Zwischen Eierbeißern und Männlichkeitskonstrukten: Warum Sam Smiths Queerness so empört
Wenn sich Anhänger von (fragiler) Männlichkeit durch Sam Smiths glückliches Nonbinary-Dasein angegriffen fühlen: „Fuck it!“ denken und darüber reden, findet Samira Frauwallner. Ein Kommentar.
Sam Smith hat es wieder getan: Freizügige Outfits auf offener Straße (siehe unten) und aktuelle Musikvideos entsprechen nicht dem Diktat der vermeintlichen Maskulinität. Von Potenz und von vorherrschenden Männlichkeitsbildern Indoktrinierte haben deshalb, so glauben sie, jeden Grund, die Kleidung, die Nippelquasten, die bauchfreien Tops, am besten gleich noch die Körperform unter Smiths Outfits und sowieso die gesamte Sexualität des mehrfach mit Grammys und anderen Preisen ausgezeichneten Popstars anzukreiden.
Es sollte zwar mittlerweile absurd lächerlich erscheinen, das Outfit eines anderen Menschen anzusprechen, geschweige denn andere menschliche Wesen in ihrem Sein und Tun einzuschränken. Fakten belegen allerdings das Gegenteil: Es wird gemobbt, wo es nur geht – und darüber sollte man sprechen. Dafür wichtig zu wissen: Sam Smith identifiziert sich als eine Person, die die Normen des binären Systems ablehnt und möchte nicht weiter als „er“ angesprochen werden, stattdessen sind im Englischen die Pronomen „They / Them“ zu verwenden.
„Macht Männer wieder zu Männern“: Wo und wann sind wir falsch abgebogen?
Kürzlich hat ein Beitrag zu diesem Thema von Queer-Aktivist Matt Bernstein auf Instagram getrendet: @mattxiv postete einen Beitrag, in dem er auf die Mode von Männern durch die Jahrhunderte hinweist. Das hat er als Reaktion auf einen Tweet gemacht, in dem ein Foto von Sam Smith mit der Bitte „Make Men Men again“ (zu Deutsch: „Macht Männer wieder zu Männern“) gepostet wurde.
Bernsteins Post hat innerhalb von einem Tag mehr als 500.000 Likes generiert und gewinnt stündlich an „Gefällt mir“-Angaben dazu. In dem Post abgebildet ist übrigens auch Carl Weathers, der Darsteller der Filmfigur Apollo Creed aus den Rocky-Balboa-Filmen – in kurzen, knappen Boxer-Shorts. Generell schienen sportliche Eierbeißer und über dem Bauchnabel endende Shirts und dergleichen bei Männern in den 80ern zum aphrodisierenden Männlichkeitsideal gehört zu haben. Was ist seither passiert, wo und wann sind wir falsch abgebogen, dass sich manche heute so darüber echauffieren?
Einmal hier durchscrollen – um die knappen Herrenoutfits der vergangenen Jahrhunderte begutachten zu können:
Männer mit Nippelquasten: Was tun mit dem Gefühl des Unbehagens?
Vor Sam Smiths „freizügiger“ Art und Weise, das Haus zu verlassen, wurde schon das Musikvideo zu „I’m Not Here to Make Friends“ stark kritisiert. Das Video zeigt Smith immerhin in hohen Lackschuhen, Nachtwäsche, einem Korsett, mit Krone und Nippelquasten. Die Reaktion darauf war (leider) zu erwarten: blanker Schock bei Jünger*innen der westlichen Geschlechternormen.
Mit der sexuellen Selbstbestimmung ist halt erstmal noch vorsichtig umzugehen: Einige Leute da draußen „wissen doch nicht, was sie mit ihrem Unbehagen anfangen sollen“, schreibt Autorin Daisy Jones für die „Vogue“ über das Thema Sam Smith und die Angst vor Queerness.
Jones geht auch auf besorgte Eltern ein, für die Queer-Sein ein mehr als nur abstraktes Monster unter dem Kinderbett zu sein scheint (also erfunden): „Hinter so vielen dieser besorgten ‚Aber was ist mit den Kindern?‘-Ausrufe steckt die kaum verhüllte Präsenz von Queerphobie. Wenn eine dünne Cis-Frau ein Korsett mit Nippelpads tragen würde, gäbe es nicht dieses Ausmaß an wütenden Debatten“.
Talking ‚bout My Generation: Die Angst vor Neuem
Oder sind Sam Smith und jene Outfits in Wahrheit Projektionsfläche für die allgegenwärtige Angst vor Andersartigkeit, sexueller Freiheit und der Lust am eigenen Körper, ungeachtet der Maße? Darüber würde sich wenigstens noch reden lassen, um zu vermeiden, dass Ängste und Phobien, Bodyshaming und Schönheitsideale – gegen eine andere Person gerichtet – Schaden anrichten. Und das zwingt nicht-binäre Menschen dazu, „fuck it“ sagen zu müssen, damit sie ihre Wahrheiten leben können.
Spräche man vermehrt über das tieferliegende Problem, würde sich aber recht schnell feststellen lassen, was dem zugrunde liegt: Ist es nicht eher die von Generation zu Generation wiederkehrende Angst vor den Jungen, die sich die Welt selbst erklären und sie verändern? Kombiniert mit der Angst, dass junge Leute vor Religion nicht mehr niederknien wollen und sich lieber ihrem Glauben an die Freiheit des Einzelnen hingeben? Dazu noch die Auflösung alter, hart erarbeiteter Strukturen und schon haben wir eine Melange aus Thematiken, über die sich von Angesicht zu Angesicht reden ließe.
Gespräche kosten allerdings Energie, das Verlassen der eigenen Comfort Zone auch – der anonyme Griff zur Tastatur nicht.