Wenn künstlich, dann smart: Warum „Barbie“ ein klassisch schlechter Film ist
Julia Friese erklärt, was Memes mit Charles Darwin zu tun haben & was sich hinter Barbiecore verbirgt.
Drei Beobachtungen:
1. gen mem
Wer sagt, er möchte popkulturell erfolgreich sein, meint im Grunde, er möchte kopiert werden – und in jeder Kopie erkennbar bleiben. Er möchte also ein Meme werden. In „Das egoistische Gen“ (1976) erklärt der Evolutionsbiologe Richard Dawkins, welche Eigenschaften ein erfolgreicher Replikator aufweisen muss: Langlebigkeit, Fruchtbarkeit und Wiedergabetreue. Ein Gen ist ein Bausatz mit Anleitung: „wenn/dann“.
Parallel zum Gen entwickelte Dawkins das Mem – aus dem Altgriechischen von Imitieren –, eine kulturelle „Wenn/dann“-Anleitung, die ebenfalls von Mensch zu Mensch kopiert wird. Die Biosphäre der – modern englisch formuliert – Memes sind unsere Gehirne: Wenn sich jemand an die zehn Gebote hält, dann ist er gut. Wenn vier Menschen in großen Schritten hintereinander über eine Zebrastreifen gehen, dann Beatles. Wenn die zentrale Figur zu Beginn des letzten Drittels eines Films sich eine Rede anhören muss, dann erklärt diese sämtliche Entwicklung, die die Figur zuvor nicht durchgemacht hat. Die Rede verändert alles. Und wenn das passiert, dann handelt es sich um einen schlechten Film.
2. a lot to unpack
Barbie ist ein nostalgisches Meme, das Greta Gerwig sich angeeignet hat, für einen Film, in dessen letztem Drittel eine klischierte Rede die Entwicklung der Protagonistin bewirkt. Ein klassisch schlechter Film, der aber in Bildern erzählt wird, die so langlebig wie fruchtbar sind. Anders ausgedrückt: Der „Barbie“-Film enthält wenig, ist aber so reichhaltig verpackt, dass die Beschäftigung mit dem Wenigen lange andauert.
„Barbie“ beginnt mit Kubricks Monolith-Meme („2001: A Space Odyssee“), reiht es sowohl an Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ – ein Bild, das in seiner Meme-Mutation auf den Ausschnitt der Hände reduziert wurde –, wie an klassische Musical-Memes („Du sollst mein Glücksstern sein“, „Der Zauberer von Oz“) und Insta-Share-Pics. Die Protagonistin ist dankbarerweise bereits auf eine Farbe gebrandet. Wenn Pink, dann Barbie. Infolge sah das Gehirn den Film in pinkfarbenen Blumen und dem eigenen schamespinken Gesicht im Spiegel. Ein sich unendlich replizierendes Marketing.
Barbiecore wiederum ist ein Trend, auf den sich Jovana Reisinger gebrandet hat. Ihre Marketingstrategie ist, aus Schriftstellerin und einer 2007er-Paris-Hilton keinen Widerspruch zu machen. In der „Vogue“ schrieb sie schon 2022, Barbiecore könne als „eine Unterwanderung bestehender Rollenzuweisungen“ gelesen werden, schließlich ließen Acrylnägel keine Rückschlüsse auf den Intellekt seiner Trägerin zu. Das Meme „Wenn künstlich, dann blöd“ soll gelöscht werden. Pink soll Barbie bedeuten, aber Barbie soll wertfrei sein. Barbie, die Kostümfeministin, die nie wirklich etwas ist, sich aber in alles reinverkleiden kann – was sagt sie über die Gegenwart? Sowohl Reisinger als auch der Schritt in den lebensgroßen Barbie-Karton bedienen die Sehnsucht nach einer Absolution: die Erlaubnis, Künstlichkeit zu genießen.
3. … und die imitation wurde von den imitierten imitiert
Auf TikTok mimen Menschen „Sim“-Figuren. NPC – also „Non-Playable Character“ – entwickelt sich von einer Beleidigung zur Sehnsucht. Der Schauspieler Bill Hader geht mit einer Szene aus einem „Saturday Night Life“-Sketch von 2015 viral. Als „Alan – The Future Of Casual Entertainment“ wird er in einer Glas-Box in ein Wohnzimmer geliefert. Sein Nutzen ist unklar. Was ist „Casual Entertainment“? Aber seine Mimik gefällt seiner Nutzerin. Es ist eine allen Widrigkeiten trotzende Vergnügtheit.
Umfragen sehen die AfD bei bundesweit über 20 Prozent. Auf Autopilot füttert man AI-Bildgeneratoren mit Selfies, um sich als glatter Avatar entfremdet in einer generischen Situation wieder zu begegnen. Der Kulturjournalist Quentin Lichtblau twittert Werbung für einen AI-Staubsauger, schreibt, alles, was zuvor als „smart“ verkauft wurde, würde künftig als „powered by AI“ verkauft. Denn „wenn künstlich, dann smart“ ist das Meme der Gegenwart.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 10/2023.