„Wir sind so schüchtern


Dieses sanfte Fünftel der Waliser Popgruppe Super Furry Animals könnte glatt das Prädikat „freundlichster Mensch der Welt“ verliehen bekommen – aber man müßte eine Menge Zeit und Geduld für seine Dankesrede mitbringen. Wir sitzen uns gegenüber und rauchen und trinken Kaffee aus dicken Tassen, und die Unter haltung ist durchaus interessant. Dennoch schleppt sie sich. Es fehlt nicht an interessanten Themen, und wir hassen uns auch nicht oder so. Gruff Rhys denkt nur sehr genau nach, bevor er durch seinen Wildwuchs-Bart hindurch einen Satz oder gar einen ganzen Absatz in die Freiheit entläßt. Dann reibt er sich wieder Stirn und Augen und verharrt minutenlang in gedrungener Position. Just in dem Moment, in dem man glaubt, er sei eingeschlafen, blitzen seine Augen wach zwischen den Fingern hervor, und da kommt sie: die nächste Antwort. Präzise und auf den Punkt formuliert, luzide und unmißverständlich.

Gruft, eigentlich waren wir in England verabredet, doch die Bombenanschläge in London kamen dazwischen. Ihr habt allerdings kurz darauf ein Konzert gespielt. Mit welchen Gefühlen gingt ihr auf die Bühne?

(Rhys reibt sich die Stirn und erstarrt danach in Regungslosigkeit. So vergehen Minuten.) Falsche Frage ? Es tut mir leid, wenn ich da einen wunden Nerv getroffen habe…

Gruff Rhys (plötzlich hellwach): Keineswegs! Wir haben tatsächlich lange überlegt, die Show abzusagen. Doch dann dachten wir uns, daß wir alle ein wenig Ablenkung gut gebrauchen könnten. Zumal es immer schön ist, sich in schweren Zeiten mit Menschen zu umgeben, die dieselben Ängste, Sorgen und auch Feindbilder haben wie man selbst.

Feindbilder? Wie kann man das verstehen ? Sprichst du auf El Kaida an?

Nein, das nicht, (dann wieder: Regungslosigkeit) Sondern?

(nach weiteren zwei Minuten): Tony Blair hat behauptet, die Anschläge hätten nichts mit der britischen Präsenz im Irak zu tun. Das ist natürlich kompletter Blödsinn. Man muß nicht besonders fatalistisch sein, um zu behaupten, diesen Gegenschlag kommen gesehen zu haben. Natürlich ist Terror in jegliche T Form verabscheuenswürdig. Aber daß Terror in Europa derart durch die Presse geht, aber niemand es mehr für erwähnenswert hält, wie viele Zivilisten täglich im Irak durch britische und US -Soldaten ums Leben kommen, macht mich sehr traurig und wütend. Ich habe auch keine Lösung für diese Gewalt und derartige Konflikte parat. Aber daß die Berichterstattung so einseitig ist, macht mich wirklich fertig. Das einzige, was ich tun kann, ist den Menschen ein wenig Ablenkung zu geben, damit sie nicht irgendwann völlig übersättigt und abgestumpft sind.

Wie war die Stimmung letztlich auf dem Konzert?

Verhalten. Wir haben uns große Mühe gegeben, mit der Setlist ein bißchen Hilfestellung zu geben, damit die Leute auf andere Gedanken kommen, und haben alte und neue Songs gemischt. Und nach ein paar Songs war dann auch alles okay. Es war ein seltsames Gefühl, aber ich liebe es, wenn Publikum und Band sich zuerst staunend und ein bißchen skeptisch gegenüberstehen und später dieser berühmte Funke überspringt, der uns alle zu einer Einheit werden läßt. Die neuen Songs der Super Furry Animals können dabei auf jeden Fall helfen, love kraft ist ein Album, das man hören sollte in der Stimmung, in der man nur noch in den Arm genommen werden möchte. Jenes Gefühl der Hilflosigkeit, das zuerst besiegt werden muß, bevor man sich wieder zum Tanzen überreden lassen kann, wird adäquat gepampert und dann liebevoll, aber bestimmt vor die Tür gesetzt. Diese Kraft beruht jedoch auf Zufällen. Rhys, Huw Bunford, Dafydd Ieuan, Cian Ciärän und Guto Pryce hatten „einen ganzen Haufen“ Songs geschrieben, die weit weniger beruhigend wirken. „Aber es ist wichtig, daß sich alles rund anfiihlt“, findet Rhys, nachdem er sich in Zeitlupe eine Zigarette gedreht hat. „Wir haben noch eine Menge Uptempo-Popsongs, die wir nun als B-Seiten verwenden.“ Am Arbeitsprozeß des Songwritings ist die komplette Band beteiligt. Zuerst schreibt jeder für sich, später treffen sich die fünf in ihrem Kontrollzentrum und besprechen den Rest. Dort kommt dann „die dumme Wand“ ins Spiel: rh vs: Wir haben übrigens ein sechstes Bandmitglied.

Wirklich? (mittlerweile offensichtlich im Bewußtsein, daß seine Pausen durchaus verstörend wirken können): Moment. Wie kann ich das erklären, ohne mich lächerlich zu machen? (Verharren, Stirn- und Augenreiben, Schweigen,plötzliches Gelächter) Die dumme Wand! In unserem Studio haben wir eine große Wand. Dort hängen wir alles auf, was wir als irgendwie inspirierend wahrnehmen. Selbst, wenn wir noch gar nicht wissen, wozu es uns inspirieren könnte. Ergibt das Sinn?

Nicht ganz. Wie kann man sich das vorstellen?

Die dumme Wand nimmt unkritisch alles auf, was wir ihr geben. Das können Schlagzeilen oder Werbebotschaften sein. Oder Sätze, die wir auf der Straße aufgeschnappt und auf Post-lts geschrieben haben.

Oder Textzeilen, die noch kein Zuhause gefunden haben. Und wenn wir an einem Song arbeiten und nicht mehr weiter wissen, wird die dumme Wand hinzugezogen. Das hat sich als sehr praktisch herausgestellt, vor allem, wenn wir gerade an einem etwas kryptischen, symbolischen Songtext arbeiten. Er reibt sich vergnügt die Hände, um dann plötzlich ernst und schüchtern zu erörtern, ob diese Methode beim Gegenüber nicht vielleicht als Zeichen geistiger Umnachtung gewertet wird. Kaum vorstellbar, daß dieser Mann derselbe Gruff Rhys ist, der auf der Bühne in Yeti- oder Roboter-Kostümen die Sau rausläßt. Darauf angesprochen, stürzt er sich schier in einen Redefluß; sprich: Die nächsten drei Denkpausen geben einem keinen Eindruck mehr von der Ewigkeit. Rhys: Das macht genauso viel Spaß wie die Musik! Statt der Yeti-Kostüme hätte ich damals am liebsten welche gehabt, deren Haare während der Show kontinuierlich wachsen, so daß ein Alterungsprozeß vorgegaukelt wird. Das war aber leider nicht umsetzbar.

Was ist diesmal die Kostümidee?

Wir sind Teil der Lightshow. Wir haben Anzüge an, die leuchten und die von unserem Lichttechniker anund ausgeknipst werden können, so daß sie sich in das Bühnenlicht perfekt einfügen – nun, theoretisch zumindest. Die letzten Shows waren ein bißchen desaströs, weil wir blinkten, wenn wir strahlen sollten, und umgekehrt.

wos steckt hinter dieser Spektakelwut?

Wir sind so schüchtern. Und man muß seinem Publikum doch was bieten. Außerdem müssen wir uns selbst ein bißchen Mut machen. Deshalb machen wir derart lächerliche Sachen. Wenn man lächerlich ist, staunen die Leute und haben was zum Gucken.

Wieso lächerlich ? Das ist so negativ. Wäre das Wort „fabelhaft“ nicht passender?

(Keine gute Idee. Sie stürzt Rhys wieder in Grübelstarre):

Ich bin Waliser. Englisch ist nur meine zweite Sprache. Ich bin es zwar gewohnt, englisch zu sprechen, aber manchmal fehlen mir, ehrlich gesagt, die Worte. Das ist es also. Ein Sprachperfektionist ist er. Auf die Frage, welches walisische Wort er statt „lächerlich“ gewählt hätte, schmunzelt er, der ja schon die walisische Headline zum ME-Artikel zu seinem Soloalbum s buchstabiert hatte (April 2005): „Dann hätte ich ,hyf nod’gesagt. Das bedeutet soviel wie ‚bemerkenswert‘  oder auch manchmal ‚berühmt‘. Wieso fragst du?l Willst du das nächste Interview lieber auf Walisisch?

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