Wie es jetzt weitergeht für USA & Deutschland & was Buschmann damit zu tun hat


Die US-Wahl ist genau eine Woche her – und in Deutschland ist seitdem die Regierung implodiert. Aida zieht eine Bilanz.

Am Dienstag, den 5. November dachte ich noch: Was bin ich froh, wenn dieser US-Wahlkampf vorbei ist. Und was bin ich froh, wenn die Ampel es hier in Deutschland endlich hinkriegt, irgendeine Entscheidung zu treffen. Ehrlich gesagt würde ich sehr gerne zu diesem Dienstag vor einer Woche zurückkehren. Ich nehme alles zurück, ich meckere nie wieder!

Die Realitäten

Aber das geht ja nicht, also müssen wir uns mit den Realitäten vor uns befassen. Und die sehen, eine Woche nach der Wahl, ziemlich düster aus. In den USA ernennt Trump einen Hardliner nach dem anderen, wie es für viele Beobachter*innen zwar erwartet wurde, aber insbesondere Wähler*innen aus marginalisierten Communities nicht zu glauben schienen. Ein Typ, der schon bei der letzten Runde Trump dafür sorgte, Familien, die die Grenze vermeintlich illegal überquerten, voneinander zu trennen, ist jetzt „Border-Zar“. Die Politjunkies werden sich erinnern: Das war der Typ, dessen brutale (und letztendlich nutzlose) Politik zu Kindern in Käfigen führte. Eine Kongressabgeordnete, die sich bislang vor allem damit hervorgetan hat, Uni-Präsident*innen nach den Campusprotesten mit Fangfragen zu stammelnden, rechtlich ausweglosen Antworten zu drängen, in deren Konsequenz diese dann gefeuert wurden, wird UN-Vertreterin der USA. Und der vampir-hafte Berater Stephen Miller, der enthusiastisch Ideen aus rechtsextremen Romanen zur Grundlage seiner Ratschläge machte, wird eine einflussreiche Position im Präsidentenoffice erhalten – und machte schon im Wahlkampf klar, dass er dafür sorgen will, dass eingebürgerte Amerikaner*innen ihre Staatsbürgerschaft verlieren. Leuten die Staatsbürgerschaft wegnehmen, das sind nicht nur Nazimethoden, das haben ganz konkret die auch Nazis gemacht. Aber klar, „das letzte Mal war es ja auch nicht so schlimm.“

Doch, war es. Es ging direkt im Januar 2017 los mit einem sogenannten „Muslim Ban“, der zwar nicht lange hielt, aber wegen ihm strandeten sogar Menschen, die eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis hatten, für ein paar Tage irgendwo auf der Welt, weil sie im falschen Moment Urlaub gemacht hatten. Menschen sind an dem beschissenen Umgang mit der Pandemie gestorben, die Wirtschaft ging in den Keller, die USA traten aus dem Pariser Klimaabkommen aus (was sie jetzt wieder ankündigen), und so weiter und so fort. Aber im goldenen Schein der Erinnerung wirkt alles besser, was ein paar Jahre zurückliegt. Wie für mich die Ungewissheiten der letzten Woche zum Beispiel. Und wenn diese jetzt so verklärte Zeit vor der Pandemie liegt, umso mehr.

Die Narben der Pandemie

Und vielleicht ist es an der Zeit, uns genau diesem unangenehmen Thema zu stellen: Die Narben der Pandemie, sie liegen tief. Und damit ist ausnahmsweise mal nicht der wirklich durch und durch schändliche Umgang der Politik mit Long-Covid-Betroffenen gemeint, oder dass wir alle so tun, als gäbe es den Virus nicht mehr. Nein, ich meine die Narben der Verunsicherung dieser Zeit, der Angst, aber auch der Entbehrungen. Und die Konsequenzen, die dazu geführt haben, dass einige wenige richtig gut daran verdient haben und der Rest von uns seitdem aus irgendeinem Grund für alles gefühlt doppelt so viel zahlen muss wie noch 2019.

Fragte man Trump-Wähler*innen, warum sie ihn wählen wollen oder gewählt haben, kam nicht immer, aber immer wieder die Antwort „damals ging’s mir besser“. Ein Teil der 51 % für Trump wollten sicherlich nicht unbedingt aktiv den Faschismus haben, sondern sich nicht mehr so machtlos fühlen wie nach 2020. Der Faschismus, naja, der war halt mit im Angebot, das ihnen die gute alte Achtziger-Jahre-Popfigur Trump und sein neuer Bestie und comicbuchhafter Supervillain Elon Musk gemacht haben. Die Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez fragte am Montag (11. November) auf Instagram, ob ihr Menschen sagen wollten, warum sie für Trump gestimmt haben, und ob einige für sie und Trump gleichzeitig gestimmt hätten. Und die Antworten brachen nur so ein wie eine Sturmwelle: er ist halt sympathischer, unter ihm wird es möglich sein, sich ein Haus zu kaufen, man wird mehr in der Tasche haben, er wird alle Probleme lösen.

Das bedeutet nicht, dass Race oder Geschlecht keine Rolle gespielt haben – sicherlich hat Kamala Harris’ Verlust an Stimmen auch damit zutun gehabt, dass sie eine Schwarze Frau ist. Dass ihr wie so vielen marginalisierten Menschen, keine Kompetenzen zugeschrieben wurden, egal wie kompetent sie war und ist. Man muss sich nur anschauen, mit welchen ekelhaften sexistischen Behauptungen gegen sie Stimmung gemacht wurde: Die völlig erfundene Porno-Fantasie, sie habe sich „hochgeschlafen“ galt unter Trump-Fans als Fakt. In ihren Augen kann halt keine Frau, und erst recht keine Woman of Colour, qua ihres Talents Karriere machen. Und falls sie irgendwann doch daran gezweifelt haben, waren Desinformationsmaschinen wie X, rechte Podcastnetzwerke und noch rechtere Nachrichtenplattformen immer zur Stelle, um derlei Quatsch wieder in Erinnerung zu rufen. Und for good measure auch noch Angst vor Immigranten zu schüren und gegen Trans-Personen zu hetzen.

Olaf Scholz‘ Rückgrat

Da sind wir doch froh, hier im beschaulichen Deutschland zu sein. Oder? Hah, dachte sich Finanzminister Christian Lindner, nicht zu früh freuen. Weil die Welt ist noch nicht genug im Chaos versunken war, wollte er noch einen draufsetzen – und plante eigentlich letzten Mittwoch die Koalition platzen zu lassen. Ja doof nur, dass ihm dann der Kanzler zuvorkam und ihn kurzer Hand rauswarf. Dass Olaf Scholz ein Rückgrat haben würde, war dann eine vielleicht noch größere Überraschung als das Menschen Faschismus doch für ganz okay halten. Aber es geschehen noch Zeichen und Wunder. Doch statt darüber zu debattieren, ob man die Zeit bis zu Neuwahlen irgendwie konstruktiv nutzen kann, weil man es Menschen echt nicht zumuten kann, zu Weihnachten Wahlkampf zu machen, wird seit Tagen vor allem darum gestritten, dass es bitte ganz schnell gehen soll, weil Merz es einfach nicht abwarten kann, Kanzler zu werden. Ob Schnellschuss-Neuwahlen und Wahlkampf an Heiligabend nun das Beste für’s Land sind? Egal, wen interessiert das denn. Nun mehr Ex-Justizminister Marco Buschmann produzierte dann, als hätten wir nicht alle genug gelitten, den kitschigsten Track aller Zeiten zum Lindner-Rücktritt, „Gehen um zu Stehen“, inklusive Kirchenchor und hoffnungsvoller Keyboard-Melodie. Der Soundtrack zum Bundestagsabschied der FDP ja vielleicht?

Immerhin muss sich Buschmann damit keine Sorgen machen, den Zorn von Herbert Grönemeyer auf sich zu ziehen, der erst Merz verbot, „Zeit das sich was dreht“ für seinen Wahlkampf zu benutzen, und dann auch noch „Kanzler-Era“-Habeck, der den Song in seiner audiovisuellen Initiativbewerbung zur Kanzlerschaft pfiff. Mit Freundschaftsarmband und versteckten Botschaften im Videoteaser scheint es Habeck auf die Wählerinnengruppe der Swifties abgesehen zu haben. Aber ob die eine aktuell mit 11% jetzt nicht unbedingt an der Spitze der Wählergunst stehende Partei wirklich zum Topjob befördern können – selbst wenn ihnen ein Freundschaftsarmband und Appropriation ihrer Lingo als Wahlprogrammersatz reichen würden.

Wo ist Doc Brown?

Lasst mich zurückreisen zum Morgen des 5. November. Als die Welt auch schon alles andere als in Ordnung war, aber wir immerhin nicht wussten, dass 51 % aller Amerikaner Faschismus voll okay finden, als Freundschaftsarmbänder ohne Ankündigung politischer Ambitionen auskamen, und als ich Marco Buschmanns Produzentenkarriere noch als sein Privatvergnügen ignorieren konnte. Wo ist Doc Brown, wenn man ihn braucht?