Westernhagen
Fast zwei Jahre war er wie von der Bildfläche verschwunden. Mit neuer CD und einem Werbe-Blitz vom Feinsten will sich der beliebteste Rocker der Nation wieder zum Deutschen Meister küren lassen.
Affentheater, einen treffenderen Titel hätte sich Marius Müller Westernhagen für seine neue CD nicht raussuchen können. Was Plattenfirma und Management zur Veröffentlichung anstellen, läßt selbst den Rummel um Pink Floyd und die Stones erblassen. Westernhagen über alles: „Wetten daß..“ hat Marius fest gebucht, der Musiksender VIVA widmet ihm einen ganzen Tag, groß angelegte Plakatierungswellen und massive Film- und Fernsehwerbung Bei soviel Vorbau kann nichts schiefgehen, hofft man im MMW-Lager. Mit Recht, so scheint’s. Nach dem sensationellen „Hallelujah“-Comeback aus dem Karriereloch kann Marius nichts mehr falsch machen. Oder?
Westernhagen scheint keine Feinde zu haben. Im Musik-Biz jemanden zu finden, der Grönemeyer, Maffay oder Lindenberg doof findet, ist keine große Sache – Westernhagen hingegen pendelt auf der nach unten offenen Sympathie-Skala zwischen „ganz nett“ und „sehr nett“. Ein Grund dafür könnte sein, daß er Kritiker und andere Störenfriede gnadenlos aus seiner Welt ausschließt. Das geht soweit, daß er Interview-Partner für die Presse-Kampagne handverliest. Keiner durfte in die neue LP reinhören. Die Musiker wurden zur Schweigepflicht verdonnert. Nur einem persönlichen Freund beim „Stern“ gab er ein Interview, unter der Voraussetzung allerdings, auf den Titel zu kommen. Musikexpress / Sounds mußte – wie „Zeit“, „Spiegel“ und „Focus“ übrigens auch – draußen vor bleiben, vielleicht weil uns keiner Fragen und Antworten vorschreiben oder Fotos auswählen darf. Die Angst scheint umzugehen, jemand könnte Kritisches über den guten Menschen aus Harvestehude verbreiten.
Gibt zu denken. Westernhagen gilt unter Insidern als wenig selbstbewußt. Selbst enge Freunde fürchten, er ist „…absolut konfliktscheu“. Solang’s gut geht – fein. Bei Trennungen, Schwierigkeiten, Ärgernissen läßt er andere seinen Frust überbringen. Beispiel: nach langen Jahren der Zusammenarbeit ließ Marius den Konzertveranstalter Karsten Jahnke durch BAP-Manager Balou ersetzen, der die JAJA-Tour durchzog. 1995 wird Westernhagen mit Marek Lieberberg touren. Da war Zoff hinter den Kulissen, und zwar giftig. Es wird gemunkelt, Marius‘ Abgang sei für Jahnke völlig überraschend gekommen. Hauke Tetzen, Jahnkes Stellvertreter, formuliert höflich: „Wir waren natürlich unglücklich über die Entscheidung, haben sie aber zu akzeptieren. So etwas passiert.“ Balou hingegen will heute noch nicht über diesen speziellen Fall reden.
Andere sind glücklicher mit Marius. Bei WEA ist er, schlicht und einfach, der erfolgreichste nationale Künstler. Bernd Dopp, stellv. Geschäftsführer, sagt ganz klar: „Westernhagen ist die Numher One. Nicht nur, was den Umsatz angeht.“
Obwohl: Killy Kumberger, Ex-WEA-A&R-Chef und Co-Inhaber von Repertoire Records:
„Ich habe über zehn jähre gut mit Marius zusammengearbeitet. Er ist bestimmt nicht der einfachste, und inzwischen auch’n bißchen arrogant, aber das ist ja auch ein Schutz.“ Den scheint der unsichere Marius zu brauchen. Zwar beteuert er gern, in der Harvestehuder Eigentumswohnung wie Otto Normal-Nachbar zu leben (Lieblings-Italiener „Bologna“, dort am liebsten Fisch für sechzehnfuffzich, Gemüse und Obst vom Ise-Markt, Hamburgs teuerster Greenery), aber das private Leben des erfolgreichen Solisten gleicht einer uneinnehmbaren Festung.
Der Mann, der sich im Gespräch schon mal mit John Lennon vergleicht und 250.000 Zuschauer sekundenschnell den Griff bekommt, fürchtet sich zunehmend vor der Öffentlichkeit. Durchaus verständlich, möchte man sagen. Nach seinem ersten Hit-Album zog er noch durch die WEA-Gänge und verschenkte dankbar edle Parker-Füller. Mittlerweise haben auch ihn die Schattenseiten des Ruhms erreicht. Und in Furcht versetzt. „Marius und ich fahren oft in Urlaub nach Italien oder New York“, erinnert sich Rene Tinner, Westernhagen-Freund und Produzent.
„Selbst da erkennen ihn deutsche Touristen. Die Netten fragen nach ’nem Autogramm, die Blöden tatschen ihn einfach an.“ Auch MMW-Keyboarder Helmut Zerlett kennt das: „Da sitzen wir nach einem Gig im Restaurant, und noch während Marius die Gabel zum Mund führt, quatscht ihn einer an. Ich kann verstehen, warum er nicht mit der Band durch die Kneipen zieht.“
Das Verständnis ist einseitig geworden. Das Imperium Westernhagen muß geschützt bleiben vor fremden Einblicken. Musiker und Mitarbeiter riskieren beim Mucken schon mal ihren Job. Selbst Freund Tinner gibt sich bedeckt: „Westernhagen ist und bleibt Westernhagen. Aber mehr darf auch ich auf keinen Fall sagen.“ Es sind dünne Häute, die da zu Markt getragen werden. Publikumsliebling Marius hat sich zum gehetzten Eremiten Westernhagen gewandelt. Die lästige Wirklichkeit blendet das Kölner „kick.“-Management aus. Eine ehemalige WEA-Promoterin erinnert sich: „Als die Anti-Rassismus-Kampagne HELP lief, an der Lindenberg, Niedecken, Maffay und Westernhagen beteiligt waren, wollten einige TV-Magazine ein Statement von ihm haben, da Marius ja mit seiner Frau Romney interkulturellen Alltag vorlebt.“ Die Promoterin rief den Künstler an. Westernhagen sagte, er würde sich ein Statement überlegen und zurückrufen. Statt des Künstlers meldete sich eine halbe Stunde später Götz Elbertzhagen von „kick.“ und bestand er darauf, Anfragen aller Art über „kick.“ laufen zu lassen. Warum sagte Westernhagen nicht gleich: laß mich in Ruhe, ruf meinen Manager an? „Das wäre doch wirklich kein Problem gewesen.“
Die Gruppe der Vertrauensleute wird immer kleiner. Zum Beispiel: „Für ihn ist Chemie in der Band ebenso wichtig wie musikalische Qualität“, sagt Keyboarder Zerlett. „Er würde nie mit Musikern arbeiten seien sie noch so brillant die nicht in unsern Kreis passen.“
Oder seine Frau Romney, die Westernhagen auch musikalisch beeinflußt, ihn nach eigenen Angaben „…groove-betonter“ machte. Mit ihr, dem wirklich allerengsten Kreis, schließt er sich vor den Konzerten fernab von Musikern und Masse – in die Garderobe ein. Danach kommt er raus und be-‚ chert mit der Band Sake, weil das, laut Zerlett, einen leicht alkoholisierenden Effekt hat.
„Das nimmt einem die Hemmungen, wenn 70.000 Mann MA-RI-US, MA-RI-US brüllen.“