20 Jahre „Gilmore Girls“: Wie gut ist die Kultserie gealtert?


Eine alleinerziehende junge Mutter und ihre ambitionierte Tochter – „Gilmore Girls“ war nicht nur ein popkulturelles Phänomen, sondern auch progressiv. Doch hält die Serie einer Überprüfung aus heutiger Sicht noch stand? Eine Analyse.

Vier Jahre ist es nun her, dass die „Gilmore Girls“-Showrunner*innen Amy Sherman-Palladino und Dan Palladino endlich ihr Wunschende für die Serie in einer vierteiligen Netflix-Produktion umsetzen durften – und die Fans davon mehr als enttäuscht waren. Dieses Jahr wird die Familien-Dramedy-Serie „Gilmore Girls“ 20 Jahre alt – höchste Zeit, sich die TV-Show ein weiteres Mal in Erinnerung zu rufen und die Frage aufzuwerfen: Wie gut ist „Gilmore Girls“ gealtert? Hält sie einer Überprüfung aus heutiger Sicht noch stand?

Um diese Frage zu beantworten, bedarf es einem kleinen Zeitsprung. Als die Serie am 5. Oktober 2000 auf dem US-Sender „WB“ startete, regierte George W. Bush mit neokonservativer Hand; es war eine Zeit noch vor 9/11, vor #MeToo, vor der „Ehe für alle“, vor Trump. Unter diesen historischen Voraussetzungen waren „Gilmore Girls“ mehr als nur ein popkulturelles Phänomen – sie waren progressiv.

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„Gilmore Girls“ erzählt die Geschichte der jungen alleinerziehenden Mutter Lorelai (Lauren Graham) und ihrer 16-jährigen Tochter Rory (Alexis Bledel) in der fiktiven Kleinstadt Stars Hollow, die sich insgesamt über sieben Jahre erstreckt. Während Lorelai und Rory eine innige Mutter-Tochter-Freundschaft verbindet (Stichwort: Junk Food und Filmemarathon), ist das Verhältnis zwischen Lorelai und ihren eigenen Eltern Emily (Kelly Bishop) und Richard (Edward Herrmann) von Enttäuschungen und verletzten Gefühlen geprägt. Es geht um das Erwachsenwerden, Liebe, Karrierebestrebungen und Generationskonflikte. Mithilfe von rasant gesprochenen sarkastischen Dialogen und enzyklopädischem Popkultur-Wissen der Serienfiguren und vielschichtigen Charakterentwicklungen etablierte sich „Gilmore Girls“ schnell als Kultserie mit einer enthusiastischen Fangemeinde (Team Dean, Jess oder Logan?).

https://www.youtube.com/watch?v=jqSuEy7jkr8

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Doch was daran kann man nun als wegweisend bezeichnen? Erst einmal hatte es bis dato noch keine Serie gegeben, die eine alleinerziehende Mutter in den Mittelpunkt einer Story rückte; noch dazu eine Frau, die trotz alleinigen Sorgerechts Karriere macht, sich selbst primär wie ein aufgedrehtes Kind verhält, mit verschiedenen Männern flirtet und – kurzum – mit ihrer Lebenssituation glücklich ist. Rory wiederum ist Lorelais verzerrter Spiegel von sich selbst; das belesene und vernünftige Mädchen mit den hohen Ambitionen, das an der Elite-Universität Harvard studieren und Journalistin werden möchte – all das, was Lorelai wegen ihrer Teenager-Schwangerschaft selbst nicht erreichen konnte. So ist es kein Wunder, dass Lorelai ihre Tochter als eine unabhängige junge Frau aufzieht, die sich von keinem Mann und keiner höheren Macht von ihrem Weg abbringen lassen soll. Damit portraitierten Rory und Lorelai ein neues weibliches Subjekt im amerikanischen Fernsehen Anfang der 2000er-Jahre: Zwei eigenverantwortliche und ambitionierte Frauen, die auf weibliche Solidarität statt auf Männerbekanntschaften setzen und körperoptimierenden Schönheitsidealen den Krieg erklären (aber natürlich trotzdem schön und schlank sind).

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„Gilmore Girls“: Den eigenen Privilegien nicht bewusst

Für die damalige Zeit wahrlich etwas Besonderes, ist dieser Standpunkt aus heutiger Sicht allerdings kritisch zu betrachten. Denn bei genauerem Hinschauen muss bei allen feministischen Ambitionen der Serie leider gesagt werden: Lorelai und Rory sind nicht so unabhängig, wie sie es gerne darstellen. Mehr noch: Sie sind sich ihrer Privilegien über alle sieben Staffeln hinweg nicht bewusst. Wie ein User die Serie in einem YouTube-Kommentar lakonisch zusammenfasst: „Gilmore Girls alias ‚leicht unbequeme Dinge, die schönen, wohlhabenden Menschen widerfahren’“. Von Beginn der Serie an wird den Zuschauer*innen vermittelt, dass Lorelai und Rory zur Arbeiterklasse gehören und sich bewusst von dem Reichtum und der bourgeoisen Oberflächlichkeit der Großeltern abgrenzen. Das stimmt – jedoch nur zu einem gewissen Grad. Seien es Schulgebühren für eine teure Privatschule oder die Elite-Uni Yale, Rorys erstes Auto oder eine monatelange Fünf-Sterne-Reise durch Europa: Die Großeltern helfen aus. Dies wäre grundsätzlich vollkommen in Ordnung, wenn das Mutter-Tochter-Duo ihr finanzielles Sicherheitsnetz anerkennen, ja, wertschätzen würde – was allerdings selten bis nie vorkommt.

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So findet sich Rory in den letzten beiden Staffeln in einem von den Großeltern bezahlten Apartement wieder; mit einem reichen Freund, der ihr eine „Birkin Bag“ kauft und einem (kurzzeitig) abgebrochenen Studium, weil ein mächtiger Medienmogul ihr gesagt hat, sie hätte nicht das Zeug dazu, Journalistin zu werden. Ähnlich absurde Storylines finden sich bei weiteren wichtigen Frauenrollen der Serie: Lorelais beste Freundin Sookie (Melissa McCarthy) wird ein drittes Mal schwanger, weil ihr Mann eine Vasektomie durchführen sollte, es aber heimlich doch nicht gemacht hat. Rorys älteste Freundin Lane (Keiko Agena) möchte sich die ganze Serie über von der Kleinstadt und ihrer streng-orthodoxen koreanischen Familie befreien, um Rockstar zu werden – und bekommt letztendlich Zwillinge, heiratet und arbeitet in dem Laden ihrer Mutter. Emanzipation? Unabhängigkeit? Ist irgendwo auf dem Weg verloren gegangen.

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Doch nicht nur die Frauenrollen bei „Gilmore Girls“ haben Überholungsbedarf. Schaut man die Serie ein weiteres Mal, bemerkt man schnell, wie weiß und heteronormativ die Idylle von Stars Hollow aus heutiger Sicht erscheint. Der einzige nichtweiße Charakter der Serie ist der französische Concierge Michel (Yanis Truesdale), der zudem auch noch als homosexuell dargestellt wird (er liebt Céline Dion und geht gerne shoppen) – was während der Serie allerdings kein einziges Mal ausgesprochen wird. Ein Erzählmuster, das in Serien der 2000er-Jahre leider häufig zu finden ist.

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Was bleibt also von „Gilmore Girls“, das sich zu schauen lohnt? Immer noch sehr viel. Trotz ominöser Charakterentwicklungen, veralteten Stereotypen und einer sehr weißen, homogenen Darstellung hat „Gilmore Girls“ etwas geschaffen, das vielen Serien fehlt: authentische Charaktere, die menschliche – und damit fehlbare – Entscheidungen treffen. Die Show hat eine starke Mutter-Tochter-Bindung zwischen zwei sehr unterschiedlichen Figuren entworfen, die trotz ihrer Fehler, Irrtümer und teils ungesunden Beziehungsdynamik zueinander stehen und sich stets weiter entwickeln. Man schaut Lorelai und Rory dabei zu, wie sie Beziehungen eingehen und diese wieder zerbrechen, wie sie sich aufgrund von Kommunikationsschwierigkeiten zerstreiten und wieder zusammenraufen – und man fühlt sich ihnen emotional verbunden, weil es lebensecht ist.

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Ähnlich wie bei der Rolle der Carrie Bradshaw von „Sex and the City“ hat sich gegen den Charakter von Rory nach dem Ende der Serie ein kollektiver Fan-Hass entwickelt, der durch das Reboot „Gilmore Girls: A Day In The Life“ noch verstärkt wurde. Dass beide Rollen ursprünglich als revolutionäre Frauenrollen angelegt und aufgefasst wurden und nun verachtet werden, zeigt vor allem eines: dass emanzipierte Frauenrollen immer ein Spiegelbild der Zeit sind, in der sie existieren – und auch daraus herauswachsen können.

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