Zärtlich küsst der Tod
Der Hauch des Sensenmanns hat Tom Smith, den Sänger mit der Grabesstimme, zuletzt mehrals einmal gestreift. Die Editors sind deshalb aber nicht noch düsterer geworden. Ihr Albumtitel verrät auch, wieso. ES ist nämlich so: AN END HAS A START.
Die traurigste Sache, die er je gesehen habe, sagt und singt Tom Smith, sind Menschen, die draußen vor den Türen eines Krankenhauses stehen und rauchen. Schon in Kindheitstagen hat sich dieses Bild tief in den Kopf des Editors-Sängers eingebrannt. Und im großartigen Song „Smokers Outside The Hospital Doors“ benutzt er es als Metapher für die Melancholie des Daseins und die stille Verzweiflung darüber, dass nichts so bleibt, wie es einmal war. „Als kleines Kind macht man sich ja noch nicht so viele Sorgen um die Dinge. Wenn man dann plötzlich mit Krankheit und Leid konfrontiert wird, ist das eine unglaublich harte, einprägsame Sache. Lungenkrebs-Patienten in einem Krankenhaus nach draußen gehen zu sehen, um dort zu rauchen, hat mich damals wirklich bewegt und erschrocken.“
Tom Smith wohnt nicht mehr in Birmingham, sondern seit zwei Jahren mit seiner Freundin in London. Besonders seine Augenpartie erinnert irritierend an Keith Caputo, der Rest ist ordnungsgemäß britisch: dünn, gut aussehend, dunkle Kleidung. Wir sprechen über den Tod, der auf an END HAS A START, der zweiten Platte der Editors, so omnipräsent ist wie auf Arcade Fires Funeral. Smith spricht dabei so rasant, als wolle er Vergangenes durch bloße Sprachgeschwindigkeit wegwischen und vergessen machen. „In den letzten Jahren sind viele Dinge passiert, die mich dazu gezwungen haben, öfter über den Tod nachzudenken: Meine Großmutter starb, bei einem Menschen, der mir nahesteht, wurde Brustkrebs diagnostiziert, jemand anderes, den ich gut kannte, wurde getötet. Ich fühlte mich dem Tod sehr nah. Die bittere Erkenntnis, dass wir alle sterben müssen, war noch Vorjahren eine Millionen Meilen von mir entfernt. Jetzt nicht mehr.“
Auch Freunden von ihm erging es nicht anders. Den Song „When Anger Shows“ schrieb Smith, nachdem er einem Telefongespräch eines Freundes beiwohnte, dem die Gesichtszüge entglitten, weil ihm am anderen Ende der Leitung der Tod eines Familienmitglieds mitgeteilt wurde. „In that moment you realised that something you thought would always be there/Will die like everything else“, heißt es in dem Lied.
Doch genug vom Gevatter Tod und hin zur Musik, die beinahe ebenso hübsch und dunkelfarbig geworden ist wie auf dem Debüt The Back Room, das nicht wenigen Leuten bis heute als poor man’s Interpol gilt. Smith ist schlau genug, nicht einmal die Chameleons oder Joy Division als Haupteinflüsse zu benennen, sondern R.E.M, Radiohead und Spiritualized. „Wenn die Leute uns in eine bestimmte Schublade stecken wollen: kein Problem. Zweifellos klingen bestimmte Bands ähnlich und haben vielleicht sogar einen ähnlichen Background. Aber Bands entwickeln sich weiter und verändern sich.Nimm Muse: Die wurden zwei oder drei Alben lang als Radiohead-Kopisten bezeichnet, und heute sind sienur noch Muse. Wenn nun jemand schreibt, wir haben uns erst 2003 gegründet und würden wie Interpol für Arme klingen, dann tut das natürlich weh. Klar, es gibt Ähnlichkeiten. Aber zu sagen, wir seien bloß die billige Kopie, ist nicht nur falsch, sondern lächerlich. Davon abgesehen sind Interpol eine sehr gute Band, auf deren drittes Album ich mich jetzt schon freue.“
Immerhin ist beiden Bands die monochrome, kummervolle Edgar-Allan-Poe-Stimme des jeweiligen Sängers gemeinsam. Und zumindest Tom Smiths Organ hat gegenüber The Back Room an Festigkeit und Dichte gewonnen – einige Refrains auf der neuen LP benötigen ganz schön viel Luft. Die bei vielen Außenstehenden beliebte Frage: Redet der eigentlich genau so, wie er singt? Antwort: Nein, das nun auch wieder nicht. „Ich habe ja nie damit gerechnet, Sänger zu werden. Aber da ich nun schon mal die Texte schrieb, habe ich es einfach probiert. Zu Beginn war es schwer zu sagen, wo ich überhaupt mit meiner Stimme stehe. So wie Jeff Buckley oder Thom Yorke konnte und kann ich nun mal nicht singen. Es war also ein ziemlich harter Weg, auf dem ich mich immer wieder selbst pushen musste. Auf ein paar Songs der neuen Platte bin ich regelrecht stolz, weil sie unheimlich schwierig zu singen waren.“
Das kann man hören. Wer jetzt kommt und sagt, dass die zweite Platte ja tendenziell genauso klingt wie die erste, der macht es sich zu einfach. Obgleich das Titelstück und „Bones“ offensichtlich in Richtung des Clubhits „Munich“ schielen und die gefährlich surrenden Wespenschwarm-Gitarren von Tom Smith und Chris Urbanowicz fester Bestandteil auch des frischen Songmaterials geblieben sind, wurden Wagnisse eingegangen: In „Smokers At The Hospital Doors“ gibt es einen zu Herzen gehenden Chor, die abschließende, nun ja, Pianoballade „Well Worn Hand“ ist so reduziert wie noch kein Editors-Track zuvor. „I don’t wanna go out on my own anymore / I can’t face the night like I used before“, barmt Smith, und die britische Presse, die so manches in den falschen Hals kriegt, faselt daraufhin schon von Coldplay und Snow Patrol.
Vielleicht handelt es sich bei den Editors ja um eine jener übersehenen Bands, deren zweite Platte nun nachträglich so bewertet wird, wie es die erste eigentlich verdient hätte. Belegen lässt sich das nicht, aber im Blick zurück schien es doch so: Der große NME-Rummel blieb bei den Editors aus – hiesige Indie-Nasen entdeckten die Gruppe fast ohne (einschlägige) Hilfe, dann wurde THE back ROOM größer und größer, in Deutschland wie in England. „Wir haben für unser erstes Album halt die üblichen Besprechungen in der britischen Presse bekommen. Aber das war es dann auch „, bestätigt Tom Smith. „Die Leute waren teilweise wirklich überrascht, als sie erfuhren, wie viele Platten wir verkauft haben. Niemand hat darüber geschrieben, dass wir die Brixton Academy drei Nächte hintereinander ausverkauft haben. Andererseits finde ich es auch besser, wenn man eine Band allein entdeckt und langsam mit ihr wächst. Es ist schon gut, dass wir mit ‚Munich‘ oder ‚Bullets‘ kein One-Hit-Wonder geworden sind.“
Zu „Bullets“ gibt es die schöne Geschichte, dass Keith Armstrong sein vor allem durch Prefab Sprout berühmtes, jedoch brachliegendes Label Kitchenware wieder aktiviert haben soll, um diese erste Editors-Single veröffentlichen zu können. Mittlerweile ist Kitchenware wieder Heimat von aufstrebenden Bands wie The Changes und The Motorettes.
Was bleibt? Vielleicht die Frage, was es mit dem Titel An End Has A Start auf sich hat. Smith berichtet: „Zuerst waren da Songtitel, auch das Stück An End Has A Start‘. Dann haben wir darüber nachgedacht, was am besten zu den Songs passen, sie zusammenfassen könnte. Da wurde uns schnell klar, dass es zahlreiche Referenzen zu Krankheiten und zum Tod auf der Platte gibt und viel darüber, wie Dinge ein Ende finden. Gleichzeitig strahlen die Stücke Wärme, Liebe und Hoffnung aus. So wohnt dem Tod eines jeden Menschen eben auch ein gewisser Sinn inne, denn immer, wenn etwas endet, beginnt auch etwas Neues.
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