Wir wünschen ein guten Rutsch ins Jahr 2012!


… und blicken heute noch einmal zurück auf das Jahr 2011. Dies sind die drei besten Platten des Jahres, gewählt von der ME-Redaktion.

1. PJ Harvey – Let England Shake
Ein „Album des Jahres“ sollte etwas erzählen können über das Jahr, in dem es gekürt wurde, im besten Fall steht es gewissermaßen für dieses Jahr. Also, was hat das zehnte Album von Polly Jean Harvey von 2011 zu berichten? Die Künstlerin hat über zweieinhalb Jahre daran gearbeitet, an einem Konzept von verhängnisvoller Zeitlosigkeit: Let England Shake zeichnet ein Bild ihres Heimatlandes im Dauerzustand des Krieges. Es erzählt vom Sterben, seinen unauslöschbaren Bildern und von den Landschaften, in dem sich all das trotzdem schnell verliert. PJ textet in einer gewaltigen Sprache, schließlich singt sie über die Nation und ihren Untergang und so zwangsläufig auch zur Nation. Lange hat sie nach Stimmen gesucht, mit denen sich vortragen lässt, was kaum sagbar ist. Sie singt als Erzähler, sie singt wie in alten Weisen, sie singt in überhöhter Schönheit und altertümlichen Akzenten. Mit langjährigen Weggefährten wie John Parish und Mick Harvey zog PJ schließlich in eine Kirche, um im akustischen Ensemble das Konzept Musik werden zu lassen. Die wiederum baut auf die grobe Unmittelbarkeit des Blues und des Folk. Und die ganze reiche Tradition dieser Stilformen, die ja genau dem Zweck dienen, von Menschen und ihren Schicksalen zu erzählen, schwingt mit in den zwölf Songs. Dazu gehört auch, dass diese Musik Trost zu spenden vermag, gegen jedes bessere bzw. bittere Wissen. Aber zurück zur Frage: Was erzählt diese Platte denn nun vom Jahr 2011? Es war das Jahr, in dem eine der größten Künstlerinnen der Rockmusik der letzten 20 Jahre ein Album von zeitloser Gewaltigkeit und Schönheit veröffentlicht hat. Eine Art Album, wie es sie eigentlich heut­zutage gar nicht mehr gibt. Sagen die Älteren. Man sollte den Älteren Let England Shake vorspielen. Und morgen dann den Jungen. Dann wissen die auch: 2011 kann kein schlechtes Popjahr gewesen sein.
Oliver Götz

2. James Blake – James Blake
In der Ablehnung dieses Albums gab es zwei grundlegende Schulen, und die gingen von den denkbar weitest entfernten Rezeptionstypen aus. Die Ahnungslosen und die Über­informierten waren sich einig: James Blake ist kein gutes Album. Die Ahnungslosen, die ohne den internationalen Chartserfolg der Platte (Nummer 27 in Deutschland, Nummer 9 in Großbritannien, Nummer 1 in Belgien), ohne das Airplay des Feist-Covers „Limit To Your Love“ im Mainstream-Radio niemals auf James Blake aufmerksam geworden wären, konnten in den gemorphten und zerhackten, bassmächtigen Soundkonstruktionen, in der Arhythmie, über der diese komische, bearbeitete Stimme lag, überhaupt nichts Musikalisches erkennen. So wie ihre Hazy-Osterwald-geschulten Großeltern damals bei den Beatles. Die Überinformierten, die schon im Jahr 2009 stolze Besitzer von Blakes erster Single „Air & Lack Thereof“ gewesen sind, witterten dagegen den kommerziellen Ausverkauf, wähnten ungute Tendenzen (zu viel Gesang!) zu erkennen in der Musik des 23-jährigen Briten, die auf seinen – zugegeben – großartigen EPs CMYK und Klavierwerke noch nicht da waren. Es ist die alte Geschichte vom beleidigten Kind, das sein Spielzeug jetzt mit den anderen teilen muss.Die Wahrheit ist: James Blake ist und bleibt ein großartiges Debütalbum, das freilich unter Vorkenntnis der Geschichte von Dubstep, zu dessen Entwicklung und Diversifikation es einen entscheidenden Beitrag geleistet hat, mehr Sinn ergibt. Ganz zu schweigen vom Umgang mit Raum und Stille in Blakes Minimal Music, der wegweisend ist für diese neue Kontemplation, die sich im Jahrgang 2011 plötzlich quer durch alle Genres zog.
Albert Koch

3. Feist – Metals
Es kommt vor, dass Musiker nach einer erfolgreichen Etappe auf kompliziert machen, weil sie ihr künstlerisches Ego befriedigen wollen. Am Ende lässt das Ergebnis dann aber zu wünschen übrig, weil Verkrampfung in diesem Leben nie ein guter Begleiter ist, auch nicht im Studio. Beim ersten Feist-Album seit vier Jahren hatte man auch so seine Befürchtungen. Allein schon das Cover! Ein verkohlter Baumstamm in karger Landschaft und dazu der harte Titel „Metals“. Das signalisierte zunächst einmal Distanz. Aber wer es wagt, an dieser Frau zu zweifeln, der verliert. Es hat einfach nur eine Akzentverschiebung stattgefunden. Die schüchterne Niedlichkeit früherer Tage ist größerer Reife und Selbstüberzeugung gewichen. Wer auf Stücke nach Art von „1234“ wartete, die sich problemlos für die Werbung einsetzen lassen, wurde enttäuscht. Wer die Kanadierin wegen ihrer Coverversionen, Kollaborationen und Samples schätzte, durfte sich ebenfalls umstellen. All original material! Nur an der Zusammenarbeit mit den alten Mitbewohnern Gonzales und Mocky hat sich nichts geändert. In dieser Konstellation gelingen Feist echte Gänsehautmomente. Die Geschichte über die Toten auf dem Friedhof, die man doch bitte alle wieder zum Leben erwecken möge, ist ergreifend und in viele Richtungen deutbar. Ganz großes Theater ist der strenge Männerchorgesang in „A Commotion“, bei dem man ruhig an die Einstürzenden Neubauten denken darf. Aufruhr, Unruhe und Tumult bei Feist. Ein Muss.
Thomas Weiland