Wieviel Liedermacher braucht der Mensch?


Die Song-Schmiede haben Hochkonjunktur. Während die Plattenbranche an roten Zahlen knabbert, vermelden Liedermacher steigende Umsätze. Allerdings: Neben den Traditionalisten meldet sich eine neue Generation zu Wort, die das alte Klampfen-Image über Bord wirft. Der Liedermacher - wer oder was ist das 1983 eigentlich noch?

Er prangert an und deckt politische, soziologische und wirtschaftliche Mißstände auf, wie seine Sangeskollegen Danzer, Wecker oder Degenhardt“, steht’s schwarz auf weiß im Presse-Info der Anola über deren Liedermacher Gottfried Schlögl. Da ist nicht nur ein Komma zu viel, da wird auch eine Reihe aus Ungleichen konstruiert, um dem Newcomer Schlögl etwas vom Glanz der großen Namen zuteil werden zu lassen.

Daß der Ghostwriter der deutschen Plattenfirma die Konkurrenzkünstler nicht genug kennt, ist sein Problem. Interessanter ist die werbliche Verpackung per „name dropping“, die plötzlich Interpreten eines Bereiches spendiert wird, der vor Jahren noch naserümpfend als Minoritäten-Programm von den Plattenfirmen geduldet wurde. Die Zeiten, besser das Publikum, haben sich geändert. Qualität nach Takt und Ton, die viele der aktuellen Liedermacher auszeichnet, findet endlich verdienten Zuspruch und Lohn. (Konstantin Weckers monatliches „Stipendium“ während seiner ersten Schallplattenjahre ist früher die löbliche Ausnahme gewesen.) Die Plattenfirmen wissen längst, woher der Umsatzwind weht. Zwei Beispiele. Die Deutsche Grammophon, die die stärkste Crew des Genres unter Vertrag hat, präsentiert ihre Doppelalben-Reihe „Liederbücher“, eine Art „Best Of.. .“-Serie von Danzer bis van Veen, in aufwendiger Ausstattung und mustergültiger Matenalauswahl wie man es sonst eher in der Klassik kennt und verkaufte von 17 Folgen über eine Million Tonträger. Und bei der EMI erkannte Oberboß Wilfried Jung, daß das junge Publikum den großen Konzernen eher abgeneigt gegenübersteht und holte sich für das „Musikant“-Label den in linken Kreisen bekannten Dr. Dehm. Der entwikkelte sich vom glücklosen Liedermacher früherer Tage (Künstlername: Lerynn) zum erfolgreichen Kulturmanager, konnte Wolf Biermann dessen langjähriger Vertragsfirma CBS entlocken und feierte mit Gruppen wie BAP und den Bots kommerzielle Erfolge.

Keine Umsätze ohne Publikum. Doch ob nun ein besseres Songangebot die regere Nachfrage oder umgekehrt angekurbelt hat, ist ein Streit um Kaisers Bart. Fest steht, daß Liedermacher in der aktuellen Platten- und Konzert-Szene zu den sicheren Bänken gehören.

Herman van Veen schaffte es während der letzten Deutschland-Tournee, zehnmal hintereinander den zweitgrößten Saal des Hamburger Congress Centrums auszuverkaufen, und Klaus Hoffmann sah sich letzten Herbst nach zweijähriger Bühnenabstinenz einer prallvollen Waldbühne in Berlin gegenüber.

Entgegen üblichen Branchenregeln schadete auch Konstantin Wecker der monatelange Rückzug m’s toscamsche Refugium nicht. Kaum zurück, hatte er ebenso volle Hallen wie derzeit Stefan Sulke, der in manchen Städten sein aktuelles „Kekse“-Repertoire in zwei Wiederholungskonzerten verknabbert. Gerade in diesen Wochen gilt wieder: Der Frühling ist gekommen, die Liedermacher treibt’s hinaus. Man schaue sich nur den aktuellen Veranstaltungs-Kalender an.

Der Erfolg der Liedermacher ließ natürlich die um ihren Thron bangenden Schlager-Sänger nicht ruhen. Gar mancher entstaubte seine Gitarre, um sich live „auf Liedermacher“ – und wenn’s nur für eine müde Kopie war – zu präsentieren. Die Waldeck-Zeiten, in denen die Gleichung „Mann mit Gitarre gleich Liedermacher“ noch stimmte, sind längst vorbei. Wenn heute ein Mann wie Hans Hartz „weißen Tauben“ mit Reißnagel-Stimmbändern Hitparaden-Aufwinde erstaunlichen Ausmaßes beschert und er gar nicht mal verschämt als Schlagermann, sondern als Liedermacher „verkauft“ wird, dann ist das ein deutliches Symptom für einen gewandelten Musikmarkt. Das erinnert einen an die noch heute zu beobachtenden Schlängeltänze von Jazzem, die nicht zu ihrer Fahne halten, sondern ihre Sparte Just music“ nennen…

Die ganze Zeit ist von Liedermachern die Rede, als wären die so leicht erkennbar wie ein Jeansträger im Bundestag. Der Begriff, der Wolf Biermann zugeschrieben wird und scheinbar mehr nach Handwerk als nach Kunst klingt, hat sich mittlerweile durchgesetzt. Auch wenn uns Akademiker mahnen, „Liederschreibei (engl. songwnter) ist ein Dichter und Komponist in einer Person (der mehr verbreitete Ausdruck „Liedermacher“ zeugt von wenig Sprachgefühl)“, so Tibor Kneif im Rowohlt Sachlexikon „Rockmusik“. Doch da drin werden auch die Zickenmusiker des englischen Salon-„Pasadena Roof Orchestra“ einmal als Rock-, einmal gar als Swingrock-Band aufgeführt…

Doch zurück zum Thema. Ein kurzer Überblick über den größten Teil des aktuellen Angebots der, bleiben wir beim Namen, Liedermacher scheint sinnvoller als endlose Definitions-Übungen.

Franz Josef Degenhardt, der junggebliebene Altmeister der Zunft, gastierte kürzlich mit seinem „Pero eternel“ auch in Paris erfolgreich. Was es bisher auf dem deutschen Plattenmarkt nur von Miles Davis, Jimi Hendnx und .venigen anderen Superstars lab, spendierte ihm .seine Firma anläßlich des 50. Geburtstages: eine Gesamtwerk-Ausgabe mit 12 LPs, für Sammler und Einsteiger gleichermaßen geeignet.

Apropos Einsteiger. Branchengerüchte sagen, daß Peter Horton der erste prominente Aussteiger der Liedermacher-Gilde sein wird. 1981 erschien zwar die autobiographische LP VIERZIG JAHRE LEBEN, doch da war zwischen den Zeilen des Sprachjongleurs und Philosophie-Anhängers nichts davon zu entdecken. Glücklicherweise steht die erste Horton-Live-LP und noch eine Folge des phantastischen „Guitarrissimo“-Duos mit Siegfried Schwab ins Haus.

Von Reinhard Mey ist Neues im gewohnten Stil zur April-Tournee angesagt, und über den ungekrönten Meister des „Preußenblues“ (Biermann), Wolf Biermann, war bereits im letzten Heft zu lesen.

Holland verfügt bekanntlich über eine grandiose Tradition der Kleinkunstbühne – und mit Herman van Veen über eine Ausnahmeerscheinung der Liedermacher-Landschaft. Seine aktuelle LP SOLANGE DER VORRAT REICHT ist mehr als ein Trost dafür, daß er in diesem Jahr bei uns nicht auftreten wird. Unaufdringlich im Ton und höchst eindringlich an Ideenkraft und Glaubwürdigkeit ist dieses Album, sorry, ein Muß für jeden, der bis hierher gelesen hat.

Gleiches gilt auch für Konstantin Weckers LP WECKER, die ein Beleg für sein Lieblingswort „wesentlich“ ist. Musikalisch hat sich der einst nur morbidskurrile Poet von der Isar – man denke an seine „sado-poetischen Gesänge“ – weit von Melodie-Parallelen und Theaterakzenten eines Sängers mit Instrument entfernt. Während seine Oper noch in Arbeit ist, stellte er jetzt seine Filmmusiken zusammen, u.a. zu Streifen von Michael Verhoeven, Margarethe von Trotta und Marianne Rosenbaum.

Georg Danzer hat auf JETZT ODER NIE zur Ironie früherer Songs zurückgefunden, die mit den Aufforderungs-Liedern und sparsam verwendeten zarten Tönen („Nur a klana Bua im Winter“) eine empfehlenswerte Mischung geben. Glückliches Österreich, da ist noch der relativ neue Rainhard Fendrich, Ludwig Hirsch, der sich mit den neuen Liedern wieder von den Rock-Experimenten ab- und seinen starken Seiten zuwendet, und Franz Morak, primär Schauspieler wie Hirsch. Er habe die Zukunft des Rock ’n‘ Roll gesehen, wird Bruce Springsteen zugunsten Moraks zitiert. Und der blonde Dürre ist wirklich das Zuhören wert. Auf seiner aktuellen dritten LP SIE-GER SEHEN ANDERS AUS gibt er sich wieder bissig wie ein Karl Kraus-Enkel, der mit Nitroglyzerin gurgelt. Musikalischen Dampf bezieht Morak diesmal übrigens nicht von den Rockern um Frank Zappas Key boarder Peter Wolff, sondern vom AJlround-Talent Christian Kolonovits.

Nationengetreuer Nachtrag: Außer van Veen machte auch Robert Long bei uns Karriere, jener Mann der leisen Töne und des deutlichen Spotts, dessen Lied „Jesus führt“ beim LP-Debüt 1973 gestrichen wurde. Mit dem neuen Lied „Jeder hat Angst“ liegt es jetzt in der Long-Folge der „Liederbücher“ vor.

Neu für Deutschland ist Wim Hogenkamp, der in Holland zuweiien Longs Platz in dessen Musical „Swingpop“ einnahm. UN-‚ BEMERKT nennt der 33]ähnge Hogenkamp sein erstes deutsches Album, das wie ein gelungenes Bühnenprogramm wirkt. „Mein Sohn war ein Terrorist“, die ausgekoppelte Single, ist sicherlich der stärkste Titel der LP. Da berichtet Hogenkamp aus der Sicht eines Vaters über das, was zuweilen auch unser Land in Atem hielt.

Ebenfalls von der kleinen Bühne kommt der Münchner Gottfried Schlögl, der für seine LP SPIELE mit netten Songs seine Musiker ans Rock-Instrumentarium holte, ohne eine Rock-LP zu produzieren.

Das hingegen tat Achim Reichel mit seinem Album BLUES IN BLOND. „Der Spieler“, ein Lied über einen Irren, der beim Roulette zweimal hintereinander auf die gleiche Zahl setzt, macht derzeit bei uns Hitparaden-Furore. Reichel singt übrigens Texte des Spätbeatnik-Literaten Jörg Fauser – auf dem eigenen Label Ahorn.

Die Musiker der goldgekürten Band Spliff assistierten beim Liedermacher-Debüt des Berliners Maurenbrecher (LP gleichen Titels), ebenfalls ein Mann kluger Intelligenz und mit einer Vorliebe für piano-begleitete leisere Töne; was Heinz Rudolf Kunze zu bieten hat, ist in der Rubrik „Liedermacher“ im letzten Heft zu lesen.

Thomas Kagermann, Ex-Folkie mit „Falckenstein“, ging nach einer melodiestarken Debüt-LP auf Mexico-Trip (Castaneda, ich komme) und legte kürzlich eine musikalisch inhomogene Produktion vor, die deutliche Spuren seines Selbstfindungs-Prozesses zeigt.

Zwischenstationen der persönlichen Entwicklung dokumentieren derzeit Mario Hene, der den düsteren Blick ablegte und besonders die heutigen Erben der Flower-Power-Glückshoffnungen begeistert, und Klaus Hoffmann, der erfahren hat, was vor einem Dutzend Jahren bereits ein deutscher Schlager war: „Ein Mann muß nicht immer stark sein“.

Übrigens, das folgende Zitat aus einem Pressetext einer Plattenfirma ist nicht auf Hubert Kah gemünzt.‘ „Die Mädchen, die in seine Konzerte gehen, würden manchmal gern in ihren Bettchen mit ihm zum Mond fliegen wie der kleine Hävelmann.“ Da hat jemand den anfangs zitierten Ghostwriter noch um Lichtjahre übertroffen. Das unfreiwillige Opfer dieses Schnellschreibers war Mario Hene …

Da wir gerade beim Jux sind. Die Gebrüder Blattschuß, die mal der Nation beibrachten, was „Kreuzberger Nächte“ sind, veröffentlichten jüngst eine Platte namens „Sozialkomik“. Auch wenn Ansätze da sind, ernste Dinge durch die lustige Brille so ernst zu nehmen, wie sie es verdienen, gehören die Gebrüder immer noch ins Schlagerfach. Aber vielleicht gibt’s dereinst das erste Liedermacher-Trio. Vor Überraschungen ist ja keiner sicher, doch gute wie die LP von Erich Virch (siehe Review im letzten Heft) sollte man nicht versäumen.

Typisch Kerl, werden manche nun sagen, schreibt ständig nur von Männern. Als ob es nicht auch Liedermacherinnen gäbe. Stimmt, gute sogar, aber die Damen sind derzeit in Klausur. Joana bereitet eine Tournee vor, und Erika Pluhar arbeitet an einer Liebeslieder-LP. Wie auch Ulla Meinecke, die den Rockbereich wohl doch denen überläßt, die so knackig „Rockladies“ etikettiert werden. Und Barbara Thalheim, die mit einem klassischen Streichquartett arbeitet, und Bettina Wegener, die so manche unter der Haut treffen konnte, geben im Moment nicht Takt, nicht Ton von sich.