Zeitlupe September 1978


Tod eines Trommlers KEITH MOON Der Drummer von The Who stirbt an einer Medikamenten-Überdosis.

Wir haben erwartet, dass es früher oder später passieren wird.“ Mit diesen Worten kommentiert Pete Townshend am 8. September 1978 die Nachricht vom Tod seines Bandkollegen und Freundes Keith Moon. Das klingt resigniert, beinahe verbittert, doch Townshend weiß, wovon er spricht. Denn nicht nur Moons geniales Schlagzeugspiel und seine amüsanten bis gemeingefährlichen Verrücktheiten sind schon zu Lebzeiten legendär, auch sein exzessiver Pillen- und Alkoholkonsum: Raubbau als Prinzip, die tägliche Flasche Brandy, zwei Hände voll Amphetamine zum Aufwachen, die gleiche Dosis Downerzum Einschlafen.

Moon, am 23. August 1947 in Wembley geboren, stößt 1964 zu The Who und zeichnet fortan für den einzigartigen Gruppensound mitverantwortlich: der Archetypus des Rockschlagzeugers, dessen wildes, überraschendes und impulsives Spiel tatsächlich unkopierbar ist. Zu seinen viel zitierten Schrullen gehört die Angewohnheit, Hoteltoiletten in die Luft zu sprengen, Fernseher aus dem Fenster zu werfen oder Piranhas in der Badewanne auszusetzen – sehr zur Freude des Hotelpersonals. Moon heizt mit dem Luftkissenfahrzeug über sein Anwesen, besitzt zwar keinen Führerschein, dafür zahlreiche Karossen, die er in Swimmingpools zu versenken pflegt. F.r wandert als Feldmarschall Rommel verkleidet durch London, treibt als aufmüpfiger TV-Gast Talkshow-Moderatoren in den Wahnsinn und betrinkt sich regelmäßig mit Busenfreund Ringo Starr. Berüchtigt sind Moons Parties, die über mehrere Tage und Nächte andauern, ermöglicht von wahrhaft barbarischen Dosen Aufputschmittel – von 1965 bis 1978 feiert Moon eine gigantische Dauerorgie. Was die wenigsten wissen: Moon, der lustige Rock’n’Roll-Rabauke, der durchgeknallte Exzentriker, hat massive psychische Probleme. Ein hyperaktiver Charakter, dem von Fachärzten ein Borderline-Syndrom attestiert wird. Will heißen: Moon berichtet seinem Psychiater immer wieder von totalem Kontrollverlust und einem indischen Ehepaar namens Singh, das ihm Befehle erteilt. Klingt absurd, und man könnte meinen, dass der notorische Witzbold Moon den braven Doktor schlichtweg verarscht. Fehlanzeige. Denn der Drummer ist streckenweise kein bisschen zum Scherzen aufgelegt.

Gemeinsam mit seiner Freundin Annette Walier-L.ax Linda und Paul McCartney verbringt Moon seinen letzten Abend bei der Premierenfeier des Films „The Buddy Holly Story“, bevor er in sein Apartment in der Londoner Park Street zurückkehrt, wo er Stunden später stirbt. Sein Ableben ist eine Ironie des Schicksals, die Todesursache heißt „Heminevrin“ – ein Medikament gegen Alkoholismus. Das Problem: Trinkt der Patienl Alkohol und nimmt zusätzlich „Heminevrin“, wird der Rausch exorbitant verstärkt, Kreislaufund Leber werden arg ramponiert. Keith Moon trinkt am Vorabend seines Todes Alkohol – wenn auch laut Zeugenaussagen nicht viel. Und er vervielfacht vor dem Schlafengehen die vorgeschriebene Dosis „Heminevrin“, was zum nächtlichen Kreislauftod führt. Kurios: In dergleichen Wohnung war 1974 Mama Cass von den Mamas & Papas verstorben.