When I Paint My Masterpiece: Zehn essentielle Bob-Alben. Part Two
Blood On The Tracks, Columbia/Sony, 1975, 6 Sterne
Wenn es Musik gibt, die blutet, dann ist sie auf dieser Platte zu hören. Dylans Szenen vom Ende einer Ehe schneiden tief in Haut und Herz, tönen bewegend, beunruhigend und – immer wieder aufs Neue beeindruckend. Kategorien wie Blues, Folk, Rock oder Country lässt der Meister weit hinter sich. Man mag es Katharsis nennen, was hier zelebriert wird, man mag staunen, wie mit sparsamsten Mitteln Geniales gelingt. Fest steht: Eine bessere Plattenseite als die erste von Blood On The Tracks wird im Pop (?) schwerlich noch einmal zu finden sein (und die zweite steht der kaum nach).
Desire, Columbia/Sony, 1976, 5 Sterne
Jacques Levy, einen Theaterautor, der auch schon mit Roger McGuinn gearbeitet hat, holt sich Bob als Co-Texter, dazu die Violinistin Scarlet Rivera, die wie kaum jemand vor ihr die Atmosphäre einer Dylan-Platte prägt, die göttliche Emmylou Harris als Backgroundsängerin plus künftige Rolling-Thunder-Revue-Krieger wie Rob Stoner und Howard Wyeth. Dylan gibt den Sozialkritiker – in „Hurricane“ setzt er sich für den des Mordes verdächtigten Box-Champion Rüben „Hurricane“ Carter ein -, den Geschichtenerzähler (Joey“), den rastlosen Wanderer („One More Cup Of Coffee“), den Liebhaber („Isis“, „Sara“), als wäre jeder Song ein Drama auf dem Spielplan eines Off-Broadway-Theaters.
Oh Mercy, Columbia/Sony, 1989, 4 Sterne
Falsch ist, dass dieses Album seinen Titel einem Stoßseufzer selbst beinharter Dylanfans verdankt. „Have Mercy“ angesichts eines Outputs, der Bob in den 8oern von religiösem Irren zu musikalischen Wirren (mit sporadischen Lichtblicken, INFIDELS etwa) führte? Richtig ist, dass Oh Mercy seinen Bewunderern und wohl auch Dylan selbst die 80er rettet. Was vor allem daran liegt, dass ihm zwei Hände voll feiner bis fabelhafter Songs einfallen, wobei „Ring Them Beils“, „Everything Is Broken“ und „Man In The Long Black Coat“ als Erste unter Gleichen gelten dürfen. Dass endlich mal wieder eine Dylan-Platte tatsächlich wie ein Album klingt, liegt aber auch an Produzent Daniel Lanois.
World Gone Wrong, Columbia/Sony, 1993, 5 Sterne
Der Kreis hat sich geschlossen, er ist wieder da, wo er einst in den Coffeehouses angefangen hatte. „Vocals, Guitar, Harmonica: Bob Dylan“ hieß es auf dem Cover seiner 92er-Platte GOOD AS I BEEN TO YOU. Die Songs: Appalachenlieder, Mörderballaden, Countryblues, 13 Mal „Traditional – Arranged by B. Dylan“. Eine Offenbarung. Noch düsterer, noch intensiver, sich in die Seele brennend: World Gone Wrong. Man höre „Blood In My Eyes“ oder „Broke Down Engine“ oder welchen Song auch immer und verharre in Ehrfurcht. Nur Townes van Zandt, Johnny Cash und Nick Cave sind in solche Tiefen hinabgestiegen – und zurückgekehrt, davon zu berichten. „There won’t be songs like these anymore“, schreibt Dylan in den Linernotes.
Time Out Of Mind, Columbia/Sony, 1997, 6 Sterne
Eine Wiedergeburt, im Wortsinn: Als sein bestes Album seit Blood On The Tracks erscheint, ist Bob Dylan so gerade noch mal dem Tod von der Schippe gesprungen. Exegeten seien gewarnt: Die Platte war vor der schweren Herzerkrankung im Kasten. Doch es gilt auch: So schmerzensreich, so desperat hat man den Meister kaum je erlebt – nachtschwarz die Texte, eine schwürende Wunde der Gesang, ein nach allen Seiten offenes Raspeln die Musik. Koryphäen wie Jim Dickinson, Augie Meyers, Jim Keltner, Tony Garnier oder Bucky Baxter leihen helfende Hände. Dylan singt: „It’s not dark yet, but it’s gettin‘ there.“ Singt: „I’ve got no place left to turn, I’ve got nothing left to burn.“ Die Zeiten ändern sich längst nicht mehr – sie geraten aus den Fugen.