Wie integriert man Flüchtlinge im urbanen Raum? – Drei Lösungsansätze
Von Sozialen Plastiken nach Beuys bis hin zu Wohnhütten in Kleingärten: In vielen Städten entstehen Ideen, wie es gelingen kann, Flüchtlinge im urbanen Raum zu integrieren. Nicht alles klappt sofort. Ohne Support von außen geht es nicht. Aber eines ist klar: Abwarten ist keine Option mehr. Jetzt geht’s los. Und viele junge Städter stehen bereit.
Über 800.000 Menschen sind im Jahr 2015 nach Deutschland gekommen. Wo sollen sie wohnen? Wie kann es gelingen, sie in die Städte zu integrieren – damit sie sich in Deutschland gut fühlen, unsere Städte vielfältiger machen, am gesellschaftlichen Leben teilhaben? Eines ist klar: Container und Zeltstädte am Stadtrand sind nicht einmal eine mittelfristige Lösung. Menschen, die vor dem Bombenterror in ihrer Heimat geflohen sind, dürfen nicht länger als unbedingt nötig an solchen Orten unterbracht werden.
Doch die Wohnungsmärkte der meisten deutschen Städte sind eh schon so überlastet wie ein Paketkurier in der Vorweihnachtszeit. Eine Studie des Eduard Pestel Instituts geht davon aus, dass in Deutschland ab 2015 und bis mindestens 2020 jährlich 400.000 neue Wohnungen benötigt werden. Für das aktuelle Jahr werden rund 260.000 Wohnungen fertig – sodass Deutschland eine Minusbilanz von 140.000 Wohnungen mit ins neue Jahr nimmt.
Es muss sich also schnell was tun. Aber was? Der Augsburger Peter Fliege schlägt vor, erst einmal Joseph Beuys zu lesen. Okay, das ist jetzt nicht unbedingt naheliegend, aber mal schauen, was der gute alte Beuys so sagte. „Jeder Mensch ist ein Künstler“, so lautet seine bekannteste These. Das klingt gut, enthält aber auch eine Aufforderung: Macht was aus eurem Künstlersein, nutzt eure Freiheit, um die Gesellschaft zu verbessern! „Wir in Augsburg nehmen Beuys beim Wort“, sagt Fliege, der lange als Interaktionskünstler tätig war.
Herzlich willkommen im Grandhotel Cosmopolis, zu finden im Springergässchen. Was zeigt: Dieses Haus mitten im Domviertel der altehrwürdigen Fuggerstadt steht in pittoresker Umgebung. Im Cosmopolis finden auf drei der sechs Stockwerke 65 Flüchtlinge aus aller Welt ein Unterkunft; die restlichen Räume werden als Hotelzimmer an Reisende vermietet oder stehen Künstlern als Ateliers zur Verfügung. Im Erdgeschoss gibt es eine Bar, in der das Hotelleben zusammenläuft.
Was das Cosmopolis von anderen Häusern unterscheidet: Wer eincheckt oder mitarbeitet, ist Teil der Sozialen Plastik nach Beuys. Zum Beispiel wenn man abends noch mal muss. Die Zimmer haben keine Toiletten, also raus auf den Gang. Wenn dort besetzt ist, muss man halt warten. „Wie früher“, sagt Fliege, „wenn die ältere Schwester das Bad blockierte.“ Das ist manchmal ärgerlich. Strapaziert die Geduld. Wäre in einem herkömmlichen Grandhotel unvorstellbar. Im Cosmopolis dagegen wird man als Wartender auf dem Hotelflur sofort zum aktiven Teil des Kunstwerks im beuysschen Sinne: „Der eine bringt Geduld mit, der andere erkennt, dass jemand anders wartet. So beginnt Interaktion – und die ist die wichtigste Voraussetzung für Integration“, sagt Fliege.
Die Augsburger gestalten mit
Bis 2007 war das Gebäude ein Seniorenheim, geführt von der Diakonie, dem sozialen Dienst der evangelischen Kirche. Danach stand es längere Zeit leer, bis die Künstlergruppe um Peter Fliege das Haus ab 2012 umdeutete. „Künstler und Flüchtlinge – da haben sich zwei Randgruppen gefunden“, sagt der Mitinitiator und lacht. Ein Gebäude in dieser Lage, mit dieser Nutzung im CSU-regierten Augsburg?
Es gab zunächst Widerstand in der Stadt. „Wir mussten schon erst zeigen, dass es funktioniert“, sagt Fliege. Heute findet es in Augsburg kaum noch jemand verwunderlich, dass im Schatten des Doms ein Vorzeigeprojekt urbanen Gemeinschaftslebens betrieben wird. Mittlerweile nehmen viele Augsburger Beuys beim Wort. Sie gestalten die Vielfalt ihrer Stadt mit, spenden Möbel oder Spiele, helfen in der Bar oder den Gärten, besuchen die Veranstaltungen und – wohl das Wichtigste – beziehen die Flüchtlinge in das Stadtleben mit ein. So einfach kann das alles ein. Wobei, sagt Peter Fliege, ganz so simpel sei das eben auch nicht. „Wir als Cosmopolis-Team haben viel politische und künstlerische Arbeit in das Konzept gesteckt.“ Das Projekt mal eben in eine andere Stadt kopieren, das funktioniere so einfach nicht. Hartnäckig müsse man sein, politisches Stehvermögen und Erfahrung mitbringen. „Aber sich Dinge bei uns abschauen, das dürfen die Leute gerne machen.“
Für Beuys war jeder Mensch ein Künstler. Ayoub Aouragh formuliert es mit etwas mehr Pathos: „Jeder hat das Zeug zum Helden.“ Was aber zeichnet Ende 2015 einen Helden aus? Blickt man auf die Situation der Flüchtlinge in den Städten, fällt die Antwort leicht: Kleidung, Spielsachen, Möbel – alles gut. „Aber was am dringendsten benötigt wird, ist Wohnraum“, sagt der 24-Jährige. Ayoub Aouragh ist studierter Wirtschaftsinformatiker. Er lebt und arbeitet als Webentwickler in Rotterdam, seine Eltern sind aus Marokko in die Niederlande gekommen. „Mir geht das Thema daher persönlich nahe“, sagt er. Weil er weiß: Wer in Containern weitdraußen leben muss, findet keinen Anschluss – da kann das Gastgeberland Integration verlangen, so viel es will.
Aouragh fuhr gerade mit dem Auto durch seine Heimatstadt, als ihm die Idee kam: Warum nicht das einfache Modell des erfolgreichen Wohnraumvermittlers Airbnb kopieren und für Flüchtlinge anwenden? „Ich rief zwei Kumpels an, die darin geübt sind, Start-up-Unternehmen zu gründen.“ Keine zwei Wochen später war Refugee Hero online. So schnell kann das gehen. „Wir sehen heute, dass das Internet zu einem Ort des Hasses wird“, sagt Aouragh. „Wir denken daher, dass es Zeit ist, über das Netz die Menschlichkeit zu stärken.“
Warum nicht das einfache Modell des erfolgreichen Wohnraumvermittlers Airbnb kopieren und für Flüchtlinge anwenden?
Die drei Betreiber wollen mit der Wohnraumbörse kein Geld verdienen. „Es ist ein Hilfsprojekt, absolut unkommerziell.“ Als weltweites Netzwerk kann die Idee nur dann überleben, wenn sich zügig genügend Menschen daran beteiligen: Angebot und Nachfrage müssen stimmen, sonst verödet das Webportal. Kurz nach dem Launch Ende September berichteten viele Medien über Refugee Hero. Ein guter Start: „Die Idee braucht öffentliche Verbreitung wie der Fisch das Wasser“, sagt Ayoub Aouragh. Wer jedoch Ende Oktober in Berlin Wohnraum suchte, fand kein Angebot. Und auch in den niederländischen Städten war die Auswahl eher gering. Kurz, es tut sich noch viel zu wenig.
Aber die Betreiber geben nicht auf. „Wir wissen, dass Start-ups häufig nicht sofort zünden“, sagt der Ideengeber. „Dann muss man in neue Richtungen denken.“ Die drei Betreiber arbeiten daran, die Regierungen als Beteiligte zu gewinnen. „Die Niederlande haben 2014 eine halbe Milliarde Euro ausgegeben, um Unterkünfte für Flüchtlinge zu finden“, berichtet Aouragh. „Mit Blick auf die Entwicklung kann man sich vorstellen, um wie viel größer die Summe in diesem Jahr sein wird.“ Refugee Hero bietet sich daher als Vermittlungsbörse an, die mit Städten kooperiert. Aouragh: „Unsere Webseite steht, nun wartet sie sehnsüchtig auf Content.“
Pionierideen sind gefragt
Die beiden Geschichten aus Augsburg und Rotterdam zeigen: Gesucht werden keine Superhelden, sondern heldenhafte Kooperationen. Die Flüchtlingsproblematik ist in dieser Größenordnung neu. 800.000 Menschen, das sind 400.000 Wohnungen. Am Ende dieses Jahres werden gerade einmal 250.000 fertiggestellt sein. Also sind Pionierideen gefragt. Und es tut sich was im Land.
Enteignungen sind kein sinnvolles Zukunftsmodell
Zum einen beginnt die politische Diskussion, ob es möglich sein dürfe, leer stehende Luxuswohnungen zu beschlagnahmen. Aktuell steht das bereits in Friedrichshain-Kreuzberg an: Die Regierung des Berliner Bezirks will nicht genutzte Apartments in einer noblen Anlage konfiszieren und beruft sich dabei auf eine Verordnung, der zufolge in Städten zur Verhinderung von Obdachlosigkeit private Wohnungen sichergestellt werden können. Was den Besitzern der Wohnung blüht? Eine hohe Entschädigung. Und den Flüchtlingen? Eine Neiddebatte.
Enteignungen sind daher kein sinnvolles Zukunftsmodell. Besser ist es, sich zu überlegen, wie sich schnell Wohnquartiere errichten lassen, die die Integration von Flüchtlingen unterstützen. Infrage kommen Holzpavillons. Die sind zwar teurer als Container, aber dafür deutlich wohnlicher. Und schnell zu errichten sind sie auch.
Ab in den Schrebergarten
In Hannover haben Architekturstudenten zusammen mit ihrem Professor Jörg Friedrich über neue Wohnkonzepte nachgedacht. Schnell und günstig zu errichten müssen die Wohnräume sein, aber nicht billig. Zudem sollten sie sich mitten in der Stadt befinden – und nicht am Rand. Entstanden sind allerhand Konzepte: Wohnungen auf dem Flachdach der Fakultät, Wohnmodule in städtebaulichen Ruinen oder kaum frequentierten Parkhäusern. Der größte Hingucker: der Bau von Wohnhütten in Schrebergärten. Das wäre doch was: Der deutsche Kleingarten wird zum Lösungsansatz der Flüchtlingsthematik.
1,2 Millionen Schrebergärten gibt es in Deutschland. „Würde man davon lediglich ein Prozent für Flüchtlinge nutzen, entstünde Wohnraum für 50.000 Menschen“, rechnet die Architekturstudentin Valentina Forsch vor. Das Konzept einer günstig zu errichtenden Wohnhütte steht schon. Jetzt muss nur noch das sehr deutsche Gesetz geändert werden, das es derzeit nicht erlaubt, in Gartenanlagen zu wohnen. Das sollte in der Not doch hinzubekommen sein.