rrrrock, schnörkelfrei. Whisky-Cola. Und eine geschmir- gelte Stimme -auf dem Diktiergerät

Gespräch mit einer Ikone. In einem Hotel in LA, wo Lemmy ein Leben der unzähligen Sonnen-Stunden und der freundlich dargebotenen Dienstleistungen genießt. Eigentlich sollte dies hier ja ein Studiobesuch werden. Doch Motörhead waren zu schnell fertig – mit ihrem in diesen Tagen erscheinenden Inferno, das jetzt fast ihr zweites Album-Dutzend voll macht. Wahrlich: Altrocker. Ach wo! Lemmy sagt, seine Band werde immer besser. Der ME sagt: Lemmy wird auch und vor allem als Gesprächspartner immer unterhaltsamer und wertvoller. Weil: Dem macht heute keiner mehr was vor.

musikexpress: Das neue Motörhead-Album, inferno, kommt heraus, deine Biografie, „White Line Fever“, wird ins Deutsche übersetzt, und deine Kolaboration mit Probot war ein ziemlicher Hit. Worüber möchtest du zuerst sprechen?

lemmy kilmister: Über das neue Album natürlich! Ich glaube, es ist eines unserer besten überhaupt. Es hält ein paar Überraschungen parat: eine langsame Bluesnummer und zwei Nummern mit Steve Vai an der Gitarre.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Steve?

Er kam aus dem Rainbow (Lemmys Stammlokal auf dem Sunset Boulevard Anm. d. Red.) als ich gerade hinein ging. Und er fragte: „Hey Lemmy, was machst du so?“ Als ich ihm erzählte, wir würden an einem neuen Album arbeiten, bot er an, auf ein paar Songs mitzuspielen – der arme Trottel!

Wieso?

Nun, es ist nicht immer einfach mit uns. Einer unserer Produzenten bekam schon mal einen Nervenzusammenbruch im Studio. Unser letzter bekam von Phil die Gitarre an den Kopf geschmissen. AbeT die Arbeit mit Steve verlief glatt. Wir nahmen seine Tracks bei ihm zuhause auf. Ich war dabei, und es war eine ziemliche Show. Er sitzt cool da, seine Finger fliegen über die Seiten, und er spielt Zeugs, das ich nicht verstehe – aber mag.

War euer Gitarrist Phil Campbell eifersüchtig ?

Nein, überhaupt nicht. Braucht er auch nicht. Er wird von Album zu Album besser. Die ganze Band ist so gut wie nie. Mikkey (Dee, Schlagzeuger-Anm. d. Red.) spielt wie ein Maschinengewehr. Er ist ein echtes Monster. Leider benimmt er sich auch so …

Du sagst, die Band ist besser als je zuvor. Eure größten Erfolge liegen aber lange zurück…

Ja, ungerechtfertigter Weise. Im Vergleich zu heute waren wir zu Zeiten von OVERKILL schlampig und langsam. Ich wünschte, wir hätten mal wieder einen großen Hit, dann könnten wir uns beruhigt von unserem „Goldenen Zeitalter“ verabschieden.

Ihr werdet nicht nur besser, sondern auch schneller: Eigentlich sollte unser Interview bei im Studio stattfinden, aber ihr wart bereits fertig…

Ja, ich war nie ein Freund von diesem Jerry-Garcia-Scheiß, monatelang im Studio rumfiddeln …

Wenn du dich schon über Jerry Garcia aufregst, was sagst du dann zu Axl Rose, der seit zehn Jahren an einem Album rumdoktort?

Das ist jenseits aller Kritik, der Typ hat sie nicht mehr alle! Ich glaube nicht, dass er überhaupt jemals mit dem Album rauskommen will.

Aber er hält an dem Namen Guns N’Roses fest…

Ja, weil er kann. Außerdem ist es ein besserer Name als Velvet Revolver. Der ist wirklich saublöd. So ähnlich wie Strawberry Alarm Clock. Oder Iron Butterfly.

Wie war es mit Dave Grohl und Probot?

Schmerzlos. Ich war gerade mal vier Stunden im Studio. Und das Video hat sehr viel Spaß gemacht. Ordentlich Pussy drin! So sollten Rock-Videos aussehen. Leider sehen heutzutage fast nur noch Hip-Hop-Videos so aus. Ich scheiß auf „political correctness“! Ich liebe Titten! Wenn niemand mehr Titten mögen würde, wäre die menschliche Rasse bald ausgestorben.

Du bist 58, hast Diabetes: keine Lust, mal langsamer zutreten?

Nein. Ich bin seit 30 Jahren auf Tour. Das ist fester Bestandteil meines Lebens, genauso wie Whisky-Cola. Wenn ich damit aufhöre, geht es mir wahrscheinlich schlechter. Ich nehme die Pillen, die mein Arzt mir verordnet, aber damit hat es sich auch. Wenn mir jemand Äpfel und Orangen in den Umkleideraum stellt, schmeiß‘ ich sie raus. Weniger Vitamin C im Backstagebereich!

Ich habe dein Buch gelesen: „White Line Fever . Darin sind Familienfotos: Du bist deiner Großmutter wie aus dem Gesicht geschnitten…

Meiner Mutter aber auch!

Die sieht auf den Fotos aber sehr jung und hübsch aus…

Das war ich auch mal! Naja, eigentlich nicht. Meine Eltern haben mich nicht schön, dafür aber stark gemacht.

Dos Buch ist über weite Strecken saukomisch. Erst zum Ende hin wird es etwas dünn …

Ich wurde am Ende etwas ungeduldig. Wir haben in den wenigen Pausen zwischen den Tourneen daran gearbeitet, und irgendwann musste es einfach mal fertigwerden. Und außerdem ist mein späteres Leben nicht mehr so voll von Eskapaden wie die frühere Zeit. Ich habe bereits fast alles angestellt, was anzustellen war.

Aber dein feiner, britischer Humor schimmert jederzeit durch. Wie wichtig ist Humor für dich ?

Sehr! Ich liebe gute Komiker, bin ein riesiger Fan der Monty Pythons und von Peter Seilers. Inspektor Clouseau, „Die Pavlova des Barrens“ – darüber kann ich immer noch Tränen lachen. Und ich bin fest davon überzeugt, dass man sich selbst nie zu wichtig nehmen darf. Ich weiß noch: Am Anfang wollte die Plattenfirma, dass die Band Lemmy’s Motörhead hei ßt. Dabei ging es nie nur um mich. Es geht immer um die ganze Band, alles wird zu gleichen Teilen geteilt.

So denkt nicht jede Band. Kiss zum Beispiel beschäftigten ihren Gitarristen Ace Frehley als Angestellten.

Stimmt, aber ich finde so etwas verachtenswert. Das ist nicht gut für die Seele.

Wusstest du, dass Gene Simmons die Filmrechte zur Mötley Crue-Biografie.,The Dirt“ erstanden hat?

Ja, wahrscheinlich spielt er sogar im Film mit: ein Mädchen…

Hast du „The Dirt ‚gelesen?

Ja, aber ich fand, dass sie darin einige Leute zu unrecht beleidigt haben.

Bei dir kommt auch nicht jeder gut weg …

Stimmt, aber wenn ich etwas schlechtes über jemanden sage, dann hat das seinen Grund. Dann hat die betreffende Person es auch wirklich verdient.

Dem Buch ist deiner Ex-Freundin Susan Benett gewidmet, die an einer Überdosis Heroin starb. Du sagst darin, sie hätte diejenige sein können, welche …

Ja, wer weiß, vielleicht wäre sie die Frau meines Lebens gewesen. Da sie tot ist, werden wir es nie herausfinden. Aber ich denke lange nicht mehr soviel an sie, wie ich es früher getan habe. Und da ich kein einziges Foto von ihr besitze, verschwimmt in meiner Erinnerung inzwischen sogar ihr Gesicht. Prost (einervon vielen JackDaniels-Cola wird gehoben)‘. Auf Susan!

Im Buch appelierst du an ihre Schwester, Kay, sie möge sich bei dir melden. Hat sie es getan ?

Bislang noch nicht. Vielleicht ist sie tot. Das letzte, was ich von ihr gehört habe, war, dass sie im Knast sitzt. Wegen gefälschter Schecks. Sie hatte ein paar zwielichtige Freunde. Aber ich würde sie gerne wiedersehen. Sie sah genau wie Sue aus. Prost! Auf Sue und Kay.

Letzte Frage, aus der Geruchteküche: Angeblich willst du dir die Warzen entfernen und sie per Internet versteigern lassen. Ist das wahr?

Quatsch, das hab ich mal aus Spaß in einem Interview gesagt.

So steht es aber auf eurer offiziellen Homepage.

Und dafür kriegt der Administrator auch noch eine Rakete in den Hintern. Aber vielleicht lass ich sie wirklich wegoperieren. Sie haben mich lange genug genervt.

Womöglich erkennt dich dann niemand mehr.

Keine Angst, mich erkennt man auch so. Ich habe mich und meinen Stil in den letzten 30 Jahren kaum verändert. Und sollte wirklich jemand Zweifel haben, dann grunze ich einfach „Orrrgaaaasssmotrooooon…“