X-Mas Party
„No seating — but heating!“ stand da am Eingang zum Finsbury Park, im nordöstlichen London gelegen, wo das GLC (Greater London Council) zur „X-Mas-Party For The Unemployed“ lud. Die versprochene Wärme im riesigen Zelt wurde zwar von einer Schlechtwetterfront über Schottland buchstäblich weggepustet, doch ließ sich niemand der rund 4000 Besucher den Nachmittag vermiesen. Um halb vier eröffnet Billy Bragg im knallroten UdSSR-T-Shirt das beachtliche Programm. Mit E-Gitarre bewaffnet, protestiert der punkige Folkie lautstark gegen alle britischen Um- und Zustände. „London’s Dangerous“, „New England“ oder „Which Side Are You On“ — alles bissig vertonte Pamphlete gegen den allgegenwärtigen Thatcherismus. Doch Billy weiß auch mit Sarkasmus zu glänzen: Seinen CCCP-Schriftzug am T-Shirt erklärend, spricht er von Sponsortätigkeiten der Kommunisten, die Maggies innenpolitische Feinde unterstützen —- vom Anti-Nuklear-Verein CND bis hin zu Billy Bragg.
Nach einer quälenden Umbaupause Kontrastprogramm: aalglatter Plastik-Soul, voller Herzschmerz-Texte und halbseidenen Glitter-Anzügen, von einer Band, die man am Kontinent schon längst nicht mehr zu den Lebenden zählte — Imagination. „Music & Lights“ und „Just An Illusion“ hießen mal die Hits, und viel mehr hat das Trio auch nicht zu bieten. Musikalisch streckenweise durchaus von Substanz, scheitern die souligen Ambitionen der Band immer wieder am schmalbrüstigen Organ von Sänger Leee, der allenfalls als kastrierter James Taylor (Kool & The Gang)-Verschnitt durchgehen kann.
Dann Darling Marc Almond —- der Mann, der es immer wieder fertigbringt, die Vertreter der schreibenden Zunft in wahre Bilderräusche zu treiben. In Wirklichkeit ist Marc ein lieber Mensch, der auf der Bühne hervorragend die Rolle der Parade-Schwuchtel übernimmt und zudem mit treffsicherem Entertainer-Instinkt ausgestattet ist. Er versteht es, sein Repertoire mit Heavy Metal genauso zu würzen wie mit arabisch/türkischen Tonalitäten. Es macht einfach Spaß, ihm zuzuschauen.
Marc geht, trotz massiver Proteste, ohne Zugabe ab und hinterläßt eine weitere quälende Umbaupause, die ein recht rüder Conferencier mit starken Sprüchen zu überbrücken sucht. „Every slob fucks Maggie Thatcher“ zum Beispiel, wobei er im gleichen Atemzug das Publikum dazu auffordert, doch endlich im Bierzelt ordentlich einen reinzusaufen. Der Reinerlös käme nämlich der Labour Party zugute.
Dann endlich: Madness! Warum diese Kapelle hier als Headliner gehandelt wird, versteht man spätestens beim Empfangs-Gekreisch der vorderen Reihen. Es ist aber auch wahrlich ein Augenschmaus, den täuschend echt auf grenzdebil agierenden Suggs und den sonnenbebrillten Kobold Carl aus nächster Nähe beobachten zu können.
Überhaupt sollte man Madness nie auf die rein musikalische Effizienz reduzieren, dafür ist das optische Element einfach zu wichtig. Sie brauchen die Bühnenluft, denn nur dort kann der trockene Humor mit Anarcho-Touch gedeihen, der den Briten so eigen ist. Man stelle sich einen Künstler wie Udo L. vor, der auf einer Benefiz-Veranstaltung zu Gunsten der Arbeitslosen zur Begrüßung dem Publikum entgegengrinst und meint: „Gut, daß ihr alle arbeitslos seid. Sonst hättet ihr ja gar keine Zeit, zu unserem Konzert zu kommen!“ Suggs kann das.
Als dann zu „Welcome To The House Of Fun“ ein sehr gesund wirkender Ian Dury einsteigt, lassen Madness auch Temperaturen um den Gefrierpunkt vergessen. Als Zugabe poltert dann der Klassiker „One Step Beyound“ derart frisch über die Rampe, als wären die seligen Ska-Zeiten nie vorbei gewesen.
Zu guter Letzt feuert dann der eigens aus dem sonnigen Jamaica angereiste Gregory lsaacs eine gewaltige Ladung riddims unters Volk. Selig wiegt sich das Zeltdach unter den immer stärker werdenden Windböen – und mächtig fette Baß-Grooves lassen die vereinigten Pot-Heads im Auditorium auf ihren Graswolken davonschweben. Ein richtig schönes Weihnachtsfest.