Zwischen Musik und Mission: Living Colour
LONDON. Wahrend weiße Bands munter drauflosrocken, ohne je diffizile Fragen zu ihrer politischen Position beantworten zu müssen, werden Living Colour von Grundsatzfragen geradezu verfolgt — was die Band durchaus auch will: Die Texte sagen es immer wieder.
In dieser Hinsicht war ihr Auftritt in der Brixton Academy voller Erfolg. Schon der Publikums-Mix war ein Triumph ihrer Vision: Vom nietenbesetzten Warzen-Rocker zum hochgestylten Club-Dandy, vom angestammten Dread zum Grunge-Teen war die Regenbogen-Generation so umfassend vertreten wie sonst nur noch beim Notüng Hill Carmval. Die Frage, die wohl alle beschäftigte: Sind Living Colour so sehr Teil einer ideologischen Mission, daß sie Glaubwürdigkeit durch ihre Instrumentalkraft zu erkaufen versuchen?
Die Antwort war ein entschiedenes Jein. Es gab Passagen atemberaubend harten, wunderbar synkopierten Heavy-Funkes, andererseits aber auch Phasen, wo schlimmste Hardrock-Klischees durch gymnastische Gitarren-Ornamente noch übertroffen wurden. Living Colour können derartig brillante Momente kreiieren. daß Längen ¿
um so mehr auffallen. Obendrein war der Sound in der „Academv“ der potentiellen Subtilität nur unzulänglich gewachsen. Die Texte waren nicht zu verstehen, und wenn alle Musiker auf Volldampf kochten, war das Resultat ein dumpfes Rumpeln.
Trotzdem: Die Rhythm Section — Drummer William Calhoun mit dem neu hinzugezogenen Ex-Tackhead Doug VVimbish — bewies gewaltige Übersicht und scheinbar grenzenlose Finger- und Groove-Fertigkeit. Vernon Reids Gitarre tat die bekannten Freiübungen: meist in kurzen, potenten Stößen, aber oft auch verschachtelt wie ein Nebensatz bei Wittgenstein. Corey Glover allerdings bekundete Mühe, der traditionellen Glamour-Rolle eines Hardrock-Sängers nachzukommen. Er wirkte zeitweise wie ein blinder Passagier.
Der Groove bewegte sich vernehmlich zwischen Funk und Rock, dazwisehen eine Ballade („Broken Hearts“) oder ein Stück Thrash und ein Prince-Cover. Fazit: ein zwiespältiges Vergnügen.