Yazoo
Die musikalische Misch-Ehe war nicht von Bestand. Alf Moyet, die wuchtige Blues-Madonna, und Vince Clarke, der schmalbrüstige Synthi-Tüftler, gehen - trotz kommerzieller Erfolge - ab sofort getrennte Wege. Ihre Trennung versüßten sie sich mit einem Abschiedsgeschenk, der gerade veröffentlichten LP YOU AND ME BOTH.
Die Nachricht, daß Yazoos zweites Album zugleich ihr letztes sei, daß die ungewöhnliche Partnerschaft von Pop-Elektronik und Soulstimme nach nur anderthalb Jahren ein Ende gefunden hatte, kam nicht vollkommen überraschend. Zu weit lagen letzten Endes Vince Clarke und Alison „Alf“ Moyet musikalisch auseinander, zu groß war die Diskrepanz zwischen Clarkes hübsch programmierten Synthie-Pop-Sounds und Alisons erdiger Bluesstimme, die mehr mit Bessie Smith und Janis Joplin als mit moderner Tanz-Elektronik gemein hat.
Der heute 23jährige Clarke tippte seinen Bubblegum-Pop zuerst für Depeche Mode in den Synthesizer, die dank seiner Songwriter-Qualitäten schnell aus der Obskurität ihres Heimatortes Basildon auftauchten. Ihr Album SPEAK AND SPELL, das noch zu 80 Prozent auf Clarkes Konto ging, erwies sich 1982 als Chartrenner, dicht gefolgt von einem anderen Clarke-Werk, Yazoos UPSTAIRS AT ERICS.
Der publikumsscheue Sound-Tüftler hatte sich Ende 1981 gerade rechtzeitig, bevor ihn das Los eines Popstars ereilte, von Depeche Mode abgeseilt und sich mit Alison zusammengetan, die einen „erdigen Bluesmusiker“ als Partner suchte.
Alison, ein Jahr jünger als Vince, aber größer, schwerer, breiter und mit einem beachtlichen Stimmvolumen ausgestattet, kam vom Punk her, wandte sich aber, als „Punk zu einer Modeerscheinung degenerierte“, dem Rhytmm & Blues zu.
Dem Yazoo-Expenment (den Namen fand sie auf einem alten Blues-Label) gab Alison am Anfang nicht große Chancen. „Ich habe nie geglaubt, daß wir das durchziehen würden. Vince fragte mich, ob ich mit ihm eine Single machen wollte. Ich sah damals Yazoo eher als Sprungbrett für meine Karriere – in der Hoffnung, meine eigene Bluesband auf die Beine zu stellen.“ Vince hingegen suchte eine Front-Frau, hinter der er sich bequem verstecken konnte, um in aller Ruhe an seinen eingängigen Popsignalen zu basteln. Von dem Publikum wollte er sich möglichst fernhalten, aber der Erfolg der Hitsingles „Only You“ und „Don’t Go“ sowie der Bestseller-LP UPSTAIRS AT ERICS zerrten den schüchternen Anti-Star wieder ms Rampenlicht. Sogar auf Tournee schickte man ihn. Für Vince eine Tortour.
Auf der anderen Seite Alison: schnell, zungenfertig, extrovertiert und energisch. Studio-Sessions sind ihr ein notwendiges Übel. Die Essenz ihrer Musik kann sie nur live herüberbringen.
Alison: „Der Hauptgrund für unsere Trennung ist wohl, daß der Funke, der am Anfang herübergesprungen ist, erloschen ist. Als wir anfingen, war alles unheimlich spontan, Wir sind einfach ms Studio und haben losgelegt. Alles war neu und frisch und aufregend.“ Der Funke sprang auch aufs Publikum über, obwohl Yazoo mit modischem Schick nichts am Hut hatten, sondern Miss und Mister Ordmary schlechthin waren. Ein Anti-Stil, der ihnen – und das im modebesessenen Britannien – im Endeffekt mehr genutzt als geschadet hat. Meint jedenfalls Alison.
„Am Anfang hab ich mich einmal in Schale geworfen. Ich kam mir fürchterlich blöd vor. Die Leute mögen uns, weil wir eben nicht der hübsche Junge und das hübsche Mädchen sind. Frauen können sich vermutlich mit mir identifizieren, vor allem die, die nicht wie wandelnde Fotomodelle aussehen. Und das sind die meisten.“ Dieses Gegen-den-Strom-Schwimmen machte Yazoo sympathisch, doch die Realitäten des Popbusineß holten sie schnell ein.
Vince: „Ich war nie auf Singles fixiert. Die werden heute gehört und morgen vergessen. Ich bin mehr an der Konzeption von Alben interessiert, an Musik, die Bestand hat.“ Alison: „Aber wenn du Erfolg hast, wird von dir erwartet, andauernd Singles herauszubringen. Das dauert dann nicht lange – und der Lack ist weg. Unter solchen Bedingungen kann ich einfach nicht arbeiten. Die Sachen, die ich mache, müssen spontan sein.
Das ist auch ein Grund, warum ich Live-Sachen bevorzuge. Damit fing meine Unzufriedenheit an. Ich spiele wahnsinnig gern live, aber Yazoo war niemals eine tolle Live-Band.
Und dann erklärte Vince, daß er überhaupt nicht mehr auf Tournee gehen wolle. Auch mit Promotion wollte er nichts mehr zu tun haben. Das sollte alles ich machen: Interviews, Fotosessions und so weiter. Das war einfach nicht drin. “ Zu den organisatorischen Problemen kamen musikalische Diskrepanzen. Alison: „Viele von Vinces Melodien waren einfach ungeeignet zum Singen. Sie waren sehr einfach. Popsongs sind mir ein bißchen zu lustig und fröhlich. Ich brauche etwas mit mehr Tiefe.
Allerdings ist mein Respekt für Vince gewachsen. Besonders auf dem neuen Album, da hat er sich selbst übertroffen. Trotzdem: Ich brauch‘ jetzt einen Wechsel. Ich habe gelernt, daß ein Synthesizer nicht gleichbedeutend mit kalter, emotionsloser Musik ist. Aber ich mag die Gitarre, einen guten harten Baß. Ich werde auch in Zukunft unkonventionelle Sounds benutzen, aber auch wieder traditionellere Sachen spielen, wie Jazz und Blues.“ Wann mit dem Alison-Solodebüt zu rechnen ist, bleibt ungewiß. Vince dagegen bereitet sich auf seinen dritten Versuch vor, kein Popstar zu werden. Sicherheitshalber wird der erfolgsscheue Musiker diesmal keine neue Band gründen, sondern sich – vorerst wenigstens – ganz aufs Produzieren und sein eigenes Plattenlabel konzentrieren.