Westernhagen – Nackt im Wind


Das emotionalste Album in der langen Laufbahn des Marius Müller-Westernhagen trägt selbstbewußt den Nachnamen als Titel. Und es markiert eine Wende im Leben des 38jährigen Düsseldorfers: Zum ersten Mal hat der schauspielernde Musiker Mut, offen und ohne Deckung von der eigenen Seele zu erzählen. Martin Brem traf einen glücklichen Menschen.

Wir wollten Momente auf Band kriegen, die nicht wiederholbar sind. Wo man effektiv nicht sagen kann: .Ach laß uns das lieber nochmal spielen!‘ Und das ist auch die Hoffnung, daß das eine Plane wieder einmal ausmacht. Daß man es schafft, Leute fast körperlich anzugreifen. Wenn man eine solche Menschlichkeit erfährt, dann müßte die Platte auch Interesse bei Zuhörern finden. „

Manus Müller-Westernhagen sitzt bequem in der Münchner Hilton Bar, spricht konzentriert aber gelassen und strahlt ein gutes Stück Glück durch sein Gesicht. „Diese Plane ist snpersönlich wie die erste, das bin wirklich ich! Ich muß mich nickt mehr verstellen, endlich war das Selbstbewußtsein da, sich nach allen Seilen hin zu öffnen!“

In der Tat: WESTERNHAGEN Marius‘ 11. Album, ist ein bemerkenswertes Dine. Nach den elektrotechnischen Versuchen auf DIE SONNE SO ROT und LAUSIGE ZEITEN hat sich Deutschlands bester Rock V Roll-Schauspieler eine kompetente Band gesucht und alle Konventionen über Bord geworfen.

„Ich war auf der Suche nach meiner musikalischen Identität. Mir wurde einerseits klar, daß die Sache mit den Computern nicht der richtige Weg für mich war. Und andererseits halte ich nichts von den feststehenden Rezepten, die heutzutage im Studio existieren: Man weiß genau, welche Melodiebögen ziehen, welche Beats ankommen. Das hat mehr mit Mathematik zu tun als mit Empfinden.“

Was also tun? Hinzu kam die Trennung vom langjährigen Produzenten Lothar Meid, der den konzeptionellen Schwenk nicht mitmachen wollte. Die Auffassungen davon, was Qualität bedeutet, hätten sich plötzlich unterschieden, sagt Marius. (Meid ist mittlerweile A&R-Chef der Hamburger WEA, pikanterweise Marius‘ Plattenfirma) Auf sich alleine gestellt, begann der 38jährige eine radikale Entschlackungskur. „Ich glaube, meine Stärke besteht wohl darin, meine Persönlichkeil ein- und rüberzubringen. Vom Singen her bin ich ja ein Soul-Sänger, also nicht, daß ich wie ein Schwarzer singe, aber ich singe von der Seele. Ich brauche Raum und die Reibung, die entsteh, wenn Musiker zusammenspielen. Also habe ich Leute ausgesucht.

die weder Gehalls- noch Bejehlsempfänger sind. Ein Jaki Liebezeil sieht hall irgendwann auf und sagt: ,Scheiße, sowas spiel ich nicht‘.“

Doch nicht nur die Musik ist von einer geradezu schonungslosen Offenheit, auch in den Texten erkennt der aufmerksame Hörer eine Intimität, die bislang schon deshalb nicht möglich war. da jedermann den Musiker bei der Interpretation seiner Milieu-Schilderungen der Schauspielerei bezichtigte.

So bereitwillig Marius ist, über die musikalischen Abenteuer im Kölner Studio des Rene Tinner (Co-Produzent) zu erzählen – will man die Gründe für den vollzogenen Seelenstriptease wissen, blockt der Westernhagen schleunigst ab.

„Also zu erzählen, wie es zu den Texten kam, das wäre wirklich exhibitionistisch!“

Aber ist es nicht grundsätzlich exhibitionistisch, in aller Öffentlichkeit über sich selbst nachzudenken?

„Nein, glaub ich nicht! Es wird halt immer weniger gemacht, weil die Scheu sehr groß ist. Man öffnet sich ja immer weniger. Die Leute haben unglaubliche Probleme, miteinander zu kommunizieren und sich gegenseitig zu erkennen. Meine Arbeit war immer total egoistisch. Ich mach ’ne Platte, d. h. ich mach eine Platte für mich. „

Womit wir bei der Schizophrenie des Showgeschäftes angelangt wären: „Auf der einen Seite versucht man sich in seiner Arbeit zu verwirklichen, auf der anderen Seile muß man verkaufen, damit genügend Geld zum Weitermachen reinkommt. Aber die einzig ehrliche An zu arbeiten ist die, Sachen nur für sich selbst zu machen.

Komplett egoistisch.

Denn auf ein Publikum zu schielen? Ich weiß gar nicht, wer die Leute sind, die sich da für meine Planen interessieren. Ich fand’s wunderbar, wenn ich soviele Menschen erreiche, aber das ist nicht das ursprüngliche Motiv.“

Wo liegt denn der Hund begraben?

„Ich hab mit Schlöndorff mal gesprochen und ihn gefragt, warum er abgehauen ist. Und er sagte:, Weil ich es leid war, über jeden Bleistift, der in der Produktion gebraucht wurde, eine Abrechnung zu machen.‘ Hier in Deutschland werden Filme nach dem gleichen Strickmuster wie Fernsehen gemacht. Ohne Risiko. Und das ist für meine Begriffe dumm.

Aber ich bin ja traurigerweise schon soweit, daß ich bei manchen Drehbüchern sage: ,Na gut, das geht!‘ Ich meine, ich kann ja nicht die ganze Zeit nur rumsitzen und meckern, ich muß ja auch mal wieder spielen… „

Daß er überhaupt in der Lage ist. passable Drehbücher abzuwarten und nicht, wie die meisten seiner deutschen Kollegen, gezwungen ist, jede dahergelaufene Rolle anzunehmen, hat mit der erfreulichen Ertrags- und Vertragslage im musikalischen Sektor zu tun. Mit konstant guten Verkäufen (kein Album weniger als 80000 Einheiten, PFEFFERMINZ erhielt für 500000 Exemplare gerade eine Platin-LP) und gesundem Geschäftssinn steht Marius fest auf der Erde. „Es gibt eine Reget Verkaufe dich so leuer wie nur irgendwie möglich. Mein Vater war ein unglaublich guter Schauspieler, aber er hat das nicht begriffen. Man hat ihn ständig über den Tisch gezogen, und der ist da dran kaputtgegangen. Ich hab das schnell gelernt, auch weil ich nie bereit war, einen Manager zu akzeptieren. „

Und Marius war clever genug, sich neben der finanziellen Selbstbestimmung auch gleich noch die kreative Schrankenlosigkeit zu sichern: „Vor PFEFFER-MINZ bin ich zu Sigi Loch (damals WEA-Chefetage) ins Büro. Der halte alle Verkaufszahlen der Platten parat und sagte: Ja hier, deine Platten verkaufen immer schlechter‘ Und ich hab geantwortet: .Eigentlich hab ich kein Interesse mehr, denn wenn ich mit deinen Leuten, die hier im Büro sitzen, über meine Texte diskutieren muß bevor ich sie im Studio aufnehmen darf, und dann wird noch die Putzfrau um ihre Meinung gebeten…‘ Und Loch fragte: ,Was willst du überhaupt?‘ .Die totale künstlerische Freiheit, sonst hör ich auf Und er hat sich zur Schreibmaschine gesetzt, einen Brief abgetippt, wo mir iias zugesagt wurde. Der gilt heute noch: Manfred ZumKellner. der amtierende Geschäftsführer, bringt mir jede Loyalität entgegen!“

Langsam wird’s Zeit. Marius muß noch zum Flughafen und jemanden abholen. Bereits bestätigten Gerüchten zufolge handelt es sich dabei um eine bildhübsche junge Dame mit Wohnsitz New York, die hauptberuflich der Tätigkeit eines Fotomodells nachgehen soll. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist diese Person nicht nur das verborgene Auge auf dem Cover, sondern auch einer der großen Gründe für das so weithin sichtbare Westernhagensche Wohlbefinden. Und wer sich jetzt noch Seite Zwo. Stück Zwo des neuen Albums zu Gemüte führt (ein Song, der „Lieb mich“ heißt und wie kein anderes Lied zuvor des Sängers Herz offenlegt), der erfährt, daß Westernhagen tonnenweise von dem hat, was andere vergeblich suchen: Stil.